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X
„Wenn Johannes Gutenberg jetzt sehen könnte was ich hier tue würde er wohl erröten vor
Neid. Ich tippe hier nämlich einen Text in den Laptop und lösche ihn -- Zack -- mit
zwei Tastaturbefehlen einfach wieder weg. Nachher kann ich zu einem x-beliebigen Drucker
gehen und das Geschriebene einfach wieder ausdrucken. Was für eine Selbstverständlichkeit
denken Sie jetzt vielleicht. Doch für den im 15. Jahrhundert lebenden Erfinder des Buchdrucks,
Johannes Gutenberg, wäre das damals eine riesen Sensation gewesen. Gutenberg hat es
möglich gemacht das Text, einmal in Blei gesetzt, beliebig viele Male vervielfältigt
werden konnte. So konnte Wissen viel schneller verbreitet werden, das Lesen wurde wieder
viel populärer. Auch kann man sagen, dass Gutenberg den Grundstein für den heutigen
Computer gelegt hat. Ohne seine Erkenntnis, dass man Grösseres in Einzelteile -- in Pixel
-- zerlegen kann, wäre es wohl kaum möglich gewesen, dass ich vorher Zeile um Zeile in
den Laptop getippt habe. Natürlich wurde die Erfindung Gutenbergs im Laufe der Zeit
stets weiterentwickelt und weiterentwickelt, bis zum heutigen Offset-Druck, bei dem über
18'000 Blätter Papier pro Stunde produziert werden können. Niemand muss mehr mühsam
Bleibuchstaben von Hand setzen; Heute geschieht dies alles über den Computer. Man könnte
meinen, dass mit der Erfindung des Personalcomputers in den 1980er-Jahren Gutenbergs Erfindung,
und damit die Kunst, Bücher von A-Z von Hand drucken und produzieren zu können, völlig
verloren gegangen ist. Doch dem ist keinesfalls so. Wir haben im entlegenen Vättis zwei Männer
getroffen, die Bücher noch wie vor 200 Jahren produzieren."
Wir sind nun in Vättis im Kanton St.Gallen auf rund 940 Meter über Meer. Vättis liegt
40 Minuten von Bad Ragaz entfernt und hat lediglich 400 Einwohner. Hier, in der Offizin
Parnassia, arbeiten zwei von ihnen. Stefan Burkardt und Hans-Ulrich Frey arbeiten seit
dem Jahre 2000 hier. Ihr Haus befindet sich ebenfalls in Vättis. Der diplomierte Theologe
und der Botaniker drucken ihre Bücher wie noch vor 200 Jahren. Bücher faszinieren die
Beiden schon lange.
„Wir waren eigentlich schon immer fasziniert von Büchern, von Bücher-Sammeln, von schönen
Büchern; Wir hatten eine grosse Bibliothek in unserem Haus, hatten aber mit Bücher produzieren
noch nichts am Hut. Und dann war es eine Verkettung von Zufällen, müsste man eigentlich sagen."
-- „Ja, zuerst haben wir Buchbindematerial gefunden. Ich habe wie gesagt eine grosse
Sammlung von Büchern gehabt und auch immer Bücher zum binden gehabt und habe diese auch
Buchbindern gegeben und habe immer mehr und mehr festgestellt, dass immer weniger Buchbinder
in der Schweiz in der Lage sind schöne Bucheinbände, so wie ich sie mir vorstelle -- mit Lederrücken
und Vergoldung -- zu produzieren, und ich war ein wenig auf der Suche nach Material,
damit ich das selber machen kann. Ich habe einmal eine grosse Reihe an Büchern binden
lassen, und dass ist dann von einem Binder derart schlecht gemacht worden, dass ich gedacht
habe: ,Ja, jetzt muss ich selber'. Dann hatte ich eigentlich Glück und habe von einem älteren
Berufskollegen die Möglichkeit gehabt, eine ganze Sammlung an Vergoldewerkzeugen zu bekommen
-- Und so hat es dann angefangen (also mit den Bucheinbänden)." -- „Das zweite war
dann eine ganze kleine Druckerei. Das war ein alter gelernter Setzer, der hat nach der
Pensionierung noch in seiner Waschküche weitergedruckt, Menukarten für den Jodlerclub und so, und
der sah immer schlechter und wollte das zu Lebzeiten an Leute weitergeben, die mit dem
etwas anfangen möchten. Und wir haben den kennengelernt, waren zwei Tage zur Besichtigung
bei ihm und dann, im Herbst vom Jahre 2000, sind wir zwei Tage zur Lehre bei diesem Mann,
setzen und drucken lernen, und haben beschlossen, das zu kaufen, haben das gekauft, und am 5.
Dezember haben wir das nach Vättis gezügelt in dieses Haus. Und dann hat's begonnen."
Ganz am Anfang steht jedoch nicht das Papier, wie man vermuten könnte, sondern das Blei,
genauer das flüssige Blei. Diese Bleigussmaschine ist ein Kind des Industriezeitalters. Zu Gutenbergs
Zeiten wurde jeder einzelne Buchstabe von Hand gegossen. Seit 1850 geschieht dies maschinell.
Die Maschine schafft es sogar, ganze Texte automatisch zu setzen. Hierbei folgt die Maschine
dem Lochband. Gegossen wird in die Negativformen, auch „Matritzen" genannt. Zwischenfrage:
Was sind es für Leute, die ihre Drucke von der Offizin Parnassia machen lassen?
„Eigentlich alle Menschen, die etwas anderes haben wollen, als was die heutige Industrie
oder der persönliche Computer zuhause hergibt. Das kann eine Nachbarin sein, die 1000 Stück
Neujahrskarten braucht, das kann ein Kunde aus Australien sein, der eine spezielle Bleischrift
-- In diesem Falle antikgriechische Grossbuchstaben giessen lässt, das ist eine Frau aus der
Alternativszene, die einen Text aus ihrer Verwandtschaft bei uns schön gestaltet (gedruckt
und gebunden) haben möchte... Wir können das nicht sagen, es geht kreuz und quer, das
können reichste Industrielle sein, wo es auf ein paar Tausender nicht drauf an kommt,
das können ganz bescheidene Leute sein, die einfach einmal ein Hochzeitsgeschenk möchten,
die Leute sind fasziniert von unserem Handwerk und vor allem auch von unseren Materialien.
Ich glaube, das ist immer wieder ganz entscheidend, die möchten das auf Papier oder Strohpapier
oder Büttenpapier gedruckt haben, was heute auf einem modernen Computer oder mit einem
heutigen Drucker nicht mehr bedruckbar ist." Kleinere Texte werden nicht von der Giessmaschine
gesetzt, sondern vom Setzer -- Buchstabe für Buchstabe von Hand.
„Man sieht schon nur an diesen wenigen Handbewegungen, dass der Handsetzer wesentlich langsamer arbeitet
als ein Computersetzer heute am Bildschirm, die Stundenleistung eines normalen, gut geschulten
Setzers betrug vielleicht 1500 Zeichen pro Stunde, das ist etwa eine halbe Buchseite,
man kann also ausrechnen, dass man für einen Roman von 400 Seiten mehrere hundert Stunden
an der Arbeit war, also einen Arbeitsmonat, entsprechend teurer waren damals auch handgesetzte
Bücher. Dafür gibt sich der Handsetzer grosse Mühen, die Wortabstände sehr nuanciert zu
behandeln, anders als der Computer der heute einfach Durchschnitte ausrechnet. Das Ziel
eines Setzers ist, dass die Laufrichtung des Textes für das menschliche Auge relativ ruhig
ist, und das erreicht man nur, wenn die Wortabstände unregelmässig -- das heisst nach Proportionen
-- gesetzt sind und nicht nach mathematischen Regeln."
Mit 3700 verschiedenen Alphabeten verfügt die Offizin Parnassia über die weltweit grösste
Sammlung an Bleibuchstaben. Der fertige Bleisatz wird nun zur Druckerpresse gebracht. Hier
wird er mit Farbe bestrichen, und das Blatt wird mit Hilfe einer Rolle auf den Bleisatz
gedrückt.
Die Offizin Parnassia verwendet grösstenteils handgeschöpftes Papier, das nach dem Bedrucken acht Stunden trocknen muss.
(German Subitles by Raphael Werner)