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Kapitel 5 Coco
ES WAR EINMAL …
Ein kleines Mädchen, das sein Leben lang seine bescheidene Herkunft versteckte
und lieber seine eigene Legende erfand.
ES WAR EINMAL …
Ein Mädchen namens Gabrielle Chanel, das im Sternzeichen des Löwen geboren wurde,
der Vater ein Straßenhändler,
die Mutter eine Wäscherin, die, vom Leben ausgelaugt, mit 32 Jahren starb.
ES WAR EINMAL …
Ein Vater, der seine fünf Kinder verließ
und seine drei Töchter in ein Waisenhaus schickte.
Im Alter von zwölf Jahren sah Gabrielle ihn zum letzten Mal.
Für den Rest ihres Lebens gab sie vor, er sei nach Amerika ausgewandert.
ES WAR EINMAL …
Ein Waisenhaus hinter den Mauern eines Klosters:
die Abtei von Aubazine, wo Gabrielle fast sieben Jahre verbrachte.
Die klaren romanischen Linien dieser asketischen Welt
haben ihren Sinn für Schlichtheit
und ihre Vorliebe für Schwarz und Weiß geprägt,
während die Pracht der religiösen Gewänder und zeremoniellen Gegenstände
ihre spätere Faszination für alles Barocke,
Gold und farbige Steine Wecken sollte.
ES WAR EINMAL …
Ein wunderschönes junges Mädchen, das seine Tage mit Nähen verbrachte
und nachts vor Kavallerietruppen
in einem Varieté sang.
Sie wurde „Coco“ genannt,
weil sie oft „Qui qu'a vu Coco?“ sang.
Sie gab lieber vor, Coco sei der Spitzname, den ihr Vater ihr gegeben habe.
ES WAR EINMAL …
Eine junge Frau mit jungenhaftem Erscheinungsbild,
die sich weigerte, die Pferde eines Kavalleristen aus reichem Hause,
Etienne Balsan, im Damensattel zu reiten.
Sie kleidete sich wie niemand sonst,
inspirierte sich dabei an der Herrengarderobe
und erfand neue Stile für Hüte, die sie von Vögeln
und Federn befreite, um sie schlichter, leichter, eleganter zu machen.
Ihre ersten Kundinnen waren berufstätige junge Frauen, doch bald schon folgte die feine Gesellschaft.
ES WAR EINMAL …
Eine große Liebe namens Boy Capel,
ein Engländer, reich und gebildet.
Er war der Mann ihrer Träume.
Er weckte ihre Liebe für die Literatur, den Orient, die Esoterik.
Boy half Coco, Chanel zu werden.
Sie beschloss, ihre ersten Boutiquen
in Paris, Deauville und Biarritz zu eröffnen.
Sie wollte arbeiten, um frei zu sein.
ES WAR EINMAL …
Als Coco Chanel in einem Geniestreich
die weibliche Silhouette verwandelte,
brach eine regelrechte Revolution aus.
Sie kürzte Kleider,
brachte die Fesseln zum Vorschein,
befreite die Taille,
ließ Korsetts verschwinden, erweckte den Jerseystoff zu neuem Leben,
schnitt ihr Haar kurz und bräunte ihre Haut in der Sonne.
Chanel schloss eine Ära ab und begann ein neues Mode-Jahrhundert.
ES WAR EINMAL …
Rue Cambon 31.
Hier eröffnete Mademoiselle Chanel 1918 ihr erstes Couture-Haus in Paris.
Das kleine Mädchen vom Land aus der Auvergne,
die Waise aus Aubazine, war zur Königin von Paris geworden.
Bevor sie die Frauen befreite, hatte sie sich selbst befreit.
ES WAR EINMAL …
Eine Liebesgeschichte, die abrupt endete.
Boy Capel starb bei einem Autounfall.
Zum ersten und letzten Mal sah man Coco Chanel weinen.
„Entweder ich sterbe auch“, sagte sie, „oder ich beende, was wir gemeinsam begonnen haben.“
Sie beschloss weiterzumachen.
Fortsetzung folgt …