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Hallo, ich wollte euch kurz einen Tipp geben:
Versucht erst gar nicht zu enträtseln,
was da auf meiner Schürze draufsteht.
Das ist mir bis heute nicht gelungen.
Ich imaginiere meine Worte, das heißt ich bebildere die Worte meiner Reden,
das heißt der eigentliche Raum, wo man hinschauen sollte,
das, was viel wichtiger ist als ich, findet gleich da statt.
Und die wunderbaren TED-Veranstalter haben eigens die Wand weißen lassen,
damit wir hier unsere Bilder imaginieren können.
Ja, als Kind habe ich mir immer vorgestellt,
ich möchte so gern ein Christkindhelferengelchen sein.
Und dann bei der Erstkommunion hat uns der Priester gesteckt,
dass es das Christkind angeblich gar nicht gibt.
Nun hatte ich nur noch die Auswahl, die coole Braut von Winnetou,
Tarzan oder Jesus zu sein.
(Musik setzt ein) Ich habe mich
für den Zimmermann aus Galiläa entschieden.
Jesus war der Held meiner Kindheit.
Denn er prophezeite ein Reich Gottes, in dem alle Menschen gleich sind.
Das war damals ein revolutionärer Gedanke in dieser patriarchalen Zeit.
Und deshalb sind ihm nicht nur Männer als Jünger nachgefolgt,
sondern vielfach auch Frauen.
Sie unterstützten diese revolutionäre Bewegung
und bauten schließlich die ersten christlichen Gemeinden mit auf.
Doch über die Jahrhunderte sind viele dieser Frauen aus den Schriften,
und somit auch aus unserem historischen Bewusstsein, verschwunden.
Und aus dem jesuanischen Reich Gottes wurde eine Kirche der Männer.
Wenn wir heute in der Bibel lesen, so bekommen wir den Eindruck,
Jesus habe nur zu Männern gesprochen.
Frauen tauchen als Adressatinnen seiner Lehren eigentlich gar nicht richtig auf.
In der Bergpredigt heißt es zum Beispiel:
„Selig, die Frieden stiften; / sie werden Söhne Gottes genannt werden.“
[Folie: Und wo bleiben die Töchter?]
Das hat die Bibel mit der BILD-Zeitung gemeinsam.
In der Pluralansprache tauchen wir Frauen einfach nicht auf.
Das widerspiegelt jetzt nicht unbedingt meinen Gedanken.
Ich wollte nur sagen, genau genommen muss es natürlich heißen
„Nehmt den Griechen und Griechinnen den Euro weg“.
Auch wo sind die Afrikanerinnen, die Hartz-IV-Schmarotzerinnen.
Na gut, wo die Päpstin ist, das ist noch einmal ein anderes Thema,
aber dazu kommen wir auch noch.
Vor 2000 Jahren war das nicht viel anders.
Deshalb, wenn Jesus zu seinen Jüngern spricht,
dann müssen wir uns die Jüngerinnen dazu denken, dazu imaginieren.
Die wichtigste unter ihnen, Maria von Magdala.
Das erste Mal taucht Maria von Magdala im Lukas-Evangelium auf,
mit dem sehr irritierenden Beisatz,
Jesus habe sieben Dämonen aus ihr getrieben.
Im Umfeld der katholischen Kirche wurden dann später die sieben Todsünden daraus,
die da sind – [Folie: 7 Todsünden werden aufgezählt]
– ja, also von all dem hat Jesus eben Maria Magdalena befreit.
Drehen wir dieses Szenario, diese dunkle Szenario,
in ein modernes Licht, so könnten wir sagen:
„Wow, Maria Magdalena ist die geläutertste Figur der Evangelien.
Frei von allen Blockaden des menschlichen Egos.“
Die Buddhisten würden sagen: „Ihre sieben Chakren sind offen.“
Wirklich prominent wird Maria Magdalena allerdings erst unter dem Kreuz.
Hier wird sie sogar in der Gruppe einer Frau namentlich genannt.
Wie kann das sein?
Ja, weil die Männer alle davon gelaufen waren.
Für Sympathisanten, aber auch Sympathisantinnen,
war es damals ein großes Risiko,
bei einem Verurteilten zu bleiben.
Sie drohten… Also ihnen drohte auch die Kreuzigung.
Maria Magdalena hat also ein großes, persönliches Risiko auf sich genommen,
wirklich bei Jesus zu bleiben.
Petrus hat Jesus dreimal verleugnet.
Die Frauen, und speziell Maria Magdalena, blieben bis zu seinem bitteren Ende.
Der Tod ihres Propheten hatte die Jesus-Bewegung
in eine tiefe Krise gestürzt.
Und vermutlich hätte sie sich zerschlagen.
Erst die Auferstehung war Anlass zur Gründung einer Weltreligion.
Aber für ein Ereignis dieser Dimension braucht es
wichtige Zeugen oder aber auch Zeuginnen.
Bei Lukas, Matthäus und Markus sind es drei Frauen,
die am Tag nach Sabbat zum Grab Jesu kommen.
Im Evangelium nach Johannes kommt Maria Magdalena alleine zum Grab.
Die Evangelien sind ja keine historischen Tatsachenberichte,
sie sind symbolische Erzählungen, mythologische Bilder.
Maria Magdalena blickt ins Grab
und sieht dort statt des Leichnams zwei Engel.
Für mich deuten die Engel darauf hin,
dass Maria Magdalena einen feinstofflicheren Raum betritt,
dass sie in eine andere Wahrnehmungsebene geht.
Sie bekommt aber keine Auskunft darüber, wo der Leichnam Jesu ist.
Das heißt, sie muss den Ort des Todes erst einmal verlassen,
um einen Schritt weiter in ihrer Erkenntnis zu gehen.
Ein Mann spricht sie vor dem Grab an.
Sie fragt ihn, wo er Jesu Leichnam hingelegt hat.
Und erst als Jesus Maria bei ihrem Namen anspricht,
da erkennt sie ihn.
Und ich habe mich immer gefragt, was sieht Maria in diesem Moment?
Sieht sie einen richtigen Körper?
Sieht sie einen Lichtkörper, einen Auferstehungskörper?
Und womit vor allem sieht sie? Mit ihren Augen, mit ihrem Verstand?
Ist es Illusion, ist es Hellsichtigkeit?
All diese Fragen beantworten die kanonischen Evangelien nicht.
Bei Johannes wird immerhin erzählt,
dass Jesus Maria Magdalena den Auftrag gegeben hat,
seine Auferstehung weiterzutragen.
Und somit wird Maria Magdalena zur ersten Apostelin des Christentums,
und das war natürlich für die frühen Kirchenväter eine Provokation.
Nun konnte man ja Maria Magdalena
aus dem Ostergeschehen nicht mehr verscheuchen, nicht mehr verschweigen,
dazu war ihre historische Figur bereits viel zu bekannt.
Also hat die Kirche der Männer das Ostergeschehen so interpretiert,
dass die große Bedeutung der Frau herab gewürdigt wurde.
Wie hat man das angestellt?
Man stellte die Auferstehung inhaltlich neben den Sündenfall und sagte:
„Weil Eva, also die erste Frau, den Tod und die Sünde in die Welt gebracht hat,
deswegen musste eine Frau die erste Zeugin der Auferstehung sein.“
Und nun inhaltlich so in die Nähe der Eva gebracht,
war auch von Maria Magdalena der Schritt nicht mehr weit,
selber zu einem Archetyp der Sünderin zu werden.
Sie wurde zur rothaarigen, reuigen Sünderin.
Und das geschah so.
591 erklärt Papst Gregor der Große in einer Predigt,
dass Maria von Bethanien –
das ist jene, die Jesu Worten im Lukas-Evangelium lauscht,
im Johannes-Evangelium seine Füße salbt –
dass diese Maria von Bethanien dieselbe Person sei,
wie die stadtbekannte Sünderin aus dem Lukas-Evangelium.
Und er setzt diese beiden Frauen gleich mit Maria Magdalena,
das heißt er macht aus drei biblischen Frauen eine Mosaikgestalt
und stellt Maria Magdalena als reuige Sünderin in den Raum,
die Jesu die Füße mit jenen Ölen salbte,
die sie einst zur Pflege ihres wollüstigen Leibes gebrauchte.
Maria Magdalena wird also zur Propagandafigur der Kirche,
zum „Pin-Up-Girl“ der sakralen Kunst.
1969 erst wird Maria Magdalena rehabilitiert,
aber dieses Image der Sünderin klebt bis heute an ihr.
Wer 13 Jahrhunderte als reuige Sünderin durch die Köpfe der Kulturen kreist,
hat es sehr, sehr schwer, dort seinen Platz als Apostelin wiederzufinden.
Übrigens ist Maria Magdalena nicht die einzige Apostelin,
die sich einer Transformation unterziehen musste.
Ihrer Kollegin Junia wurde sogar eine Geschlechtsumwandlung aufgedrückt.
In alten griechischen Abschriften des Römerbriefes
erwähnt Paulus zwei berühmte Apostel, Andronikus und Junia.
Ein Paar, das als Apostel unterwegs war.
Schlägt man allerdings die Bibel, die Einheitsübersetzung,
heute an besagter Stelle auf,
so finden wir dort statt einer Apostelin Junia einen Apostel Junias.
Die ältesten Abschriften der Bibel wurden in Großbuchstaben verfasst.
Es gab also weder Satzzeichen noch Akzente.
Erst im 9. Jahrhundert kamen mit den Kleinbuchstaben
auch die Akzentuierungen hinzu.
Wenn ich bei Junian einen Akut auf das „i“ setze,
so ist es ein Frauenname.
Setze ich allerdings einen Zirkumflex auf das „a“,
so wird daraus ein Junian und das klingt halt mehr nach einem Männernamen.
Und so geschah es, dass im 14. Jahrhundert unter der Feder
des Augustinermönchs Aegidius von Rom aus der Apostelin Junia
per Zirkumflex ein Apostel Junias wurde.
Der französische Theologe treibt diese Geschlechtsumwandlung noch weiter.
Aus einem lateinischen Junian wird ein lateinischer Junias.
Martin Luther übernimmt diese Version.
Die Existenz des Apostels Junias ist von nun an von höchster Stelle legitimiert.
Und das Verrückte ist, den Namen Junias, der erscheint in der ganzen Antike nicht,
den gibt es eigentlich gar nicht.
Seit den 60er Jahren versuchen feministische Theologinnen weltweit
diese verschollenen, vergessenen vermännlichten Frauen
wieder sichtbar zu machen.
1977 deckt die amerikanische Theologin Bernadette Brooden den …
die Geschlechtsumwandlung auf.
[über Internet] M. v. B.: „Was hat den Augustinereremit dazu veranlasst,
aus dieser Frau einen Mann zu machen?“
B. B.: „Ja, es war das Resultat eines orientierten Weltbildes.
Eine Frau kann einfach kein Apostel gewesen sein,
und weil keine Frau ein Apostel gewesen sein kann, kann ja die Frau,
die Apostel genannt wird, keine Frau sein.“
M. v. B.: Und deshalb fristet Junia bis heute
in der Einheitsübersetzung unserer Bibel ein Dasein als Mann.
Was ist das überhaupt für eine Schrift, die Bibel?
Jahrhundertelang diskutierten Kirchenväter darüber,
welche Schriften Einzug in die Bibel erhalten und welche nicht.
Jene Schriften, die nicht aufgenommen wurden,
nennen wir heute die „Apokryphen-Evangelien“.
Sie wurden verstoßen und gerieten in Vergessenheit,
das heißt, die Schrift ist eine, wie soll ich sagen,
die Bibel ist eine Schrift der historischen Sieger.
Aber aus eigener Erfahrung wissen wir: Alles, was verdrängt wird, verstoßen wird,
taucht irgendwann auf, nicht nur die Fliegerbomben,
sondern auch alte Schriften.
1896 taucht Maria als Protagonistin einer Papyrus-Schrift
aus dem 2. Jahrhundert wieder auf.
In Kairo – ein deutscher Geschäftsmann kauft die Schrift und brachte sie nach Berlin.
Von den ursprünglich 18 Seiten sind leider nur 8 erhalten geblieben
und sie erzählen von den letzten Belehrungen,
die Jesus seinen Jüngern erteilt hat,
bevor er in den Himmel aufgefahren ist.
Mutlos bleiben die Jünger zurück.
Da tritt Maria Magdalena hervor und richtet sie auf.
Petrus fordert sie auf, ihnen die innere Geheimlehre Jesu anzuvertrauen,
die er offenbar nur mit ihr geteilt hat.
Maria Magdalena erzählt vom Aufstieg der Seele,
die viele Prüfungen zu bestehen hat,
bevor sie eins werden kann mit dem göttlichen Licht.
Es ist ein mystischer Text.
Es geht um viel mehr als um Ethik, es geht um Erkenntnis,
es geht um die direkte Gotteserfahrung.
Doch leider kündigt sich schon im Text ein Geschlechterkonflikt an.
Andreas attackiert Maria.
Er kann sich nicht vorstellen,
dass Jesus Maria solche Lehren beigebracht hat.
Petrus bezweifelt es ebenfalls.
Er kann sich nicht vorstellen,
dass Jesus Maria Magdalena den anderen Jüngern vorgezogen hat.
Nur Levi legt sich ins Zeug für sie,
doch es wird ihr historisch gesehen nicht viel helfen.
Die Petrus-Tradition wird zur Staatsreligion,
die Maria-Tradition verschwindet.
Ja, seit letztem Jahr ist das Maria-Evangelium ausgestellt in Berlin,
im ägyptischen Museum.
Es musste zwei Weltkriege überleben,
es überlebte eine Wasserüberflutung in den Archiven;
bis es 1955 endlich übersetzt und nun endlich neu restauriert werden konnte.
Und es ist, als würde eine große Apostelin
wieder so in unser Bewusstsein zurückkehren.
„Weint nicht und seid nicht traurig und zweifelt nicht.
Denn seine Gnade wird mit euch sein und euch beschützen,
denn er hat uns bereitet und zu Menschen gemacht.“
Ich habe mich als Kind schon gefragt:
Was sieht Maria in dem Moment, wo sie Jesus, den auferstandenen Jesus, erblickt?
Und ich habe in den kanonischen Schriften keine Antwort gefunden.
Aber im Maria-Evangelium sagt Jesus zu den Jüngern:
„Es ist der Nus, der sieht.“
Der Nus ist ein uralter Begriff der antiken griechischen Philosophie
und er beschreibt eine Art Erkenntnis, die sehr allumfassend ist.
Der französische Theologe Ives-Saint Leloup,
der eine ganz, ganz tolle, wie soll ich sagen,
eine Begleitlektüre zum Maria-Evangelium geschrieben hat,
beschreibt den Nus als die Nadelspitze der Seele,
die einen Raum eröffnet oder die uns einen Zugang zu einem Raum verschafft,
der weder durch die Sinne noch durch den Verstand wahrnehmbar ist.
Es ist der Raum der schöpferischen Imagination.
Aber nun zum Schluss noch eine Antwort auf die Frage,
derentwegen Sie vermutlich überhaupt hier sitzen,
derentwegen Sie wahrscheinlich hergekommen sind
und wo Sie wahrscheinlich schon 15 Minuten darauf warten:
Hatten die beiden eigentlich etwas miteinander?
1945 wurde im ägyptischen Nag-Hammadi ein Tonkrug gefunden.
Und in diesem Tonkrug befanden sich verschiedenste apokryphe Evangelien.
Und in einer dieser Evangelien, im Philippusevangelium,
auf das sich übrigens auch Dan Brown bezieht, steht geschrieben,
dass der Erlöser Maria Magdalena mehr liebte als die anderen Jünger
und er küsste sie oft auf den…
und dann ist da eine Lücke im Text.
Und da könnte vieles rein passen: auf die Stirn, auf den Mund, auf die Hand.
Es tut mir echt total leid.
Es gibt keinen finalen Beweis, ob die beiden etwas miteinander hatten,
ob die ein Kind miteinander hatten, verdammte Lücke.
Ich sage aber immer: Jede Lücke ist auch so etwas wie ein „golden gap“,
ein Raum, in den wir das hinein imaginieren können,
was wir gerade brauchen, was wir uns gerade vorstellen.
Wollen Sie einmal schauen, was ich mir vorstelle,
wenn ich in diese Lücke hineinschaue?
Dann sehe ich Folgendes:
Das ist für mich der heilige Kuss, der oft in der Bibel zitiert wird.
Mit dem heiligen Kuss ist eine liebevolle Geste [gemeint], mit der der Meister
seiner Schülerin sein Wissen tradiert, sie zur Nachfolgerin macht.
Und für die von euch, die jetzt ein bisschen enttäuscht sind,
lege ich noch einmal Hochzeitsglocken darunter.
Mein Schlussplädoyer:
Den längsten theologischen Dialog in der Bibel
führt Jesus mit einer Frau, mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen.
Jesus beschützt die Frauen vor den unmenschlichen Regeln des Patriarchats
und stellt sich mutig vor eine Ehebrecherin.
Eine namenlose Frau salbt Jesu Haupt vor seiner Passion.
Es ist ein großer prophetischer Akt.
Sie macht ihn damit zum Messias.
Frauen waren Zeuginnen seiner Kreuzigung und seiner Auferstehung.
Frauen leiteten als Diakoninnen die ersten Christengemeinden.
Sie waren Patroninnen, Theologinnen
und sie breiteten das Christentum über die Grenzen Palästinas hinweg aus.
Frauen öffneten ihre Häuser
für die ersten geheimen Zusammenkünfte der Christengemeinden
und sie feierten das Abendmahl als Sättigungsmahl für die Armen.
Und schließlich ist der erste Mensch,
der sich auf europäischem Boden taufen ließ, eine Frau.
Ihr Name war Lydia.
Heute leben 537 Millionen Christen auf diesem Kontinent.
Es ist nun an der Zeit für die Obrigkeit der katholischen Kirche,
ihre Haltung uns Frauen gegenüber zu überdenken,
nicht nur was die Leitung oder was die Besetzung der leitenden Positionen betrifft,
sondern auch was die Inhalte, unsere Glaubensinhalte, betrifft.
Die Zeit des Wandels ist da.
(Applaus)