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STAMMZELLEN - DIE ZUKUNFT
EINE EINFÜHRUNG ZUM THEMA iPS- ZELLEN
Ein Film von Amy Hardie und Clare Blackburn
Eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen dieses Jahrhunderts
machte ein japanischer Mediziner, der sich für die Wissenschaft entschied.
Zehn Jahre befasste sich Shinya Yamanaka bereits
mit der Stammzellenforschung,
als er das Verständnis von Humanbiologie grundlegend veränderte.
Shinya Yamanaka ist Mediziner und Wissenschaftler.
Er war an Behandlungsmöglichkeiten
für Patienten mit unheilbaren Rückenmarksverletzungen interessiert.
Ich war ein orthopädischer Chirurg,
betrieb also damals keine Stammzellforschung.
Das war vor 20 Jahren.
Aber ich hatte viele schwierige Patienten
mit Rückenmarksverletzungen.
Für diese Menschen gab es keine Behandlungsmöglichkeiten.
Dies weckte mein Interesse an der Grundlagenforschung.
Ich dachte, vielleicht könnte ich dann
eines Tages diese Patienten behandeln und ihnen helfen.
Shinya Yamanakas Wunsch, seinen Patienten zu helfen
führte zu einem brillanten Experiment.
Es führte uns über die Grenzen unseres Wissens hinaus
und offenbarte etwas Außergewöhnliches.
Es gibt zwei Arten von Stammzellen.
Adulte oder Gewebsstammzellen erzeugen Zellen ihres eigenen Gewebes.
Blutstammzellen erzeugen Blut, Muskelstammzellen Muskelzellen usw.
Eine weitere Art von Stammzelle ist die embryonale Stammzelle.
Diese Zellen nennt man auch pluripotent,
sie können neue Stammzellen,
aber auch jeden Zelltyp produzieren, aus dem der Körper besteht.
Die adulten Gewebsstammzellen
sind speziell dafür vorgesehen, Gewebe zu reparieren und zu erhalten.
Embryonale Stammzellen repräsentieren ein sehr frühes Entwicklungsstadium,
wo es noch keine Muskeln, kein Blut oder Knochen gibt.
Außer diesen Zellen gibt es dort eigentlich nichts.
Am Anfang gibt es den frühen Embryo und die pluripotenten Gründerzellen,
dann gibt es Einschränkungen und die Zellen legen sich fest.
So ist der Körper aufgebaut und es wäre ein Chaos,
wenn sich Zellen plötzlich von einem Typ in einen anderen verwandeln könnten.
Shinya wusste bereits von früheren Experimenten,
dass man die Entwicklung umkehren kann und eine spezialisierte Zelle,
von Wissenschaftlern differenziert genannt,
embryonale Zellen produzieren kann.
Aber niemand wusste, wie dieser Prozess vonstatten ging.
Shinya suchte nach Hinweisen
innerhalb der Zelle.
Ich wusste, dass Eizellen
oder embryonale Stammzellen Faktoren haben,
die Hautzellen zurück in ein embryonales Stadium umprogrammieren können.
Also beschlossen wir, nach diesen Faktoren zu suchen.
Die Wissenschaftler wussten nicht,
welche und wie viele Faktoren dafür benötigt wurden.
Shinya ging zurück zu den Grundlagen
und untersuchte die Biologie, die Zellen ihre jeweilige Identität verleiht.
Wir wussten, dass jede Zelle in unserem Körper
etwas enthält, das bestimmt, welcher Gewebeart diese Zelle angehört,
ihre Zell-Identität.
Das sind die Gene im Zellkern.
Der Kern jeder einzelnen Zelle enthält 23 Chromosomen-Paare,
die aus langen DNA-Strängen bestehen.
Diese sind in Abschnitte oder Gene eingeteilt,
welche die Zelle anweisen, bestimmte Proteine herzustellen.
Diese Proteine, von Wissenschaftlern auch Faktoren genannt,
geben den Zellen ihre verschiedenen Identitäten.
Alle unsere Zellen enthalten die gleichen Gene,
aber in Hautzellen sind nur die Gene aktiviert, die Hautproteine herstellen.
Diese aktiven Gene sind immer in den offenen Regionen der Chromosomen.
Die Gene, die Leber-, Herz- oder embryonale Zellen bilden würden,
sind abgeschaltet.
Sie sind eng zusammengewickelt und verschlossen.
Das Erstaunliche, was Shinya Yamanaka tat,
war zu hinterfragen, ob eine Zelle differenziert bleiben muss.
Wäre es möglich, eine bereits spezialisierte Zelle
im Labor in eine embryonale Stammzelle zurückzuverwandeln?
Er fragte sich,
ob die Proteine, die embryonale Stammzellen pluripotent bleiben ließen,
auch fähig waren,
die spezialisierte Identität einer differenzierten Zelle umzuprogrammieren.
Er begann mit einer Liste von über 100 möglichen Faktoren.
Er wusste nicht, ob sie alleine wirkten oder in Kombinationen,
was über eine Million Variationsmöglichkeiten bedeutet hätte.
Mit handelsüblicher Computersoftware gelang es Shinya Yamanaka,
die 24 wahrscheinlichsten Kandidaten herauszufinden.
Es dauerte Jahre.
Der nächste Schritt war, die Zahl von 24 Faktoren einzugrenzen
auf so viele Faktoren, wie nötig waren.
Und wir fanden heraus,
dass 4 dieser 24 Faktoren essentiell waren.
Er nahm eine Kombination von vier Faktoren
die normalerweise nur in der embryonalen Stammzelle zusammenwirken
und fügte sie in eine Hautzelle ein.
In einem uns nicht voll erschlossenem Prozess
begannen die Chromosomen, sich abzuwickeln.
Shinyas Faktoren lagerten sich an die Gene an,
die embryonale Stammzellproteine erzeugen.
Diese Proteine, genannt Oct4, Sox2, Klf4 und C-Myc,
überschrieben die Signale von den Hautgenen
und gaukelten der Zelle vor, sie wäre in einer embryonalen Umgebung.
Diese umprogrammierten Zellen reproduzieren sich
und werden mehr und mehr wie embryonale Stammzellen,
bis man sie nicht mehr von solchen unterscheiden kann.
Von diesem Stadium an können sie jede mögliche Zelle im Körper erzeugen.
Was ich entdeckte, war,
dass man Hautzellen in ein embryonales Stadium zurückführen kann.
Wir können also Stammzellen aus Hautzellen erzeugen.
Dafür müssen wir lediglich
drei oder vier Faktoren in die Hautzelle einführen, das ist alles.
Aus ES-Zellen, embryonalen Stammzellen,
können wir alle Zellen herstellen, die im Körper existieren.
Allerdings müssen wir dafür Embryos zerstören,
um an die ES-Zellen zu gelangen.
Mit unserer Technologie
brauchen wir jedoch keine Embryos mehr.
Wir können ES-ähnliche Stammzellen
direkt aus Hautzellen herstellen.
Shinya Yamanaka hatte eine neue Art der pluripotenten Zelle entwickelt,
die induzierte pluripotente Zelle oder iPS-Zelle.
Er machte diese Entdeckung erst bei Mäusen
und zeigte dann, dass es auch mit menschlichen Zellen funktionierte.
Dies war eine außergewöhnliche Entdeckung.
Shinya Yamanaka hatte bewiesen, dass er die Zeit in den Hautzellen zurückdrehen
und dann bei beliebiger Zellveränderung vorwärts laufen lassen konnte.
In der Tat funktionierte dies nicht nur mit Hautzellen,
sondern jede differenzierte Zelle konnte in eine iPS-Zelle verwandelt werden.
Dies machte Schlagzeilen
und versetzte Wissenschaftler weltweit in Erstaunen.
Meine erste Reaktion war,
dass dies eine der tiefstgreifenden
wissenschaftlichen Entdeckungen unserer Zeit war.
Es stellt alles auf den Kopf,
was wir bisher über Entwicklung gelernt haben.
Uns wurde beigebracht,
dass Entwicklung irreversibel ist, wie eine Einbahnstraße.
Aber in Wirklichkeit stimmt das nicht.
Unsere Vorstellungen über die Entwicklung waren eindeutig falsch.
Es ist nicht alles so unveränderlich wie wir dachten.
Das bedeutet, dass wir
offener sein müssen gegenüber dem, was biologisch möglich ist.
Nur Shinya Yamanaka nahm an, dass es möglich wäre,
eine differenzierte Zelle mit nur wenigen Proteinen umzuprogrammieren.
Andere Wissenschaftler waren schnell in der Lage,
Shinyas Entdeckung zu reproduzieren.
Wir entfernen das Medium,
das wir sonst für Hautzellenkulturen verwenden.
Nun fügen wir ein neues Medium hinzu mit den neu programmierenden Faktoren.
In ein paar Wochen sollte diese Petrischale iPS-Zellen enthalten.
Das Ergebnis der Infektion der Hautzellen
sind diese Zellkolonien, die nach ein paar Tagen entstehen.
Hier zwei eindeutige Beispiele.
Sie weisen eine ES-Zell-Morphologie auf
und befinden sich zudem im embryonalen Stadium.
Der Weg ist nun frei für die Stammzellmedizin.
Diese völlig neuartigen induzierten pluripotenten Stammzellen, iPS- Zellen,
bieten bessere Behandlungsmöglichkeiten
und Chancen auf die Regeneration des Körpers.
Ein großer Unterschied
zwischen iPS-Zellen und embryonalen Stammzellen ist,
dass iPS-Zellen von den Patienten generiert werden können.
Somit sind sie genetisch identisch mit dem jeweiligen Patienten.
Wenn wir also beispielsweise
Zellen für eine Transplantation herstellen,
werden diese nicht abgestoßen,
weil das Immunsystem des Patienten sie nicht als fremd erkennt.
Hier sehen wir zum ersten Mal die Möglichkeit,
spezialisierte Zellen zum Beispiel aus der Haut des Patienten zu gewinnen
und diese in Gehirnzellen umzuwandeln oder in Insulin-produzierende Zellen
oder Herzzellen
und dann den jeweiligen Patienten mit Zellen zu versorgen,
ohne das Risiko einer Abstoßung einzugehen.
Wie die Umprogrammierung der iPS-Zellen funktioniert, ist noch immer ein Rätsel.
Obwohl es technisch einfach ist, verläuft es nicht immer reibungslos
und kann unerwartet genetisch veränderte Zellen hervorbringen.
Wissenschaftler untersuchen nun, wie man perfekte iPS-Zellen herstellt,
die sicher genug sind, um Patienten damit zu behandeln.
Zwar kann man mit iPS-Zellen
pluripotente Zellen herstellen, ohne Embryos dafür zu benötigen,
was ethische Bedenken zerstreut,
jedoch werfen sie gänzlich neue Problematiken auf.
Ich wollte die Verwendung menschlicher Embryos vermeiden.
Und... ich glaube,
wir haben dieses Ziel erreicht.
Aber nun, da wir es geschafft haben,
habe ich erkannt,
dass sich daraus neue ethische Problematiken ergeben.
Das hatte niemand vorhersehen können.
IPS-Zellen sind theoretisch fähig, Spermien und Eizellen herzustellen.
Man könnte also eines Tages einen Embryo damit herstellen,
der eingepflanzt und ausgetragen werden könnte.
Es könnte also eines Tages biologisch möglich sein,
aus einem Stück Haut einen Menschen zu schaffen.
Sollten wir die Forschungsarbeit einstellen? Dafür ist es zu spät.
Mit einer Grundausbildung in Biologie kann jeder iPS-Zellen herstellen.
Wie bei jeder neuen Technologie müssen wir den potentiellen Nutzen
und potentielle Nachteile abwägen.
Wie man funktionsfähige Spermien oder Eizellen aus iPS-Zellen generiert,
könnte beispielsweise für unfruchtbare Paare von Nutzen sein.
Die Herstellung von iPS-Zellen leitet für Stammzellen eine neue Ära ein:
Die Kontrolle über die Zellidentität.
IPS-Zellen liefern uns neue Hilfsmittel,
um kranke und gesunde Zellen im Labor zu studieren.
So können Medikamente für Krankheiten wie Parkinson
an im Labor gewachsenen menschlichen Zellen getestet werden.
Auch könnte man herausfinden, warum menschliche Zellen
in degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer absterben.
Das zentrale Problem bei der Entwicklung von Medikamenten ist,
dass die Medikamente
erst in einem späten Entwicklungsstadium am Menschen getestet werden können.
Es werden normalerweise bis zu acht Jahre in die Entwicklung
eines Arzneimittels investiert.
Wären menschliche Zellen in einem früheren Entwicklungsstadium verfügbar,
könnte man so Stoffe erkennen, die nicht für den Menschen geeignet sind.
{\an1}Dies wird definitiv neue Möglichkeiten schaffen,
den Entwicklungsprozess von Medikamenten zu beschleunigen.
Es wird die Forschungsarbeit an Erbkrankheiten revolutionieren.
Diese lebenden Herzzellen wurden
aus der Wangenhautprobe einer 36-jährigen Frau hergestellt.
Als ich diese Zellen sah, fing mein eigenes Herz an, heftig zu klopfen.
Dies ist die bedeutendste Entdeckung in der Stammzellforschung
seit embryonale Stammzellen 1981 entdeckt wurden.
Meiner Meinung nach wird dies
als eine der großartigsten Entdeckungen aller Zeiten in die Geschichte eingehen.
Untertitelung: SUBS Hamburg Christine Weber, Tamara Zolling