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Buchenwald. Offensichtlicher Beweis für die von den Nazis geschaffenen KZs. Die Berichte
in schriftlicher Form beinhalten offizielle Meldungen der Division für Kriegsgefangene
und [...] des United States Control Council, die von alliierten Truppen an das War Department
nach Washington übersandt wurden. „Das sind 1.000 Jungen unter 14 Jahren aus
den 20.000, die am Leben geblieben sind. Die Überlebenden sind nur männlichen Geschlechts.
Die Todesrate in den letzten Tagen erreichte 200 Personen pro Tag."
Das Lager Belsen. Das offene Feld ist übersät mit Leichen. Die SS-Einheiten wurden eingesetzt
für die Räumungsarbeiten des Lagerareals. Sanitäre Bedingungen waren so schrecklich,
dass schwere Maschinen für das Aufräumen eingesetzt wurden, um die Arbeiten zu beschleunigen.
Dachau bei München war eines der ältesten NS-Lager. Es ist bekannt, dass 1941-44 bis
zu 30.000 Menschen zum gleichen Zeitpunkt im Lager inhaftiert waren. 30.000 waren in
Dachau, als die Alliierten es erreicht haben. Die Nazis behaupten, dass es ein Lager für
politische Häftlinge, Gewohnheitsverbrecher und Häftlinge aus religiösen Gründen war.
Die Anzahl der eingelieferten Häftlinge war größer als die der Lebenden. Die Alliierten
fanden das vor: So sahen Häftlinge aus, als sie ankamen.
Gezeigt werden nicht nur Dokumentarfilme und Fotos, wie die vom Aufstand des Warschauer
Gettos und der Erschießungen durch Einsatzgruppen, sondern auch von dem russischen Ankläger
vorgestellte Seife, die von toten KZ-Häftlingen des Konzentrationslagers Stutthof gewonnen
wurde. Der amerikanische Ankläger legt als Beweisstück
Tätowierungen von menschlicher Haut aus dem Lager Buchenwald vor. Das Beweisstück trägt
die Nummer US-252. Ein Auszug aus einem offiziellen amerikanischen Armeebericht ist angefügt,
in welchem angegeben wird, wie diese Beweisstücke gefunden wurden. Dieser Auszug erscheint in
dem Dokument 3420-PS, das ich teilweise verlesen werde.
Die eidesstattliche Erklärung eines Häftlings, Andreas Pfaffenhofer, dass Häftlinge in Buchenwald
getötet wurden, um ihre Tätowierungen für Lampenschirme zu verwenden, wird von den Verteidigern
angezweifelt und auch in dem Urteil nicht berücksichtigt.
Das Pressezentrum für ausländische Journalisten wurde im Schloss der Familie Faber-Castell
untergebracht. Mehrere Journalisten müssen sich ein Zimmer teilen, auch die Korrespondenten
von Stars and Stripes, von der New York Herald Tribune, der New York Times, der Times und
Economist aus London. Essen dürfen sie in der Gerichtskantine und im Grand Hotel im
Nürnberg, da sie keine Lebensmittelkarten bekommen. Auch für sie gilt das nächtliche
Ausgehverbot. Deutsche Korrespondenten sind zu allen Pressekonferenzen zugelassen. Unter
ihnen Hans-Rudolf Berndorf von der Zeit, Willy Brandt von der schwedischen und norwegischen
Presse, Robert Jung von Aufbau New York, Hans Habe von der amerikanischen Neuen Zeit und
Peter de Mendelssohn von der Nation. Auch Erich Kästner, Erika Mann, Margret Boveri
sind oft anwesend. Die Wochenschauen der Welt berichten regelmäßig
von dem Prozess. Das größte Gericht über Kriegsverbrechen der Geschichte, das in Nürnberg
stattfindet, gegen Hermann Göring, Rudolf Heß, den ehemaligen Außenminister Joachim
von Ribbentrop, Franz von Papen und Arthur Seyß-Inquart. Sie warten auf den Tag des
Urteils. Weltweiter Nachrichtendienst und eine große
Anzahl von Co-Reportern übermitteln tausende Wörter von Zeugenaussagen und Anklagen, die
durch Überseetelefon- und Telegrammverbindungen mithilfe von Operatoren weitergeleitet werden.
Sie schildern den Prozess dieser dramatischen Nachwirkungen des Weltkrieges.
Auch die deutsche Wochenschau, Welt im Film, die von den Engländern und Amerikanern herausgegeben
wird, berichtet fast wöchentlich. Direktübertragungen im Rundfunk werden mehrmals täglich genutzt.
Der Literat Hans Meyer berichtet im Radio Frankfurt, Peter von Zahn für den Nordwestdeutschen
Rundfunk, Markus Wolf für den Berliner Rundfunk. Aber am einflussreichsten sind die täglichen
Kommentare von Gaston Oulman von Radio München. Die Bilder der Fotografen werden an alle Länder
verschickt und sind heute noch zugänglich in den Bildarchiven der Welt. Täglich berichten
internationale Agenturen wie RCA, AP, UPI, BBC, TASS und AFP aber auch die drei deutschen
Agenturen, Deutsche Allgemeine Nachrichtenagentur (US-Zone), German News Service (Britische
Zone), Sowjetisches Nachrichtenbüro (Sowjetische Zone).
Rudolf Heß gab vor, sein Gedächtnis verloren zu haben und machte einen geistesabwesenden
Eindruck auf der Anklagebank. Während Göring sich Notizen machte, steht er unmotiviert
auf. Ein Wachmann will ihm behilflich sein, die Kopfhörer einzuschalten.
Heß schläft, isst und wird von Krämpfen geplagt, weil er nie Medikamente zu sich nimmt
und öfters den Gerichtssaal verlassen muss. Er macht körperliche Übungen.
Auf den schriftlichen Antrag der Verteidigung, Heß für verteidigungsunfähig zu erklären,
haben die Anklagevertreter der Amerikaner, Engländer, Franzosen, vor allem der Russen,
Einspruch erhoben, da eine medizinische Kommission ihn für verhandlungsfähig erklärt hatte.
Der Anwalt begründet noch einmal mündlich seinen Antrag.
„Hohes Gericht, meine Herren Richter. Ich spreche hier als Rechtsanwalt [...] für den
Verteidiger Rudolf Heß, eh, für den Angeklagten Rudolf Heß. Wenn es richtig ist, dass der
Angeklagte verhandlungsunfähig ist, so muss das hohe Gericht das Verfahren gegen den Angeklagten
vorläufig einstellen." Am 10. Verhandlungstag, am 1. Dezember um
16 Uhr wird die Sitzung unterbrochen. Presse und Zuschauer müssen den Saal verlassen.
Auf der Anklagebank: nur Heß. „Herr Präsident. Ich habe gleich zu Beginn
der Verhandlung meinem Verteidiger einen Zettel hinlegen lassen des Inhalts, dass ich der
Meinung sei, dass die ganze Verhandlung wesentlich abgekürzt werden kann, wenn man mir gleich
zu Beginn Gelegenheit gibt, mich kurz selbst zu äußern. Die Äußerung lautet wie folgt:
Um Vorzubeugen, dass ich für verhandlungsunfähig erklärt werde, obwohl ich an den weiteren Verhandlungen teilzunehmen
und mit meinen Kameraden zusammen das Urteil zu empfangen wünsche, gebe ich dem Gericht
nachfolgende Erklärung ab, obwohl ich sie ursprünglich erst zu einem späteren Zeitpunkt
des Prozesses abgeben wollte. Ab nunmehr steht mein Gedächtnis auch nach außen hin wieder
zur Verfügung. Die Gründe für das Vortäuschen von Gedächtnisverlust sind taktischer Art.
Tatsächlich ist lediglich meine Konzentrationsfähigkeit etwas herabgesetzt. Dadurch wird jedoch meine
Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen, mich zu verteidigen, Fragen an Zeugen zu stellen
oder selbst Fragen zu beantworten, nicht beeinflusst. Ich betone, dass ich die volle Verantwortung
trage für alles was ich getan, unterschrieben oder mitunterschrieben habe. Meine grundsätzliche
Einstellung, dass der Gerichtshof nicht zuständig ist, wird durch obige Erklärung nicht berührt.
Ich habe bisher auch meinen Offizialverteidiger gegenüber, den Gedächtnisverlust aufrechterhalten.
Er hat ihn daher guten Glaubens vertreten." Die Verhandlung wird vertagt.
Nur im Raum der Verteidiger haben die Anwälte die Möglichkeit, mit ihren Mandanten zu sprechen.
Sie müssen einen Termin mit dem Gefängnisdirektor beantragen, der dann veranlasst, dass der
Angeklagte unter Bewachung in einen Käfig geführt wird. Die Verteidiger müssen sich
jedes Mal einer Leibesvisitation unterwerfen. Durch ein Glasfenster können sie die Angeklagten
sehen, wollen sie aber ein Schriftstück dem Mandanten geben, prüft der anwesende Wachsoldat
das Dokument und reicht es dann weiter. Für den Zugang zum Gerichtsgebäude benötigt
man einen gelben Ausweis. Für die Kantine, wo die Verteidiger und Mitarbeiter zu essen
bekommen, einen roten Ausweis. Zu den 26 Hauptverteidigern für die Angeklagten und Organisationen, die
nur im Gerichtssaal plädieren und Anträge stellen dürfen, sind während des Prozesses
50 Hilfsanwälte hinzugekommen.