Tip:
Highlight text to annotate it
X
>> BRADY: Warum hassen so viele Menschen Mathematik?
>> Professor Frenkel: Sehr gute Frage. Ich denke dafür gibt es mehrere Gründe.
Das Problem ist mehrdimensional, das soll kein Wortspiel sein.
Stellen Sie sich vor, sie müssten Kunstunterricht wo Sie nur lernen, wie man einen Zaun
oder eine Mauer malt, aber nie die Gemälde der großen Meister sehen.
Würden Sie dadurch zum Kunstliebhaber?
Jahre später werden sie ihren Freunden sagen: "Oh mein Gott! Ich habe Kunst in der
Schule gehasst, ich war so schlecht darin."
Was Sie damit wirklich sagen, ist "Ich war schlecht darin, einen Zaun zu malen."
Und genauso sagen Menschen über die Mathematik "Oh, Ich war so schlecht in Mathe, Ich hasse Mathe."
aber was sie wirklich sagen, ist "Ich war schlecht darin einen Zaun zu malen."
Also, wie können wir die Leute begreifen lassen, dass die Mathematik dieses unglaubliche Archipel an Wissen ist?
Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder die Schönheit und Macht der Mathematik verstehen und
schätzen, müssen wir sie mit unseren täglichen Leben verknüpfen.
Ein Beispiel: Wenn Sie auf Amazon gehen, um ein Buch zu kaufen, erscheinen sofort
verschiedene Empfehlungen. Woher nimmt Amazon diese Empfehlungen?
Nun, da sind ausgeklügelte Algorithmen am Werk, die Ihre letzten Käufe analysieren und Sie mit
anderen Käufern vergleichen, die vermutlich ähnliche Interessen haben.
Diese Daten werden verarbeitet und Ihnen werden die entsprechenden Angebote gezeigt.
Ich sage jetzt nicht, dass das unbedingt gut ist, aber ich denke, dass man zumindest darüber
Bescheid wissen sollte. Man sollte über all diese Algorithmen Bescheid wissen, welche in unsere
Leben eindringen und dass sie auf Mathematik beruhen.
>> Brady: Sie und ich leben in Häusern und wir schätzen unsere Häuser, aber das heißt nicht,
dass wir mauern können müssen.
>> Professor Frenkel: Das stimmt.
>> Brady: Also, nur weil wir - nur weil die Mathematik eingen alltäglichen Technologien
zugrunde liegt, warum sollen wir sie dann verstehen bzw. anerkennen?
>> Professor Frenkel: Das ist ein sehr guter Punkt. Genauso sagen manche Leute "Na ja, wir fliegen
mit Flugzeugen, ohne unbedingt die, nun, Physik des Fliegens zu kennen." Aber da ist einen
Unterschied. Zunächst einmal ist die Mathematik ein Teil unserer Kultur, genauso wie Literatur und
Kunst und ein erfülltes Leben zu haben - dessen müssen wir uns bewusst sein.
Weil die Mathematik im Leben immer wichtiger wird, gibt es außerdem viele Möglichkeiten des
Missbrauchs und der Manipulation durch die Verwendung von äußerst anspruchsvoller
Mathematik. Dafür gibt es viele Beispiele: Die Weltwirtschaftskrise wurde zu einem großen Teil
durch den falschen Gebrauch mathematischer Modelle verursacht. Diese wurden, nun ja,
Finanzunternehmen eingesetzt, welche sie aber nicht vollständig verstanden haben.
Was, wenn wir in einer Welt lebten, in der, sagen wir ein Börsenmakler, nicht sagen würde "Oh, ich
versteh' das Zeug zwar nicht, aber solange es funktioniert, ist alles gut." Was, wenn er vielmehr
sagen würde: "Ok, erzähl mir mehr darüber, ich möchte verstehen, wie das Modell funktioniert."?
Da gibt es das schöne Zitat des großen deutschen Mathematikers Georg Cantor: "Das Wesen der
Mathematik liegt in ihrer Freiheit." Ich würde sogar noch hinzufügen: Wo keine Mathematik ist, gibt es
keine Freiheit. Die Mathematik ist also grundlegend für unsere Freiheit und die
Funktionsfähigkeit unserer Demokratie.
Deswegen geht es nicht nur darum, zu erkennen, wie manche Dinge Funktionieren, von denen man
es nicht unbedingt wissen muss, weil, na ja, "Wen interessiert's? Solange es funktioniert."
Unsere Unwissenheit kann von höheren Mächten missbraucht werden, und wir als, nun, die
Bewohner dieser schönen neuen Welt sollten mehr über Mathematik wissen. Wir müssen
Bescheid wissen über ihre Macht, Gutes aber auch Böses zu tun.
>> Brady: Kunstliebhaber sagen, wir sollten Kunst mehr zu schätzen wissen. Ein Englischprofessor
wird sagen, unsere Sprachkenntnisse müssen verbessert werden. Informatiker werden sagen, wir
müssen Programmcode verstehen.
Die Mathematiker erzählen uns, wir sollten Mathe mehr würdigen, zumindest einem Teil davon. [lacht]
Wir haben begrenzten Verstand und nur endliche Stunden auf ddieser Erde, warum stellen Sie die
Mathematik an erste Stelle? Ich merke, Sie sind da ein bisschen parteiisch.
>> Professor Frenkel: Nun, zum einen bin ich Mathematiker, oder? Ich würde aber auch sagen,
dass Kunst - ja, nehmen wir Kunst. Also, die Situation ist die, dass die Leute natürlich nicht in
Kunstmuseen gehen. Das wissen wir. Nicht jeder geht dort hin, nicht jeder schenkt dem Beachtung.
Aber wenigstens wissen die Leute, dass es sie gibt, dass Museen existieren.
Wenn man das Wort "Kunst" sagt, denken sie nicht daran, den Zaun zu malen, sondern an
van Gogh und Picasso und Leonardo da Vinci. Sie wissen also zumindest, wenn sie - wann auch
immer - Interesse haben sollten, wo die diese Gemälde finden können. Oder sie können die
Gemälde online finden, nicht?
Wenn es um Mathematik geht, schätzen sie die Meisterwerke der großen Mathematiker nicht wie
die Meisterwerke der großen Maler.
Kunst ist natürlich bedeutend, weil sie unsere Gefühle widerspiegelt und die Welt und auch uns
selbst. Man kann allerdings auch ohne Kunst überleben, ohne Mathematik
jedoch nicht.
Alles basiert auf Mathematik - sie ist die Sprache der Natur.
>> Brady: Nun, lassen Sie uns aufschlüsseln, wer die Schuld daran trägt. Für mich klingt es so, als
sehen Sie die Verantwortung bei den High School Lehrern?
Sie sagten, damals zu unserer Schulzeit ließen sie uns Zäune malen,
anstatt uns Picasso zu zeigen.
>> Professor Frenkel: Also, wenn ich wirklich Schuld zuweisen müsste, würde ich sie bei mir
und meinen Kollegen suchen, Berufsmathematikern. Wir unternehmen nicht
annähernd genug, um diese Ideen der Öffentlichkeit verständlich zu präsentieren. Oftmals benutzen
wir keine guten Metaphern oder Analogien, aber so sollte Wissenschaft kommuniziert werden.
Wissenschaft muss man auf eine kreative Art kommunizieren.
So, dass man an etwas anknüpft, das die Leute schon kennen. Es kommt mir vor, als würden das
andere Wissenschaftler viel besser machen. Physiker, Biologen. Man redet über das
Sonnensystem, das Universum, über Galaxien, Atome und Moleküle, Elementarteilchen und DNS.
Diese Begriffe sind nicht komplizierter als das, was wir in der modernen Mathematik machen. Warum
sind also DNS, Sterne und Elementarteilchen Teil des kulturellen Diskurses, aber mathematische
Ideen nicht? Nun, teilweise weil wir dafür nicht annähernd genung tun. Wir Berufsmathematiker
tun nicht genug.
Ich geben den Lehrern keine Schuld, weil sie sich oft in der gefährlichen, nicht gerade
beneidenswerten Position befinden, überarbeitet und unterbezahlt zu sein. Außerdem sind sie
selbst Produkte des gleichen kaputten Systems.
Mein Lösungsvorschlag ist zunächst einmal, dass mehr Mathematiker rausgehen und Andere in das
Geheimnis einweihen sollten. Weil es ist wirklich fast wie ein Geheimnis und wir sind fast wie eine
Elite, die dieses Geheimnis bewahrt. Ich möchte nicht, dass das so weitergeht. Ich möchte jeden in
das Geheimnis einweihen. Ich möchte, dass jeder erfährt, dass es da draußen diese wunderbare
Welt gibt, die so wichtig für unseren Alltag ist, die beispiellose Macht und Schönheit besitzt. Wir
müssen diese Idee weitergeben; wir müssen Wege finden, die Idee weiterzugeben.
Und dann müssen wir auch unser Bildungssystem überarbeiten. Wir müssen helfen, dass sich Lehrer
die nötigen Inhalte aneignen und dass sie lernen, wie sich die Mathematik mit dem reale Leben
verbinde, sodass sie das Mathematikstudium für die Stundenten angenehmer, unterhaltsamer,
interessanter zu machen.
>> Brady: Warum ist das noch nicht passiert? Es klingt so offensichtlich. Was Sie sagen ist ja jetzt
kein riesiger Gedankensprung. Warum ist das noch nicht passiert?
>> Professor Frenkel: Warum das noch nicht geschehen ist? Nun, manchmal frage ich mich
selbst, warum. Es ist fast wie eine Verschwörung, ganz ehrlich, es ist fast so, als wäre da ein System
von Spiegeln, das die Wirklichkeit verzerrt.
Spiegel, die es den meisten Menschen nicht zu sehen erlauben, was da draußen ist. Und, seien
wir mal ehrlich, wie viele Dinge können wir noch entdecken? Wir können keinen neuen Kontinent
entdecken wie Columbus. Wir können nicht mehr der Erste sein, der den Mond betritt.
Was, wenn ich ihnen sagte, dass da draußen diese wunderschöne Welt ist und dass Sie
nichtmal verreisen müssen, um sie zu sehen? Sie ist ganz nah. Will man nicht mehr darüber
erfahren? Und wenn Sie es richtig machen, werden Sie Kinder und Studenten haben, die zum
Unterricht rennen! Nicht wegrennen, sondern hindrängen; nach dem Motto "Ich will mehr
wissen. Ich will mehr erfahren. Ich will mit meinen Mitschülern, meinen
Kommilitonen darüber reden."
Das ist das Coolste der Welt, ja das ist es.
>> Brady: Das Coolste der Welt? Und trotzdem hasst es jeder?
>> Professor Frenkel: Und trotzdem hasst es jeder. Ist das nicht ironisch?
>> Brady: Wenn Sie mehr von Professor Frankel über seine Liebe zur Mathematik wissen wollen,
das ist sein Buch 'Love and Math'. Dieses hier können Sie nicht haben, das gehört mir, aber Sie
können Ihr eigenes Exemplar kaufen und ein Weg das zu tun, ist über den Sponsor dieses Videos,
audible.com. Die größte Auswahl an Hörbüchern, die sie sich vorstellen können, und eines davon ist
dieses hier. Wie Sie wahrscheinlich schon wissen, können Sie sich auf audible.com/numberphile
registrieren und ein gratis Buch herunterladen - das könnte dieses hier sein, aber es ist Ihre
Entscheidung. Wenn Sie also audible.com/numberphile testen und Ihr gratis
Buch wählen sollen: 'Love and Math". Ich bin sicher, er freut sich darüber.