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Wir müssen unsere Kultur de-kolonisieren.
Jetzt ist der Punkt, an dem ich weiß:
Jetzt muss ich es tun, der Moment stimmt.
Du bist als Französin aufgewachsen.
Hat das deine Musik beeinflusst?
Ich würde sagen ja. Aber mehr noch
die der Immigranten in Europa.
In Frankreich gibt es Musik aus Marokko
und Algerien. Auch diese Menschen
haben ihre Heimat verlassen. Gibt's da
einen Bezug oder ist es nur der Sound?
Beides spielt mit rein,
denn die Geschichte des Krieges
ist immer die Geschichte der Immigration.
Wir sind ein Planet der Immigration.
Es gibt keine reinen Nationen,
überall gibt es Globalisierung
und den Zusammenfluss vieler Menschen.
Aber manche Menschen
ziehen mehr umher als andere.
Ja, sicher, aus verschiedenen Gründen.
Aber dennoch beeinflusst das die Kultur
des Landes. Für mich ist das spannend.
Als du nach Chile zurückkamst,
bist du da in die chilenische Rap-Szene
eingetaucht? Gab es denn eine?
Eine Hip-Hop-Szene?
Es gab eine, aber nicht so groß.
Hat dich das gleich angesprochen?
Ja, schon in Frankreich.
Meine Mutter war Sozialarbeiterin,
und ich kam immer mit.
Die hörten alle immer Hip-Hop
und ich dachte wow!
Diese Welt ist der Hammer.
Und Hip-Hop war für mich ein Land
von Menschen, die kein genaues Land haben.
Ein anderes Land.
Hip-Hop war für mich schon immer
ein Land mit Menschen,
die aus vielen verschiedenen Ländern kommen.
Und für die politisch interessierte Jugend
in Chile stand Hip-Hop für Nordamerika.
Es war der Kapitalismus, der Feind.
Und diese Leute sagten nicht: Moment mal,
das ist die Seele des Immigranten,
also des Afroamerikaners
in den USA oder Europa.
Aber so langsam ist die Szene gewachsen.
Jetzt ist sie riesig.
Wie ist der Bezug
zum amerikanischen Hip-Hop?
Für mich?
Für dich und ganz allgemein
für die Szene in Chile.
Für mich ist da ein großer Widerspruch.
Das sage ich jetzt mal so.
Ich will da ganz ehrlich sein.
Als ich noch klein war,
stand Nordamerika für das Land,
das die Diktaturen in Südamerika ermöglichte.
War es ja auch.
Das erste Mal fuhr ich nach Nordamerika,
um dort zu touren.
Ich war gespannt, wie es war und gleichzeitig
gab es dort diese unglaubliche Musik.
Von Hip-Hop zu Jazz und Blues,
dort gibt es unglaubliche Musiker.
Ich wusste nicht, was da auf mich zukommt.
Als ich dort ankam, ich muss sagen, bis heute...
Ich habe mich richtig
in diese contracultura in Nordamerika verliebt.
Die ganze unglaubliche Musik-Kultur.
Viele Chilenen hören Musik
aus der nordamerikanischen Hip-Hop-Szene,
ohne zu wissen, was sie sagen.
Aber ich glaube, die Leute interessieren sich
immer mehr dafür, was sie hören.
Wenn man es übersetzt, sagen sie:
Ist doch nicht so gut wie ich dachte.
Ich glaube, es gibt so viele Gegenden
in Nordamerika, wo Spanisch gesprochen wird,
und die Szene ist so groß,
deshalb hören immer mehr Chilenen
lateinamerikanischen oder spanischen Hip-Hop.
Dann verstehen sie auch die Texte.
Deine erste Band war Makiza.
Es war eine Hip-Hop-Gruppe.
Wir kamen wegen der Vergangenheit zusammen.
Wir hatten alle die gleiche Geschichte.
Gaston kam in Kanada zur Welt,
Cristian zwar in Chile,
hat aber in der Schweiz gelebt,
Jean-Paul ist in Frankreich geboren
und er hat in Afrika gelebt.
Wir kamen alle ungefähr
zur selben Zeit in Chile an.
Wir kamen zusammen, weil wir Hip-Hop liebten
und aus anderen Ländern kamen.
Diese Sache mit der Immigration.
Das war die DNA der Gruppe.
2006 habt ihr euch aufgelöst.
Gab es einen Grund,
warum du alleine weitermachen wolltest?
Wir hatten nicht die gleiche Vision.
Also war die Trennung logisch.
So sehe ich das.
Wir verliebten uns nicht mehr in das,
was wir gemeinsam taten.
So kam ich auch dahin, wo ich heute bin.
Ja, ich mache seit 15 Jahren Hip-Hop.
Ich liebe es. Und ich habe so viele französische,
nordamerikanische, deutsche Bands
und so weiter gehört,
aber ich stelle mir immer wieder die Frage:
Wir schauen nach Norden, aber wir haben
genauso geniale Musik hier in Südamerika.
Warum mischen wir das nicht?
Warum waren wir so blind, dass wir
nicht gesehen haben, was bei uns selbst geht?
Von der Technik her, Percussions,
ganz bestimmte Instrumente.
Lateinamerika ist reich an Musik.
Und ich sage jetzt: OK, für mich ist es Hip-Hop,
aber ich muss all diese Instrumente erkunden
und Wege finden,
wie man das alles verbinden kann
und das alles weiter erkunden kann. So etwa...
Wann hast du das für dich entdeckt?
War die chilenische Musik schon immer in dir,
aber du konntest sie nicht ausdrücken?
Ich glaube, sie war immer in mir,
aber ich hatte Bammel davor,
weil ich chilenische Musik liebe.
Victor Jara etwa war ein toller Komponist,
den ich schon als Kind hörte.
Die Platte hab ich immer noch.
Diese Musik ist wie die Biografie meines Lebens.
Sie ist die Musik meiner Eltern,
aber immer noch da.
Sogar brasilianische Musik, Chico Buarque
oder Daniel Viglietti und so,
da gibt es so viele Komponisten, und für mich...
..sind diese Komponisten so wichtig.
Ich hatte einfach Angst und war vielleicht
auch nicht bereit, zu sehen,
dass es nicht nur dies, sondern auch das gibt
und zu sagen: Warum mischen wir das nicht?
Wir müssen unsere Kultur de-kolonisieren.
Wir wurden total kolonisiert,
und jetzt dauert es lange, bis wir
unsere Vision von Musik de-kolonisiert haben.
Wir müssen sehen, wer wir sind,
wo wir leben, wohin wir gehen wollen
und nicht die Erwartungen der anderen
oder des Marktes erfüllen.
Ich kam an den Punkt, wo ich sagte:
Mir ist egal, was der Markt von mir erwartet.
Ich brauche das wirklich.
Das ist ein langsamer Prozess.
Dieser Prozess, dass du mehr
nach traditioneller Musik suchst als vorher,
gab es da ein Album, mit dem das anfing?
Das hab ich noch nicht aufgenommen.
Du fängst jetzt erst an?
Tut mir leid. Ich weiß.
Das will ich schon seit vier Jahren machen.
Ich sagte: Wisst ihr was? Das sollten wir
zum Beispiel mit Musik aus Nordchile mixen.
Einige Freunde, Hip-Hop-Produzenten,
die ich sehr schätze, sagten: Nein. Du spinnst.
Na ja, vielleicht doch. Weißt du?
Sie war also schon immer da, aber jetzt
glaube ich, ist der Moment da, es zu tun.
Das nächste Album wird so,
das Album, das wir gerade aufnehmen.
MEHR SEHEN: ANA TIJOUX ÜBER POLITIK,
WIDERSTAND & IHRE KINDHEIT
Untertitel von Stephanie Geiges
Die neue Generation nach der Diktatur,
die in den Hungerstreik tritt
und gegen die Polizei kämpft.
Ich dachte: Eine ganz andere Energie.