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Das hier ist mein normaler Arbeitsplatz und das hier ist mein Mikroskop.
Aber die Werkzeuge, die ich benutze, sind eigentlich ganz alltägliche Sachen.
Ich bewahre sie in solchen schönen Schachteln auf,
diese hab ich bestimmt mal in der Schublade eingeklemmt...
Alle diese Dinge helfen mir, einen Embryo
auf dem Objektträger ganz genau da zu platzieren, wo ich ihn haben will.
Ich war gerade einkaufen, in einem Kaufhaus.
Ich glaube, die sind dort davon ausgegangen,
dass ich malen würde oder so was...
Mein neuer kleinster Pinsel hat die Größe 000, und selbst das ist
wahrscheinlich noch ein bisschen zu groß um einen einzelnen Embryo aufzuheben.
Vielleicht muss ich da runter bis auf ein einzelnes Haar.
Mein Lieblingswerkzeug ist dieser Glasstab. Das ist alles.
Es war ursprünglich ein Kapillarröhrchen -
ich weiß nicht wie gut man es sehen kann, aber es ist wirklich nicht sehr groß.
Dieses Klebeband dient nur dazu, dass ich es wieder finde, wenn ich es irgendwo ablege.
Ich habe einfach ein Feuerzeug genommen und das Glas am Ende weich gemacht.
Und es ist perfekt. Denn an Glas bleiben die Zellen nicht kleben wie bei Plastik,
und es hat eine weiche Kante, damit kann ich das Gewebe vorsichtig drehen,
und herum schieben wenn ich es in Detail analysieren möchte.
Diese Glasstäbchen gehen allerdings leicht kaputt, darum habe ich hier ein Feuerzeug.
Und dabei rauche ich gar nicht. Ich habe meine Initialen draufgeschrieben,
weil es ein Teil meiner offiziellen Mikroskopie-Werkzeugkiste ist,
lauter Dinge, die ich andauernd brauche.
Man macht es mit Augenmaß. Man erhitzt das Ende einfach bis das Glas anfängt zu schmelzen.
Sieht ziemlich gut aus. Das war’s schon. Und schon habe ich ein neues Werkzeug.
Mein breites interdisziplinäres Forschungsgebiet ist Evolutionäre Entwicklungs-Genetik.
Das hört sich nach ganz vielen Sachen auf einmal an.
Aber was wir verstehen wollen ist – ausgehend von einem unentwickeltem Ei –
wie ein Embryo weiß, wie er die dreidimensionale Form seines Körpers machen muss.
Wie die Zellen ihre richtige Position finden. Das vergleichen wir bei verschiedenen Insektenarten.
Meinen Bachelor habe ich in den USA an einem sogenannten liberal art’s college gemacht.
Das war perfekt für mich, weil ich mich erst sehr spät spezialisieren musste.
Es war garnicht ungewöhnlich verschiedene Fachrichtungen in einem Semester zu haben...
Ein Kurs war zum Beispiel „Einführung in die Embryologie“,
das hat immerhin noch etwas mit dem zu tun, was ich jetzt mache.
Dann hatte ich organische Chemie, okay, immerhin eine Naturwissenschaft.
Aber zusätzlich dazu hatte ich „Chinesische Geschichte des Altertums“ und
einen Altphilologischen Kurs mit dem Titel “Dekadenz und Erlösung im Römischen Reich”.
Das war für mich einfach perfekt, weil ich mich nicht zu sehr spezialisieren wollte.
Natürlich ist mein Thema jetzt extrem spezialisiert, aber zu Beginn ist
Evolutionäre Entwicklungsgenetik ein bisschen wie schummeln,
weil es sind ja eigentlich drei Fächer in einem.
Die speziellen Strukturen, die uns interessieren, sind nicht die Embryonen selbst,
sondern die extra-embryonale Membran außenrum, die den Embryo schützen während er wächst.
Aber sie sind auch aus Zellen gemacht, also müssen sie während der frühen Entwicklung
um das Embryo herum wachsen, und das ist eine gute Sache weil es
vor dem Austrocknen schützt, oder auch vor Infektionen.
Aber – in der späteren Entwicklung muss sie sich öffnen und zurückziehen,
sonst bleibt der Embryo in seiner Entwicklung stecken.
Uns interessiert erstmal, wie die Membran wächst und sich entwickelt,
und später dann, wie sie sich aktiv zusammenfaltet und zurückzieht.
Es ist eine Art Yin und Yang-Prozess, die beiden Teile gehören eng zusammen.
Dabei müssen die Zellen sich erst ausbreiten und sehr, sehr dünn werden.
Dabei verändern sie komplett ihre Form. Und später, wenn sie sich zusammenfalten,
müssen sie genau wissen wie sie sich zu falten haben in Abstimmung
mit den ganzen anderen Zellen rundherum.
Und da sie extra-embryonal sind, werden sie schließlich sterben.
Wir haben also am Ende einen kontrollierten Zelltod,
damit sich der Embryo normal weiterentwickeln kann.
In der Wissenschaft sind ja viele Erkenntnisse das Resultat glücklicher Fügungen.
Du denkst, du hast diese tolle Hypothese und du weißt genau was du testen willst.
Aber manchmal sind die Zufälle am Rande dessen,
was man prognostiziert hat, die viel interessanteren Ergebnisse.
Und das ist gut so, denn wenn wir alles immer im Voraus wüssten, bräuchten wir keine Forschung.
In meiner Doktorarbeit wollte ich ein bestimmtes Gen in der Milchkrautwanze untersuchen.
Wir dachten, basiert auf andere Spezies, dass dieses Gen bei der Bildung des
extra-embryonalen Gewebes eine wichtige Identitätsstiftende Rolle spielt.
Am Anfang der Entwicklung hat man ja eine befruchtete Zygote,
in der das Ei und das Spermium zusammen gekommen sind.
Nach ein paar Zellteilungen hast du eine ganze Menge Zellen.
Aber es ist immernoch eine einheitliche Gewebefläche, noch nicht differenziert.
Und hier kommen die Gene, die wir untersuchen, ins Spiel.
Die sagen: okay dieser Teil wird der Kopf, dieser die Muskeln und dieser Teil wird extra-embryonal.
Und wir dachten dieses Gen wäre zuständig für das Kommando,
„Ihr werdet extra-embryonales Gewebe“, und hatten große Pläne,
wie wir den ganzen Prozess im Detail untersuchen wollten.
Aber als ich das Gen dann näher untersuchte, stellte sich heraus,
dass es zwar wichtig ist in der Entwicklung, auch in der embryonalen Entwicklung,
im Bereich des Extra-Embryonalen - aber dass es rein gar nichts
mit Frühentwicklung, Identität oder Spezialisierung der Zellen zu tun hat.
Diese armen Kerle entwickelten sich nicht zu kleinen Insekten weiter,
die aus dem Ei schlüpfen und herumkrabbeln.
Stattdessen war bei ihnen buchstäblich das Innerste nach außen gekehrt.
Ich konnte sehen das der kleine pigmentierte Körper ganz schön winzig war,
hier ist mein ganzes Ei...und der Rest war dieses weiße Zeug.
Ich dachte es wäre Teil des Dotters, das nicht gebraucht wird.
Erst viel später habe ich begriffen, dass dieses weiße Zeug
das Organgewebe außerhalb des Körpers ist.
Und nachdem ich mich die ganze Zeit bemüht hatte, den kleinen Körper bloß nicht zu beschädigen,
habe ich ihn dann eines Tages doch geöffnet und plötzlich sprangen mir die Beine entgegen!
Die Antennen und Beine hatten sich zwar normal entwickelt, aber nach Innen,
und da war nicht viel Platz, also – puff – ganz schön dramatisch
wenn man das stark vergrößert durchs Mikroskop anguckt.
Und natürlich, wie offenbar mit allen spannenden Entdeckungen,
passierte es spät an einem Freitagabend.
Damals war ich gerade als Gastwissenschaftlerin in einem Labor in den USA,
an dem schon sehr viel über diese spezielle Insektenart geforscht worden ist.
Um diese Uhrzeit waren schon alle nach Hause gegangen.
Und ich dachte, oh, das ist richtig aufregend, ich weiß nicht genau, was hier vorgeht,
aber ich muss es jemandem erzählen... Also hab ich meine Eltern angerufen!
Ich war ausnahmsweise sogar in der gleichen Zeitzone, also war es zwar schon etwas spät,
aber nicht zu schlimm...“Mama, Papa, ratet mal was ich gerade gemacht habe!”
„Was, Schatz?“ „Ich habe ein Insekt von innen nach außen gekrempelt...” --
„Oh gut gemacht, Schatz!” Meine Eltern sind klasse.
Sie sind keine Wissenschaftler, aber sie bemühen sich, zu verstehen was los ist,
und haben generell die Haltung: wenn es gut läuft und ich glücklich bin, sind sie für mich glücklich.
Das ist wirklich ziemlich süß.
Ich bin eigentlich sehr gut organisiert.
Ich habe jedes einzelne Labortagebuch das ich je hatte, behalten und die meisten sind
fortlaufend nummeriert, von Anfang an. Jetzt bin ich bei Buch 10, Seite...ich weiß nicht.
Aber weil ich diese Experimente als Gastwissenschaftlerin in einem anderen Labor gemacht habe,
ist dieses hier kein gebundenes Notizbuch, sondern ein Ringbuch.
Ich weiß nicht ob man es sehen kann, aber es ist eine Weile her.
Und das war tatsächlich der Anfang von dem, was ich seither mache.
Es war insofern der Startpunkt, weil..
Als ich anfing, darüber nachzudenken, was falsch gelaufen war -
das war ja alles sehr dramatisch, verkehrt herum zu sein -
da habe ich überhaupt erst verstanden, was die normale Entwicklungssituation ist.
Und ich dachte: das ist unglaublich kompliziert, aber auch unglaublich schön.
Okay, ich will mehr darüber wissen!
Und das war schon ein Richtungswechsel in meiner Forschung.
In mein Notizbuch hier... Ich war sehr gewissenhaft und präzise, mit vielen kleinen Notizen.
Ich habe meine Proben und Eier jede Stunde, alle 2 Stunden - sehr oft jedenfalls kontrolliert.
Es war das erste Mal, das ich sowas gemacht habe, und ich war sehr aufgeregt.
Und meine erste offizielle Beschreibung im Labortagebuch, von diesen neuen Ergebnissen,
ist hier: dass ich “nekrotische Zombies” generiert habe.
Aber ich muss sagen – wenn man so einen neuen Befund wie diesen bekommt,
dann macht es richtig Spaß.
Da ist dann kein vorgegebenes Protokoll wie „prüfe dies and das and dann das,”
sondern man verlässt sich einfach auf das, was man weiß, und tut sein Bestes
und guckt was Sinn macht und was man raus finden kann...
Ja, die Synthese, das Zusammensetzen der Teile, das ist richtig spannend,
da kommt dann das ‚Neue’ herein.
Ja, ich bin ein sehr visueller Mensch.
Obwohl ich einen fachübergreifenden Hintergrund in organische Chemie und Mathematik habe,
sind meine Daten hier letztlich Bilder und Farben.
Wir setzen zum Beispiel verschiedene Färbetechniken ein, um zu sehen,
wo ein Gen aktiv ist, in welchem Gewebe in welchem Entwicklungsstadium.
Und dann benutzen wir Mikroskope, um Bilder von solchen Sachen zu machen.
Als ich sieben war, habe ich schriftliches Dividieren gehasst, einfach weil ich es nicht kapiert habe,
und ich dachte, nein, sowas mache ich nicht!
Ich werde Künstlerin und werde einfach jedes Bild für eine Million Dollar verkaufen,
kein Problem. Das war natürlich nicht sehr realistisch...
Aber ich habe Bildende Kunst immer geliebt, also habe ich jeden Sommer Kurse belegt:
Zeichnen, Malen, Bildhauerei, oft auch während der Schule, wenn ich’s geschafft habe,
und habe sogar während meines Studiums weiter gemacht.
Als ich ein Teenager war, dachte ich, okay, wenn ich nicht zur Uni gehe,
würde ich total gerne im Studio eines bestimmten Künstlers mitarbeiten,
der Glas bläst und all diese wunderschönen Glas-Skulpturen kreiert.
Es ist ganz schön zu wissen, wenn ich nicht dies hier gemacht hätte,
wären andere Wege möglich gewesen.
Aber auf eine Art hat alles was ich hier tue, auch wieder einen künstlerischen Aspekt:
die Bilder betrachten, oder wenn ich sage, dass das, was ich tue, „schön“ ist.
Da schwingt immer auch eine ästhetische Qualität mit.
„Schön“ heißt, dass ich live-Aufnahmen machen kann, auf denen man die Strukturen
in der Zelle sehen kann. Zum Beispiel den Zellkern oder den Umriss einer Zelle,
grün fluoreszierend oder rot,
und man kann richtig zuschauen und sehen was passiert:
wie die Zellen sich neu anordnen, um eine neue Struktur zu bilden.
Und es ist einfach schön, dass man hier genau sehen kann, wie Entwicklung funktioniert.
Diese Komplexität der Morphogenese und die Tatsache, dass sie so robust ist –
ich finde das einfach unglaublich!
Und diesen Mechanismus versuche ich, mit meiner Forschung zu verstehen.
Wie geht das eigentlich?
Wie kann etwas so Kompliziertes so zuverlässig funktionieren?