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Emily Dickinson sagte vor über einem Jahrhundert,
dass uns keine Fregatte so mit ins Weite nähme wie ein Buch,
und das ist wahr.
Wenn wir ein Buch lesen, den Fernseher anschalten oder einen Film schauen,
werden wir durch den Lauf der Geschichte in unsere Vorstellungswelt mitgenommen.
Wenn wir am Strand landen, ist alles neu, aber auch vertraut.
Etwas Seltsames geschieht.
Sobald wir am Strand landen, haben wir uns verändert.
Wir verfolgen die Fußabdrücke der Schriftsteller oder Figuren, denen wir hierher gefolgt sind,
nicht zurück: Nein. Stattdessen laufen wir zwei Kilometer in ihren Schuhen.
Psychologen, Neurologen, Biologen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der Kindesentwicklung
erlangen endlich viele wissenschaftliche Beweise,
die belegen, was Schriftsteller und Leser bereits gezeigt haben,
nämlich dass Geschichten die einzigarte Fähigkeit haben, den Standpunkt einer Person zu ändern.
Gelehrte entdecken Beweise, dass Geschichten die Kultur formen,
und dass vieles, woran wir im Leben glauben, nicht von Fakten,
sondern von Fiktion stammt; dass unsere Vorstellungen
von Klasse, Heirat und sogar dem Geschlecht
relativ neu sind; und dass viele Ideologien, an denen jahrhundertelang festgehalten wurde,
in der Mitte des 18. Jahrhunderts überdacht und in Romanen neu entworfen wurden.
Stellt euch eine Welt vor, in der die Klasse, und nicht harte Arbeit, den Wert einer Person bestimmt.
Eine Welt, in der Frauen einfach die ungezähmtere Version der Männer sind.
Eine Welt, in der eine Liebesheirat eine ganz neue Vorstellung ist.
Das war die Welt, in der Samuel Richardsons „Pamela“ zuerst erschien.
In Richardsons Liebesgeschichte gibt es die Heldin, ein armes Dienstmädchen,
das moralisch überlegen und klüger als ihr Verehrer aus der Oberschicht ist.
Dieses Buch, das viele Traditionen kritisch hinterfragte,
sorgte für ziemlichen Aufruhr.
Die Presse berichtete mehr über „Pamela“ als über das Parlament.
Es löste eine lebhafte Debatte aus und einige Anti-Romane wurden veröffentlicht,
für diejenigen, die „Pamela“ einfach nicht akzeptieren konnten.
Andere wollten eifrig diese neue fiktive Welt entdecken.
Dieser Bestseller und all seine literarischen Erben,
„Stolz und Vorurteil“, „Jane Eyre“ und selbst „Twilight“
erzählen immer die gleiche Geschichte und lehren uns ähnliche Dinge,
die heute zu den Konventionen gehören und Normalität sind.
Auf ähnliche Weise haben Romane das Denken
bedeutender Persönlichkeiten der Geschichte geformt.
Einige Gelehrte sagen, dass Darwin seine Evolutionstheorie
besonders den Geschichten, die er las und liebte, verdankt.
Seine Theorie bevorzugt Intelligenz,
Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit – alles Haupteigenschaften eines Helden.
Ob ihr nun „Harry Potter“ oder „Große Erwartungen“ lest,
diese von Art Geschichten haben Darwin inspiriert.
Jedoch zeigen jüngste Studien, dass seine Theorie nicht die ganze Geschichte erzählen.
Unsere Vorstellung eines Helden – Mann oder Frau, oder sogar eine Spezies,
die sich den Herausforderungen der Welt stellt, könnte falsch sein.
Anstatt auf Konkurrenten programmiert zu sein,
um der einzige Held in unserer Geschichte zu sein,
könnten wir auch gemeinsam auf der Suche sein.
Mehr Hobbit als Harry.
Manchmal nutzen sich natürlich die Schuhe, in denen wir gelaufen sind, einfach ab.
Wir sind schließlich in Jane Austens oder Mark Twains Schuhen nicht nur 2 km,
sondern hunderte Millionen Kilometer gelaufen.
Das heißt nicht, dass wir nicht die Klassiker lesen und genießen können.
Wir sollten mit Charles Dickens reisen
und uns von Pip erklären lassen, was wir von uns selbst erwarten können,
und ein Gespräch mit Jane Austen und Elizabeth über Stolz und Vorurteile führen.
Wir sollten mit Mark Twain über den Mississippi schippern
und uns von Jim zeigen lassen, was es bedeutet gut zu sein.
Aber auf unserer Reise sollten wir jedoch nicht vergessen,
dass sich das Terrain verändert hat. Wir suchen nach Stiefeln,
die dafür gemacht wurden, eine neue Ära zu betreten.
Nehmen wir zum Beispiel Katniss Everdeen und ihren Kampf gegen das Kapitol.
Können uns „Die Tribute von Panem“ dazu bringen, anders über Kapitalismus zu denken?
Können sie uns lehren, warum sich das Individuum nicht vor die Gruppe stellen sollte?
Wird die „Ugly“-Trilogie die Gefahren des Strebens nach einem perfekten Körper widerspiegelt
und die Medien definieren lässt, was Schönheit ist?
Wird die „Seekers“-Reihe uns auf einen Weg jenseits der globalen Erwärmung führen?
Werden uns die Kämpfe von Toklo,
Kallik, Lusa und der anderen Bären um Leben und Tod einen Weg aufzeigen,
die Tiere und unsere Stellung in ihrer Welt zu verstehen?
Nur die Zukunft kann uns sagen, welche Geschichten uns in den Bann ziehen,
welche uns glauben machen, dass wir ein neues Morgen schaffen.
Die gute Nachricht ist:
Es gibt jeden Tag neue Geschichten zu entdecken.
Neue Geschichten, die versprechen, den Wandel zu beeinflussen, herbeizuführen und einzuleiten.
Geschichten, die sogar von euch stammen könnten.
Also ist die letzte Frage wohl:
An welche Geschichte macht ihr euch als Nächstes?