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Nürnberg, 1945. Im Justizpalast in der Fürther Straße wird der Prozess des Jahrhunderts, der internationale Kriegsverbrecherprozess, stattfinden. Auf Vorschlag von General Lucius Clay und unter Zustimmung der drei anderen Alliierten wird Nürnberg, die einstige Stadt der Reichsparteitage ausgewählt, da sowohl das Gerichtsgebäude wie das anschließende Gefängnis unzerstört sind.
Unter Aufsicht der Amerikaner renovieren deutsche Handwerke den Saal, machen Umbauten und die Einbauten des Podiums für das Gericht, der Anklagebank, der Pressetribüne für 250 Journalisten und für eine Zuschauertribüne für 120 Personen.
Alle Sitze werden mit Kopfhörern versehen. Eine große Leinwand wird installiert für die Projektion von Karten, Dokumenten und Filmen. Moderne Neonröhren und Lampen werden aufgehängt.
Im September ist der Saal 600 fertig. Die vier Fahnen der Alliierten werden hinter der Richterbank angebracht. Die Generalprobe und der Prozess können beginnen.
Ein Probelauf mit Erläuterungen. „Ich kann Ihnen versichern, dass diese Schwierigkeiten schnell behoben werden können und dass Sie keine Bedenken haben sollten bezüglich der erfolgreichen Arbeit der mechanischen Ausrüstung. Der Erfolg hängt von den elektrischen Tonaufnahmen ab, die eine schnelle Wiedergabe ermöglichen."
„Heute wird Mr. Dostev (phon.) ein Schauspiel inszenieren mit Richtern und Sprechern um das zu veranschaulichen."
Das Justizgebäude mit den Fahnen der vier Alliierten. Vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946 findet der Prozess des Jahrhunderts statt. Mit 21 Angeklagten, 8 Richtern, 100 Anklägern, 100 Zeugen und 70 Verteidigern. Die vier Alliierten wechseln sich bei der Bewachung ab. Der Gerichtssaal und das Gefängnis unterstehen den Amerikanern, die für Sicherheit, Unterbringung und Verpflegung verantwortlich sind.
Nürnberg ist zum Sperrgebiet erklärt worden. Die Zufahrtsstraßen zum Justizgebäude sind abgeriegelt. Nur mit Sonderausweis kommt man in den Justizpalast. 20. November 1945. Der erste Verhandlungstag.
„Achtung, das Gericht." 2 Mal täglich betreten die acht Richter den Gerichtssaal: Zwei Franzosen, das ordentliche Mitglied Donnedieu de Vabres, Professor der Rechte, sein Stellvertreter Robert Falco, ein Richter, zwei Amerikaner, Francis Biddle, der stellvertretende Vorsitzende des Gerichtes, sein Stellvertreter John Parker. Zwei russische Offiziere, Generalmajor Nikitchenko und Oberstleutnant Wolkow. Der Vorsitzende Richter, Sir Geoffrey Lawrence und sein Stellvertreter, Norman Birkett.
„Aufgrund der Vorschriften des Status verfüge ich nunmehr, dass die Anklageschrift verlesen wird."
Auf Wunsch des Gerichtes verlesen die Hilfsankläger die 49 Seiten lange Anklageschrift, obwohl die Anklage und die Verteidigung darauf verzichten wollten. Doch der Vorsitzende ordnete die Verlesung an. Die vier Anklagepunkte werden verlesen.
„Den Ausführungen der Londoner Konferenz vom 8. August 1945 und des Statuts des Gerichtshofs beschuldigen die oben genannten Regierungen die Angeklagten der Verbrechen gegen Frieden, Kriegsrecht und Humanität und eines gemeinsamen Planes, einer Verschwörung zur Ausü*** dieser Verbrechen und klagen an:
Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walther Funk, Hjalmar Schacht, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Martin Bormann, Franz von Papen, ..."
Einige der Hauptschuldigen fehlen. Robert Ley hat Selbstmord begangen. Kaltenbrunner hat einen Schlaganfall erlitten, Martin Bormann, Sekretär Hitlers ist vermisst, wird aber angeklagt, in Abwesenheit.
Adolf Hitler hat kurz vor seinem Tod seine Freundin Eva Braun geheiratet und begeht mir ihr am 30. April, Selbstmord. Die Russen finden nur die verkohlten Leichen im Garten der Reichskanzlei.
Auch der im Testament Hitlers zum Reichskanzler ernannte Propagandaminister Josef Goebbels hat in der Nacht zum 1. Mai mit seiner Frau und seinen fünf Kindern Selbstmord in der Reichskanzlei begangen. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, vergiftet sich bei seiner Entdeckung in der Nähe von Lüneburg am 23. Mai 1945 mit Zyankali. Martin Bormann, der Einflussreichste in der Reichskanzlei, ist seit seinem Ausbruch aus Berlin in der Nacht zum 1. Mai 1945 vermisst. Krupp wird nach einem Schlaganfall für Verhandlungsunfähig erklärt.
Hermann Göring, sprach bei Augsburg vor einer internationalen Pressekonferenz. Hitler hatte Göring am 20. April aus der Partei ausgestoßen und zu Tode verurteilt. Nach dem Tod von Hitler glaubt Göring mit General Eisenhower über die Zukunft Deutschlands verhandeln zu können. Aber die Amerikaner verhaften ihn. Er musste seine Orden, seine Rangabzeichen und seinen Reichsmarschallstab abgeben und wurde wie ein Krimineller fotografiert und in ein Gefängnislager überführt.
Julius Streicher, als Maler verkleidet, und Robert Ley wurden in Bayern verhaftet. In Karlshorst wurde am 8. Mai die bedingungslose Kapitulation von General Feldmarschall Keitel unterschrieben. Eine Woche später wird er verhaftet. Jodl, Dönitz und Speer, drei Mitglieder der von Hitler ernannten Reichsregierung werden am 23. Mai bei Flensburg verhaftet und ins Lager Mohndorf überführt. Rudolf Heß, der am 10. Mai 1945 nach England flog, wird Anfang Oktober noch in seiner Pilotenausrüstung von England nach Nürnberg zu Vernehmungen ins Gefängnis gebracht.
Viele der Gefangenen: Minister, Staatssekretäre, Angehörige der Wehrmacht, Luftwaffe, der Marine, aber auch der SS und Gestapo wurden in ein Luxushotel in Mohndorf in Luxemburg gebracht und erwarteten dort die Entscheidung der Alliierten, wer in Nürnberg angeklagt werden sollte.
Die Häftlinge wurden zuvorkommend behandelt, durften Ausflüge machen, sich gegenseitig besuchen und im Park spazieren gehen. Die Verpflegung war ausreichend. Sie durften aber keinen Kontakt zu ihren Familien haben.
Am 12. August wurden die Angeklagten von Luxemburg nach Nürnberg geflogen. Nur von Neurath wurde von den Franzosen, Raeder und Fritzsche von den Russen überstellt, Rudolf Heß von den Engländern. In einem Stock des Gefängnisses werden die 21 Angeklagten in Einzelzellen untergebracht. Sie haben keinen Kontakt nach Außen und untereinander. Nach dem Selbstmord von Reichsgesundheitsführer Conti am 6. Oktober und Robert Ley am 25. Oktober ordnete der Gefängnisdirektor Einzelbeobachtung an.
Mit der Anklageschrift hatten die Angeklagten eine Liste von Anwälten aus ganz Deutschland erhalten. Sie durften ihre Verteidiger auswählen. Nach ihrem ersten Zusammentreffen wählten sie Dr. Dix zu ihrem Sprecher und erhoben schriftlich Protest gegen die Zuständigkeit des Gerichtes und baten um ein Gutachten und amerikanische Ratgeber, da sie mit der anglo-amerikanischen Prozessordnung nicht vertraut waren. Alle 21 Angeklagten und ihre Verteidiger hatten am 18. Oktober die 49 Seiten lange Anklageschrift mit den drei Anlagen A, B, C, erhalten, deren Inhalt sich auf vier Punkte bezog. Punkt 1: Gemeinsamer Plan oder Verschwörung. Punkt 2: Verbrechen gegen den Frieden. Punkt 3: Kriegsverbrechen. Punkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Anhang A: Feststellung der Verantwortlichkeit von Einzelpersonen. Anhang B: Feststellung der Kriminalität von Gruppen oder Organisationen. Anhang C: Verletzung 26 internationaler Verträge.
Hermann Göring, angeklagt nach den Punkten 1-4. Karl Dönitz, angeklagt nach den Punkten 1,2 und 3. Rudolf Heß, angeklagt nach den Punkten 1-4. Die Angeklagten Göring und Heß sehen sich nach vier Jahren zum ersten Mal wieder.
Erich Raeder, angeklagt nach den Punkten 1,2 und 3. Joachim von Ribbentrop, angeklagt nach den Punkten 1-4. Baldur von Schirach, angeklagt nach den Punkten 1 und 4. Wilhelm Keitel, angeklagt nach den Punkten 1-4. Fritz Sauckel, angeklagt nach den Punkten 1-4. Julius Streicher, angeklagt nach den Punkten 1 und 4. Albert Speer, angeklagt nach den Punkten 1-4. Wilhelm Frick, angeklagt nach den Punkten 1-4. Göring und Heß, die Angeklagten Nummer 1 und Nummer 2. Alfred Jodl, angeklagt nach den Punkten 1-4.
Der Anwalt von Rosenberg, Dr. Thoma, erhebt Einspruch und verlangt eine Unterbrechung. „Es haben mir eine Reihe von Kollegen eben erklärt, dass sie in derselben Lage sind wie ich, insbesondere Herr Dr. Sauter. Vorgestern sind wir darüber aufgeklärt worden, ob wir auf die Frage „schuldig" oder „nichtschuldig" nur erklären dürfen „Ja" oder „Nein", oder ob eine weitere Erklärung, eine größere Erklärung abgegeben werden darf. Über diese Frage wissen wir erst seit vorgestern Bescheid, hatten also keine Gelegenheit, längere Zeit mit dem Angeklagten darüber zu sprechen." „Wir werden jetzt den Prozess für 15 Minuten unterbrechen, um Ihnen die Möglichkeit zu bieten, mit ihrem Klienten zu sprechen."