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Anmerkungen zur Transkription:
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine der
vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
Das Abendmahl
im
Zusammenhang mit dem Leben Jesu
und der
Geschichte des Urchristentums
von
Lic. Dr. Albert Schweitzer
in Strassburg i. E.
Erstes Heft.
Das Abendmahlsproblem
auf Grund
der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts
und der historischen Berichte.
Tübingen und Leipzig.
Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
1901.
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich
die Verlagsbuchhandlung vor.
C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B.
Seinem Lehrer
Herrn Prof. D. Dr. H. J. Holtzmann
gewidmet
in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit
von seinem dankbaren Schüler
Albert Schweitzer.
Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.
Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von Schleiermacher
aus. Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für
meine schriftliche Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die
Abendmahlslehre Schleiermacher's soll dargestellt und mit
den im neuen Testament und in den Bekenntnisschriften niedergelegten
Auffassungen verglichen werden.
Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht
beschäftigt und war über die neuesten Forschungen in keiner
Weise orientiert, hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die
Arbeit innerhalb acht Wochen abgeliefert werden musste. So
war ich einzig auf die Texte und die bekenntnismässigen Formulierungen
der verschiedenen Konfessionen angewiesen.
Die Schleiermacher'sche Dialektik ersetzte mir aber alles.
Sie zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und
zugleich in allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich
Ernst zu machen mit dem dialektischen Spiel, das er
mit vollendeter Kunst zur Beruhigung und Versöhnung der
Geister und zugleich zu seinem eigenen ästhetischen Ergötzen
aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt der modernen
historischen Forschung angekommen.
Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 3 der Glaubenslehre redet er vom äusseren
Verlauf unserer Feier und zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der
historischen Umstände naturgemäss auf das Wesentliche beschränken
müssen. Wollte man z. B. einen bedeutenden Nachdruck auf den
Zusammenhang, in welchem das historische Mahl mit dem Passahmahl
stand, legen, so würde man alsbald zur Folgerung gedrängt werden,
„dass das Abendmahl jetzt nicht mehr das sein könne,
als was es Christus
gestiftet habe und also auch wohl nicht
könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde Institution für
die Kirche verordnet sein“. „Dieses Bedenken“, so
fährt er dann fort, „liegt so nahe, dass
es sich leicht in der evangelischen Kirche lautbarer machen kann, als
bisher der Fall gewesen, und veranlasst natürlich die Frage,
worauf unser Glaube in dieser Sache eigentlich beruhe. Schwerlich wird
sich behaupten lassen, dass aus den uns aufbewahrten Worten Christi diese Absicht ganz bestimmt hervorgehe. Vielmehr
enthalten einige unserer Erzählungen gar keinen
solchen Befehl (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur
unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den
Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben,
so hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl
ebensowenig eine bestimmte und allgemeine Institution zu machen!
Da nun aber offenbar ist, dass sie das eine gethan haben und das andere
nicht, so können wir uns an das halten, was sie
eingerichtet haben,, ohne dass wir zu entscheiden brauchten, ob
Christus ihnen über das Abendmahl noch andere ausdrückliche Anweisungen
gegeben, oder ob sie dieselben aus seinen Worten gefolgert oder nur
durch den unmittelbaren Eindruck der Sache und durch die begleitenden
Umstände anders bestimmt worden sind in Bezug auf das Abendmahl als
in Bezug auf das Fusswaschen. In dem letzten Fall würden wir dann
das Abendmahl nur nicht ganz in demselben Sinn als eine unmittelbare
Einsetzung Christi ansehen können, immer aber doch glauben müssen, dass
sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn wir nicht auch in ihrem engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen aufgeben
wollen“.
Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer
ausdrücklichen Verordnung Jesu! Grafe
ist also ganz unschuldig! Was er als ehrlicher Historiker in
der Nachfolge anderer Historiker, von der Wucht der Thatsachen
gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, das hat Schleiermacher in seiner Glaubenslehre keck
hingeworfen. Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers
verständnisvoll zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar
übel, als er ungefähr dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben
die temperamentvollen Gegner Grafe's diese
Seite in ihrem Schleiermacher überschlagen
oder sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt,
weil er zeitlich schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch
in zweideutigen Dingen als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist
merkwürdig: In der Theologie darf heutzutage einer fast alles sagen,
was er will, wenn er es nur vornehm und geistreich mit einem gewissen
eleganten Skeptizismus thut. Für den ehrlichen Menschen, der redet,
weil sein Gewissen ihn zwingt, ist man aber unnachsichtlich.
Die Behauptung, die Schleiermacher zum erstenmal vollständig
klar ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte
ganz unter den Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen
Sinn „aus dem dogmatischen Schlummer zu wecken.“ Sie zeigt
nämlich, dass nicht nur die kirchlichen, sondern geradesogut die
wissenschaftlichen Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand
nicht gerecht werden. Die kirchlichen Auffassungen
setzen voraus, dass Jesus die Feier zur Wiederholung bestimmt
habe, können aber nicht nachweisen, dass er es wirklich angeordnet
hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten Zeugen fehlt.
Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon aus,
dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können
aber dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten
Gemeinde aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende
Thatsache.
Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen
und der Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich,
ob man sie durch den Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander
verbindet oder ob man sich mit der Konstatierung der
reinen zeitlichen Aufeinanderfolge begnügt und die Kausalität
dahingestellt sein lässt.
Schleiermacher ist der Hume der
Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.
Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit auseinanderliegenden
Abendmahlslehren mit der Schleiermacher'schen
Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende
bei diesem steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht
denkbar, dass alle Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem
auswirkt, durch dieselben Gesetze beherrscht sind und dass also
an diesen Gesetzen die wahre historische Auffassung sich zu erproben
hat?
Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt
und die mir in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung
in allgemeinen Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran,
alle Epochen der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die
mittelalterliche, die reformatorische und die moderne — gründlich
zu studieren, fest entschlossen, nicht eher mit der neuen
Auffassung an die Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle
Epochen durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass
sie die ganze Geschichte des Abendmahls von der historischen
Feier bis in die neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich
vier Jahre gebraucht. Darum veröffentliche ich, was mir schon im
Herbst 1897, unabhängig von der modernen Forschung,
feststand, erst im Herbst 1901, im Zusammenhang mit der Darstellung
und Beurteilung der historischen Abendmahlsforschung
im 19. Jahrhundert.
Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen
Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns
diese Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut
jede andere Phase dazu benutzen können, da die Gesetze in allen
dieselben sind.
Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung
einer neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den
praktischen Zweck, die historische Grundlage unserer
modernen Abendmahlsfeier abzugeben und das Bestehende
geschichtlich zu rechtfertigen. Es ist nämlich
nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen
Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl
historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere
Wiederholung bedeuten?
Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und
soll ihn wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche
über die Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob
durch die Fluten die Fundamente nicht langsam unterwaschen
worden sind, sondern das liegt den Architekten ob. Diese
müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von einem Millimeter
wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe entgegenarbeiten,
sogar wenn den Passanten die Sache vorerst
ganz belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft
auf das Fundament des Glaubens sehen und darauf
achten, ob nicht die historische Grundlage der Institution,
welche gleichsam die Brücke vom Vergänglichen zum Unvergänglichen
bildet, durch den Strom der Zeit unterwaschen ist
und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine ganz
andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als
bisher.
Schleiermacher hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung
der Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen
Kirche lautbarer machen könnte, als bisher der Fall
gewesen. Und wenn dies nun eintritt, was dann? Solange das
Problem der Berechtigung und Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier
wissenschaftlich nicht gelöst ist, kann durch den geringfügigsten
Umstand eine die öffentliche Meinung aufs äusserste
aufregende und unerquickliche dogmatische Erörterung dieser
Frage eintreten, zu der der Fall Grafe nur ein kurzes idyllisches
Vorspiel wäre.
Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal
in die Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn
der wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer
wieder aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf
den Standpunkt des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig
niederschlagen wird, in dem richtigen Empfinden, dass solche
theoretische Bedenken eine so heilige und erhebende und durch
den urchristlichen Usus in ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte
Feier nicht gefährden dürfen. Der Verteidiger wird sogar
eigentlich die Geschichte auf seiner Seite haben. Denn, wenn
das Abendmahl von Anfang an in der christlichen Gemeinde gefeiert
worden ist, so ist doch diese Thatsache, vollständig objektiv
betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen des Wiederholungsbefehls
in zwei alten Berichten. Wir haben es eben mit einer
ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr
hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu
ziehen, besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück
des ältesten und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens
angreift. Nehmen wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel
zur Erklärung der historischen und der urchristlichen Feier und
zum Verständnis ihres Zusammenhangs fehlt.
Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in
Angriff zu nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in
Unruhe bringen, den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille
segensreiche Arbeit zu thun.
Als Schleiermacher in seiner Glaubenslehre die damals
nur in seiner dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor
sich beschied, mutete er ihnen zu, sich auf „die Anerkennung des
kanonischen Ansehens der Apostel in ihrem engsten Berufskreise“
zu vergleichen. Auf diesen Vergleich kann man aber im
Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt das Gespenst nicht.
Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht sicher gern
erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches Ansehen
allein gründen, das dürfen wir nicht.
Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier
entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu
der die Apostel gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die
Frage nach dem „kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten
Berufskreise“ also folgendermassen: Welches waren die Motive,
durch welche die erste Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige
im Zusammenhang mit dem letzten Mahl Jesu stehende
Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit?
Daran schliesst sich eine zweite Frage, die Schleiermacher
unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus
bestimmten Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch
noch für uns? Besteht in der historischen Feier als solcher auch
für uns eine direkte Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie
eine Feier ableiten, oder handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes?
Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute
Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des
Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme
kam, und diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht.
Unsere Feier gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung
oder auf die unkontrollierbare Autorität bestimmter
Persönlichkeiten, sondern direkt auf die historische Feier. So
ist unser Abendmahl berechtigt, geboten und notwendig von sich
selbst aus.
Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die
Versöhnung hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern
auch hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung der Feier.
Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere
Feier eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf
die Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion
einer historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu
und die Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits
stellen die konfessionellen Auffassungen Zumutungen an
ernste Christen, die sie entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur
Gewissenlosigkeit erziehen und den Zweifel und Spott geradezu
herausfordern.
Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten,
dann würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier
etwas Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft
und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders
heiliges Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen
Einsetzungsworte den Einen durch die rein symbolische Deutung
hinter diesem Geheimnis zurückzubleiben, den Andern durch die
wörtliche Deutung über dieses Geheimnis hinauszugehen und das
Unfassbare zu behaupten. Die Vermittlungsversuche sind am
schlimmsten daran. In der Sache und dem religiösen Gehalt
nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung der Gleichnisse
sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch mit
ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die
„Einsetzungsworte“ liegen und nach der Rolle, die man ihnen
bisher in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder
die krass realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist
vom Uebel.
Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die
Befreiung von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt,
dass die Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der
Feier anwies, geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier
beruht nicht auf den „Einsetzungsworten“ — dies ist mein Leib,
dies ist mein Blut — obwohl diese Worte bei der historischen
Feier gesprochen worden sind. Also ist auch unsere Auffassung
unabhängig von diesen rätselhaften Gleichnisworten.
Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit
in einem praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben
ist. Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen
herkommend, zunächst mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss
nehmen, da sie die Versöhnung nicht durch eine neue Vermengung
oder Verdunkelung, sondern einzig und allein durch
geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit herbeiführen
will. Wir müssen an die Geschichte glauben, d. h. wir
müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der geschichtlichen
Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung
im Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst
nicht den Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese
Untersuchung begonnen und zu Ende geführt.
Diese Arbeit erscheint in drei Heften. Das erste behandelt
das Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts
und aus den Berichten ergibt. Das zweite sucht die
Grundlage der historischen Feier in dem Leben und in den Gedanken
Jesu. Es stellt sich dar als die Skizze einer neuen Auffassung
des Lebens Jesu. Das dritte behandelt das Abendmahl
in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche und zeigt,
wie sich daraus die römische Messe und das griechische Mysterium
mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt
haben. Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander.
Das dritte wird denselben in thunlichster Bälde folgen.
Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die
mir bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern
A. Ernst und R.
Will zu Strassburg, A. Huck und
Ed. Unsinger zu Schiltigheim und dem Herrn
Vikar Alfred Erichson in Strassburg, meinen
tiefgefühlten Dank auszusprechen.
Strassburg, im August 1901.
Inhaltsangabe des ersten Heftes.
Seite
Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl
-
Erster Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen
Forschung des 19. Jahrhunderts
-
Erstes Kapitel
-
Einleitung.
1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung
-
2. Der Ansatzpunkt
-
3. Die Einzelfragen
-
4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen
Zweites Kapitel
-
Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.
Drittes Kapitel
-
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung
des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Genussmoments.
1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. De Wette,
Ebrard und Rückert
-
2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K.
v. Weizsäcker, Willibald Beyschlag, H. Holtzmann, Paul
Lobstein, W. Schmiedel
-
Viertes Kapitel
Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung
des Genussmoments.
Fünftes Kapitel
-
Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des
Genussmoments.
1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan
-
2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta,
A. Eichhorn
-
3. W. Brandt
-
4. Fr. Spitta
-
5. Kritik der Auffassung Spitta's
-
6. A. Eichhorn
-
7. Die neue „Thatsache“
-
8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung
des Genussmoments
9. Der logische Grund der Skepsis
-
Sechstes Kapitel
-
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung
des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Darstellungsmoments.
Ad. Harnack, Erich Haupt, Fr. Schultzen, R. A. Hoffmann.
1. Allgemeines
-
2. Ad. Harnack
-
3. Erich Haupt
-
4. Fr. Schultzen
-
5. R. A. Hoffmann
-
Siebentes Kapitel
-
Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den
Einzelfragen.
1. Der Wiederholungsbefehl
-
2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit
-
3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen
Feier
-
Achtes Kapitel
-
Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des
Darstellungsmoments.
1. Das Gefechtsfeld
-
2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel
-
3. Die Offensive. Adolf Jülicher
-
4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung
des Darstellungsmoments
-
Neuntes Kapitel
-
Die neue Problemstellung.
1. Das Ergebnis der Untersuchung
-
2. Der neue Weg
-
Zweiter Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der
historischen Berichte
-
Zehntes Kapitel
-
Die textkritischen Fragen.
1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage
-
2. Abweichende Lesarten
3. Das Ergebnis der Textkritik
-
Elftes Kapitel
-
Die Eigenart des Markusberichts (Mk 14 22-26).
Zwölftes Kapitel
-
Der Vergleich der Berichte.
1. Das Prinzip der Gleichbildung
2. Der matthäische Bericht (Mt 26 26-29)
-
3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 23-26)
-
4. Der lukanische Bericht (Lk 22 14-20)
-
5. Der justinische Bericht (I Apol 66)
-
Dreizehntes Kapitel
-
Die Authentie des Markusberichts.
1. Der Beweis
-
2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts
3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl
-
Erster Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen
Forschung des 19. Jahrhunderts.
Erstes Kapitel.
Einleitung.
1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.
Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen,
das volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch
nehmen und dann wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden
zu haben und ohne dass es klar ist, wie sie ungelöst an
Interesse verlieren konnten.
Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung
in der Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund
geschoben und das Spiel wiederholt sich.
Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die Abendmahlsfrage.
Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen.
Die erste ist die längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte.
Mit der Dauer steht die Intensität im umgekehrten Verhältnis.
Wir haben keinen feuerspeienden Berg, sondern einen Krater mit
langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse — die fränkischen
Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der Aktionsperiode.
Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht,
ist in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen,
dass, in dem gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen
zur römischen Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze
gerade in dieser Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent
zu bleiben. Statt dessen wird gerade die Abendmahlsfrage
der Pol, nach dem sich die Gedanken orientieren. Diese zweite,
dogmatische Periode, war in ihrem eigentlichen Verlauf ebenso
kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei Jahrzehnte. Dann
wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage neben
andern. Schleiermacher's Glaubenslehre, die wissenschaftliche
Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise.
Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung
heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass
die Mittagszeit bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich
die Erschöpfung an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen
Abhandlungen die Zuversicht, das Problem durch die
historische Kritik lösen zu können, nicht mehr so entschieden zur
Geltung kommen liessen, wie dies früher der Fall war, greift jetzt
eine ausgesprochen skeptische Stimmung Platz, deren Sprache
man in dem Aufsatz Eichhorns's vernehmen kann.
An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes.
Er geht nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze
Forschung des 19. Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner
gerückt ist als je. Die Schwierigkeiten sind gerade durch die
historisch-kritische Methode in viel stärkerem Masse hervorgetreten,
als man früher jemals ahnen konnte.
Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften
Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der
Thatsache, dass sie bis jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt
hat, ihre Inferiorität einer excentrischen überkritischen Unkritik
gegenüber zu proklamieren. Statt dessen sollte man eher
nach den Gründen forschen, warum die historische Kritik die
Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen konnte.
2. Der Ansatzpunkt.
Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von
Einzelfragen zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen
verschieden beantwortet und verschieden mit einander in Zusammenhang
gebracht werden. Gewöhnlich dreht sich nun die
Kritik um diese Einzelfragen. Man untersucht, ob die Fassung
der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die Exegese der Gleichnisse
richtig ist, wie die betreffende Abhandlung sich zur chronologischen
Frage stellt, auf welche Art sie den behaupteten oder
verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah begründet
und dergleichen.
Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf
die Gesamtauffassung an und auf den Zusammenhang,
in welchem die Einzelfragen unter einander stehen.
Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von selbständigen
Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen
heraus, oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren
verborgenen Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit
der einen zugleich über die andern entschieden wird? Welches
sind die Gesetze, nach denen sich die Einzelfragen im Abendmahlsproblem
gegenseitig bedingen? Das ist die Frage, welche uns
beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss geben, warum
die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen konnte.
3. Die Einzelfragen.
Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das
Brot bricht und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie
darin, dass die Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken?
Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint,
oder will er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib
und sein Blut durch den Genuss sich irgendwie aneignen?
Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt,
sodass für die Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken
vorausgesetzt werden dürfen?
Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am
Passahabend im Kreise seiner Jünger zu sehen?
Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen?
Was hat er ihnen zu wiederholen geboten?
Ist es möglich, dass der „Stifter“ ihnen zumutet, seine
eigenen Worte zu wiederholen, die nur in seinem Munde und
in jenem historischen Momente einen Sinn haben?
Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch,
wie kommen denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen?
Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die
Wiederholung als auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung
der historischen Feier einträgt?
Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im
vierten Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt?
Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme
des Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der
historischen Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung
seines Fehlens die Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz
unbegreiflich ist?
Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen,
wie ist dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die tägliche
Feier in der urchristlichen Zeit begreiflich?
Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in
irgend einem Zusammenhang, oder waren sie identisch?
Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum?
Wie sind die Angaben der Didache mit den paulinischen
Schilderungen und Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen?
In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung
der historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen,
zu dem Bilde der historischen Feier in den Synoptikern?
Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens
und der Situation der historischen Feier in der
Didache?
Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in
der urchristlichen Abendmahlsfeier zu?
In welchem Zusammenhang steht das eschatologische
Schlusswort Jesu von dem Neutrinken im Reich des Vaters mit
dem Verlauf der historischen Feier?
Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte
erklären?
Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste;
der Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht
im Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten
evangelischen Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht
ist möglicherweise unabhängig von unseren Evangelien. Welchem
der vier grundverschiedenen Texte gebührt der Vorzug?
In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme
am Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung?
Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der
urchristlichen Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser
Worte konnte aber nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich,
dass wir aus der ganzen urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins
beginnende Mittelalter hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen
über den Sinn dieser Worte haben? Die Einsicht,
dass die Vorstellungen im Urchristentum noch einen gewissen
Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der obigen
Thatsache nicht aus.
4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.
Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte
unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir
teilen die Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung
das Darstellungs- oder das Genussmoment zu Grunde
legen. Unter dem Darstellungsmoment verstehen wir
das Handeln und Reden Jesu während der historischen
Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des
Essens und Trinkens der Teilnehmer, wie sie sich aus
dem Wesen der Feier ergeben soll. Neben den Darstellungen,
die eines dieser beiden Momente mit Ausserachtlassung des
andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch andere, doppelseitige,
die eines der Momente zu Grunde legen, dabei aber dem
zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im
ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen
möglich sind.
1. Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des
Darstellungsmoments.
2. Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung
des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Genussmoments.
3. Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung
des Genussmoments.
4. Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung
des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Darstellungsmoments.
Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in
der Ordnung, wie sie geschichtlich in die Erscheinung getreten
sind.
Fussnoten:
„Das Abendmahl im Neuen Testament“ von Albert Eichhorn,
(Leipzig 1898), Hefte zur „Christlichen Welt“ No. 36.
Zweites Kapitel.
Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.
Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich
behandelt zu haben, gebührt Zwingli. Die Bedeutung der
historischen Feier beruht nach ihm auf dem symbolischen Handeln
Jesu. Durch das Brechen des Brotes und das Darbieten
des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. Er verordnet die
Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem gebrochenen
Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken.
Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass Zwingli
den Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann
die historische Feier erklären, — aber nicht die Wiederholung,
bei welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem
Handeln Jesu, sondern auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des
Brotes und des Weines, ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu
machen, warum die Jünger die Gleichniselemente genossen und
noch viel weniger, warum auch spätere Geschlechter bei der
Wiederholung noch essen und trinken und nicht bloss anschauen,
um sich an dem erzählten und dargestellten Abendmahlshandeln
Jesu zu erbauen. Dass Zwingli's Lehre dogmatisch nicht befriedigen
konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit seiner
wissenschaftlichen Exegese.
So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige
verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen
Platz neben dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen
konnte. Dies leistete die Abendmahlslehre Calvin's.
Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet,
was Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des
Brotes und Ausgiessen des Weines), und in dem, was die Teilnehmer
mit den Elementen beginnen (Essen des Brotes und Trinken
des Weines). In dieser Betonung der Darbietung und der
Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls beruht
die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre.
Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es
Zwingli gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung
als notwendig darzuthun, indem die Wertung des
Genusses, nicht allein der Befehl Jesu, den Zusammenhang
zwischen der historischen und der wiederholten Feier
aufrecht erhält.
Es waren also nicht nur dogmatische, sondern auch
wissenschaftliche Interessen, welche den Sieg der calvinischen
Abendmahlsauffassung über die zwinglische bedingten. Die zum
Teil auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Auseinandersetzung
zwischen diesen beiden Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel
zu der grossen historischen Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert.
Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg Calvin's
über Zwingli allgemein verbreitet war, setzte die historische
Forschung die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich
das Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit
dafür sprach. So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen
mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments wissenschaftlich
ausgeprägt.
Drittes Kapitel.
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des
Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Genussmoments.
1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
De Wette, Ebrard und Rückert.
De Wette vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen
Kommentaren. Das Brechen und das Essen des Brotes, das
Ausgiessen und das Trinken des Weins bedingen zusammen die
Bedeutung der Elemente bei der Feier. Der Hauptnachdruck
liegt aber auf dem Brechen, dem darstellenden Moment. Die
Betonung des Genussmoments ist mehr nebensächlicher Art.
Von August Ebrard wird auf den Genuss der gleiche
Wert gelegt wie auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente
gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Jesus
reicht das gebrochene Brot zum Essen und den ausgegossenen
Wein zum Trinken dar.
Bei Ebrard ist die energische Betonung des Genussmoments
durch seinen Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung
begreiflich. Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet
sich das stärkere Herausarbeiten desselben Moments bei Immanuel
Rückert. Seine klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag
der wissenschaftlichen Diskussion der Abendmahlsfrage in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. Die Handlung
Jesu und der Genuss von seiten der Teilnehmer werden in gleicher
Weise betont. In jedem dieser beiden Momente liegt eine
besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt es zum
Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.
2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Th. Keim, K. v. Weizsäcker, W. Beyschlag, H. Holtzmann,
P. Lobstein, W. Schmiedel.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine
breite und ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente
mit sich führt, jedoch so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung,
das Genussmoment die Oberströmung bildet. Folgende
Aussprüche geben die Richtung des Stromes an.
Th. Keim. Geschichte Jesu von Nazara. 1872 Bd. III S. 232
bis 290 (Das Nachtmahl Jesu).
„Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um
etwas mehr handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines
irgendwie zum Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden
Leibes vor den Gästen aufzustellen, man hat den Eindruck einer
Gabe; diese Gabe liegt erstlich darin, dass er in nachdrücklicher,
in endgültiger Weise als den Zweck seines bevorstehenden Todes
das Heil der Jünger nennt, sodann, dass er im Zusammenhang
damit die Sinnbilder dieses Heils den Erben dieses Heils nicht
nur zum Anschauen, sondern geradezu zum Nehmen und
Geniessen übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine
Früchte in ihre Hände deponiert.“ S. 272.
Karl v. Weizsäcker. Apostolisches Zeitalter. 1886 S. 596
bis 602.
Weizsäcker vertritt eine interessante Differenzierung in der
Symbolik der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der Gegenwart
Christi in der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild
seines Todes, durch welchen er das neue Passahopfer geworden
ist. S. 598.
W. Beyschlag. Das Leben Jesu. 1893 Bd. II S. 434-442.
„Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar:
Sein Leib, der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen
wird, ist sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, —
für uns dahingibt, damit es in uns wirksam werde; damit es, vom
inwendigen Menschen angeeignet, wie der äussere Mensch
Speise und Trank in sich aufnimmt, ihm Speise und Trank ewigen
Lebens werde, und so die in Ihm gekommene Erlösung, den in
Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns vollziehe.“
S. 439.
H. Holtzmann. Biblische Theologie. 1897 Bd. I S. 296-304.
„Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat
der letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern
Brot und Wein zum Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung
auf das gebrochene Brot von seinem Leib, mit Beziehung
auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut gesprochen, letzteres
insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet hat.“ S. 296.
Paul Lobstein. La doctrine de la sainte cène. Lausanne
1899.
„Ceci est mon corps“, dit Jésus en rompant le pain qu'il
distribue à ses disciples; „cette coupe est la nouvelle alliance
dans mon sang versé pour vous“, leur dit-il en faisant circuler la
coupe. S. 46. Le pain que Jésus rompt pour les disciples et
qu'il leur distribue, ils doivent s'en nourrir: „De même que je
vous convie à manger de ce pain, ainsi vous êtes appelés à vous
assimiler le fruit de ma mort, les effets salutaires de ce don de
moi-même, de ce corps brisé et livré pour vous.“ S. 47.
Wilhelm Schmiedel. Die neuesten Ansichten über den Ursprung
des Abendmahls. Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang
Heft 4 1899.
„Das Bedeutsame ist in erster Linie im Brechen des
Brotes und Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den
Becher zu sehen. Die Austeilung dieser Speisen zum Genuss
schliesst sich als etwas zweites an. Um der Hauptsache
willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man einmal
beim Mahle sass, war es naturgemäss.“ S. 147.
Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also
folgende: Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an
ihnen seinen Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei
fordert er die Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten,
dass ihnen die Wohlthaten seines Leidens zu gute kommen, wenn
sie verstehen, sich dieselben anzueignen. Die Wiederholung ist
erfolgt zum Teil, weil der religiöse Wert dieser Handlung von
den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, weil Jesus durch
einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf den
Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er
jedoch für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde.
Ueberhaupt haben diese Darstellungen etwas Schwankendes.
Sie vereinigen die mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander,
sodass es fast unmöglich ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben.
Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um
die Gesetze des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen.
Die Krisis in diesem Zustand wurde erst durch die
Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments heraufgeführt.
Fussnoten:
Vgl. De Wette's Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes
(1837).
„Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte“ von
Dr. August Ebrard. 2 Bde., 1845.
Vgl. Bd. I S. 79-120.
„Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten
Kirche“ von Dr. Leopold Immanuel Rückert, Professor in Jena, 1856.
Vgl. Bd. I S. 61-131.
Viertes Kapitel.
Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung
des Genussmoments.
Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen Abendmahlsuntersuchung
die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise
das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen
in bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: David
Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan, Adolf Harnack, Fr.
Spitta, W. Brandt, Erich Haupt, Friedrich Schultzen,
Rich. Ad. Hoffmann und Albert Eichhorn. In dieser Reihe
haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher betrachteten.
Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen.
Die erste fällt in die Mitte des Jahrhunderts (Fr. Strauss,
Bruno Bauer, E. Renan). Die zweite beginnt am Anfang der
neunziger Jahre (Harnack und Spitta) und kommt noch vor
Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen Abschluss (A.
Eichhorn).
Strauss, Bruno Bauer, E. Renan, W. Brandt, Spitta
und Eichhorn bieten Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung
des Genussmoments. Adolf Harnack,
Erich Haupt, Friedrich Schultzen und R. A. Hoffmann vertreten
die doppelseitigen Darstellungen mit Zugrundelegung
des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.
Fünftes Kapitel.
Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des
Genussmoments.
1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.
Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des
Genussmoments gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die
Mitte des 19. Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. Friedrich
Strauss bezeichnet die erste, Friedrich Spitta die zweite.
Strauss führt aus, dass die Uebersetzung „dies bedeutet“,
wenn sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen
soll, bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der
Verfasser der Evangelien gelegen haben kann. „Den Schreibern
unserer Evangelien war das Brot im Abendmahl der Leib
Christi ... hätte man geschlossen, dass das Brot den Leib bloss
bedeute, so würden sie sich dadurch nicht befriedigt haben“
(S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, dass Jesus seinen gewaltsamen
Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen habe. Daher
kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit mit den
Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der
Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht
das Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung,
dass überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis
der Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht.
Ein Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern
auch nicht. Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung
ist das eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde
davon nicht mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch
in meines Vaters Reich. In Jesu Gedanken bezieht es sich auf
den nächsten Passahwein, nicht allgemein auf das Essen und
Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach er, gemäss
den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet
haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit besonderer
Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert,
dieses Mahl nicht mehr in diesem, sondern erst in jenem Aeon
zu geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des
Passah das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig,
dass Jesus das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft
dachte. Die ganze urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt
sich daraus, dass statt des messianischen Reiches und seiner
Passahfeier — der Tod Jesu eintrat.
Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass
sich der Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung
auf den Tod und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl
gewesen) eine christliche Deutung zu geben. So erklärt
sich das Eindringen des Leidensgedankens und der Leidensweissagung
in die historischen Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten
eine Beziehung auf den Leib und auf das Blut Christi;
dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss des Passahweines betreffend,
allgemein auf das Essen und das Trinken bezogen
und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung
gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl.
Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen
und öfters zu begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen
Wortes.
Diese geniale Auffassung von Fr. Strauss enthält bereits
alle Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig
betonenden Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem
kommen hier in Betracht die Loslösung der historischen Feier vom
Passahmahl, das Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den
Worten Jesu, die Erklärung der Wiederholung der Feier ohne
Annahme des Wiederholungsbefehles und die Notwendigkeit, alle
als unhistorisch erkannten Züge in den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen
(Anschluss an das Passahfest, Beziehung auf
den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus der Entwicklung
der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht einmal zwei
Jahrzehnten zu erklären.
Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte Geschichtskonstruktion
erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche
Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat Bruno
Bauer betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen
wollen: der Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und
sein Blut zum Genuss dar. Der Wiederholungsbefehl ist eine
Zuthat aus späterer Zeit mit abschwächender Tendenz. Man
fühlte, dass man für die historische Feier den Genuss so nicht
aufrecht erhalten könne. Darum hob man die Beziehung auf die
Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde liegt, hervor. Jesus
kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut dargereicht
haben, damit sie es assen; also ist der Bericht des Markus Phantasie,
und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser Erfindung.
Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung
der Bauer'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er
dem Matthäus vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum
des Trinkens von seiten der Jünger eigenmächtig in einen
Befehl Jesu umgesetzt, was schon eine Milderung bedeute. Das
eschatologische Schlusswort lässt er unbeachtet und schneidet sich
so den Weg ab, der Strauss aus den Schwierigkeiten, welche die
einseitige Betonung des Genussmomentes nach sich zieht, herausführte.
Nach E. Renan hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche
gemeinsame Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner
Jünger gefeiert. „Dans ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres,
Jésus pratique son rite mystérieux de la fraction du pain.“ Das
eschatologische Schlusswort ist für Renan zweifelhaft und ohne
Bedeutung. Die synoptischen Abendmahlsberichte erklären sich
nur aus der Entwicklung der späteren Anschauungen, für welche
das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch drangen der
Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib Jesu
und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des
letzten Mahles ein.
2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta,
A. Eichhorn.
Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag von E. Grafe
(Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. Zeitschrift
für Theologie und Kirche 1895) und die klare Zusammenfassung von
Rud. Schäfer (Das Herrenmahl nach Ursprung und Bedeutung 1897).
Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine
Abhandlung, in der die bei Strauss, Bauer und Renan angedeuteten
Gedanken sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem
einheitlichen Bilde entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit
Spitta's. Die Werke von Ad. Harnack und W. Brandt
gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des ausschliesslichen
Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. Da jedoch
Harnack schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen mit
Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich,
ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage
seiner Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch
Spitta's Stellung genommen und seine eigene Ansicht daraufhin
neu formuliert.
3. W. Brandt.
Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. Leipzig
1893 S. 283 ff.
Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem gemeinschaftlichen
Genuss. Durch das Gleichnis beim Abendmahl
hat Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der
Gemeinschaft gemacht. In der Bedeutung dieses Symbols ist
der Grund der Wiederholung zu sehen. Eine Anspielung auf
den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, welches das Brotbrechen
begleitete, findet, für das Wesen der Feier bedeutungslos.
Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung
des Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung
in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch
bedingt, dass nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes
Brot und Becher die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen
Passahmahls bildeten; dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben
mit der urchristlichen Herrenmahlsfeier angebahnt. So
erklärt es sich, dass die letztere durch das erstere im äusserlichen
Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst wurde.
In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei
Strauss bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment
ausschliesslich betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl
fehlt, und es kommt darauf an, den Leidenshinweis
in unseren Berichten auf die Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen
zurückzuführen. Ob der von dem Verfasser angezeigte
Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. Sicher ist, dass er
eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. Wie konnten
die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen Sinn
verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei
der Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen
Leib und sein Blut zu geniessen?
Es ist das unschätzbare Verdienst Spitta's, diese Frage in
den Vordergrund geschoben zu haben.
4. Fr. Spitta.
Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des Abendmahls
(zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 S. 207
bis 337.
Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung
zum Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten
sein Leib und sein Blut, gerade dadurch, dass es genossen
wird! Das Brechen und Ausgiessen als die darstellende Handlung,
welche den Elementen eine veranschaulichende Beziehung
auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die historische
Feier war eine Mahlzeit, bei welcher nach dem gemeinsamen
Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung
hin die dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen
Wein als sein Blut trinken sollten und dies auch
thaten.
Strauss und Bruno Bauer hatten denselben Thatbestand
als von den Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier
aus gezwungen, die historische Thatsächlichkeit des geschilderten
Vorganges in Frage zu stellen und das Zustandekommen der
Berichte sei es aus der Geschichte des Urchristentums (Strauss),
sei es aus der Geschichte der Entstehung der christlichen Ueberlieferung
überhaupt (Bruno Bauer) zu erklären. Dass die Jünger
auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und sein Blut
genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare Vorstellung.
Spitta kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten
durch Zuhülfenahme eschatologischer Gedankengänge.
Anknüpfend an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat
Jesus, wie die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei
den „Einsetzungsworten“ an das Essen und Trinken beim messianischen
Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen,
in der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur
stellt sich die Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl
dar, wobei die genossene Speise der Messias selbst ist!
Auf Grund dieser Vorstellung konnte Jesus voraussetzen, dass
die Jünger ihn verstehen würden, wenn er sie aufforderte, beim
Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen bietet, ist eine Vorwegnahme
des grossen messianischen Mahles der Endzeit. In
diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und
ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken.
Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke
kam für die Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der
Wiederholungsbefehl ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind
späterer Art und nur dadurch verständlich, dass infolge des inzwischen
eingetretenen Todes Jesu die Auffassung seiner Worte
bei der letzten Mahlzeit sich notwendig ändern musste. Die Feier
wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, weil jetzt die
Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden unabweislich
war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig
mit ein.
Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das
Leiden bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor
10 1 ff. und I Kor 10 14 ff. kennen den Leidensgedanken noch
nicht und betonen das Genussmoment. I Kor 11 23 ff. tritt das
neue Moment in Sicht, welches Paulus bei der Bekämpfung der
korinthischen Agapenskandale in die Feier einträgt: die Feier
hat es mit dem Tode Jesu zu thun.
Das Neue ist also bei Spitta die Heranziehung eigentümlich
eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier
als historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische
Liegenden Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen
Leib zu essen und sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser
Feier lag es begründet, dass sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl
Aufnahme in der ersten Gemeinde fand. Von hier
aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun folgenden Entwicklung
das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen,
welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier
bedingten.
5. Kritik der Auffassung Spitta's.
Die grosse Bedeutung der Untersuchung Spitta's beruht
darin, dass er die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt
aufgefasst und zu lösen unternommen hat. Alle
Einzelfragen stehen bei ihm in einer gegenseitigen, engen Wechselverbindung.
Seine Abhandlung bildet eine geschlossene Kette,
bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit den andern in
Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in seiner
Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und
die exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl Grundlage
als auch Folge der Gesamtauffassung.
Man hat seine Auffassung eine eschatologische genannt,
weil er, wie Fr. Strauss, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen
Reich zu Hülfe nimmt, um die historische Feier verständlich
zu machen. Strauss ging dabei vom synoptisch-eschatologischen
Schlusswort aus, in welchem Jesus die Jünger auf
das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er wieder mit ihnen
vereint sein wird. Der eschatologische Charakter der Spitta'schen
Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen Wort, sondern
auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl,
welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur
zusammengetragen ist. Dabei ergeben sich eine
Reihe schwerer Widersprüche mit dem synoptisch-eschatologischen
Schlusswort.
Nach Spitta bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit
den Seinen zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern
weist Jesus auf das Endmahl hin, wo er mit ihnen vom
Gewächs des Weinstocks geniesst. Bei Spitta will er also
Speise und Trank, bei den Synoptikern mitgeniessender
Tischgenosse sein!
Bei Spitta wird der eschatologische Hinweis sowohl für
die Speise als für den Trank vorausgesetzt. Historisch
ist aber das eschatologische Schlusswort nur beim Becher!
Spitta's Eschatologie bezieht sich auf die Aufforderung
zum Genuss des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische
Wort steht damit in keinem Zusammenhang, sondern
folgt erst auf den Genuss.
Spitta's Auffassung ist also ganz unabhängig vom synoptisch-eschatologischen
Schlusswort. Es figuriert auch nicht in seiner kürzesten
Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten einfach:
„Nehmet, esset, das ist mein Leib.“
„Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das
für viele vergossen wird.“
Diese Worte konstituieren die Feier, denn „in der Gemeinde
wurde immer daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen,
er sei jetzt und in alle Ewigkeit die rechte Speise
und Erquickung ihrer Seele“ (S. 289). So wird das synoptisch-eschatologische
Schlusswort zum wehmütigen Abschiedswort,
welches von dem Jubelklang der eschatologisch siegesgewissen
Stimmung zum Todesgang überleitet.
Christus die rechte Seelenspeise: dieser Gedanke ist
modern. Die Eschatologie Spitta's zielt dahin, diesen Gedanken
durch eine Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen
Sprüchen in künstlich-antikem Licht spielen zu lassen,
damit er die Aufforderung Jesu zum Genuss seines Leibes und
Blutes für die historische Situation erkläre. Verzichtet man auf
dieses künstliche Licht, dann bleibt nur das skeptische Dunkel.
Das ist bei Eichhorn der Fall.
6. A. Eichhorn.
Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt
No. 36. 1898.
„Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen“, hat Jesus das
erste Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen
Brot und Wein ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen
und getrunken haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss.
Eine auf Jesu Handeln sich gründende Symbolik kann bei
der Betonung des Genusses nicht bestehen. Man darf nicht
sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen
des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen
des Bluts hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit
vorgenommen wird, ist einfach das Essen und Trinken.
Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so
gibt es vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das
Aufkommen ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus
gesagt und gethan haben mag an jenem Abend, das Kultmahl
der Gemeinde mit dem sakramentalen Essen und
Trinken des Leibes und Blutes Christi, wie es in der
ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat,
ist von da aus nicht zu verstehen. So wird Eichhorn, weil
er bei der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von
der Heranziehung eschatologischer oder moderner Anschauungen
absieht, notwendig zur Skepsis gedrängt.
Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der
vorhandenen Berichte die historische und die wiederholte Feier
in ihrem Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von
unseren Berichten unabhängige Thatsache ein Datum liefert,
welches den Ausgangspunkt der uns unverständlichen Entwicklung
kenntlich macht. — Gelingt es nicht, in der gnostischen Gedankenwelt
ein sakramentales Essen, welches das Vorbild
des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, sodass für die
älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen und Trinken
als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern übernatürlichen
Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, dann muss
auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer
Entwicklung zur Gemeindefeier endgültig verzichtet
werden.
7. Die neue „Thatsache“.
Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert Eichhorn
eine neue, über den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache.
Seine Vorgänger, die mit ihm die ausschliessliche Betonung
des Genusses gemein haben, ersetzen dieses Postulat
durch eine angenommene Thatsache.
D. Fr. Strauss erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier
im Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte,
durch das Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten
Mahl gesprochenen eschatologischen Wortes von seiten der
Jünger.
Bruno Bauer verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders
nicht erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten.
Renan behilft sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu
geübten, den Jüngern bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens.
Spitta bringt eine eigenartige, im Grunde moderne
eschatologische Vorstellung an die synoptischen Berichte heran,
welche mit dem dort gebotenen eschatologischen Schlusswort in
gar keiner Beziehung steht.
W. Brandt überträgt moderne Anschauungsweisen in die
Gedankenwelt Jesu und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung
aus den Berichten begründen zu können.
So bildet die Untersuchung Eichhorn's den natürlichen
Schlusspunkt der scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der
Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.
Durch die dialektische Behandlung des Problems entzieht er jeder
künftigen Darstellung von vornherein die Berechtigung, wenn sie
nicht eine neue geschichtliche Thatsache aufbringen kann, die
erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den Jüngern
zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken.
8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung
des Genussmoments.
Eichhorn's Postulat trägt auch nicht weiter als die behaupteten
Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die
Vorstellung des supranaturalen Essens und Trinkens in einer
schon vorhandenen religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde.
Die nähere Kenntnis des „Gnostizismus“ könnte nach seiner
Ansicht dazu führen.
Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und
Trinken schon existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie
man im Urchristentum dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl
herüberzunehmen. Inwiefern gab die historische Feier
Ansatzpunkte dazu? Die von Eichhorn vorgeschlagene Operation
hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte stehen einem
solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber.
Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende
historische Thatsache der einzige Ausweg aus der
Skepsis. Gleich beim ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig
aussichtslos ist. Also muss eine Darstellung, welche von der
Voraussetzung ausgeht, Jesus habe die Seinen bei Brot und
Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes aufgefordert, von
vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des
Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung
des Genussmoments führt notwendig zur Skepsis:
das ist der Ertrag dieser Darstellungen.
9. Der logische Grund der Skepsis.
Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die
Skepsis sich einstellt, so liegt dies immer daran, dass sich in
den Voraussetzungen eine unbegründete Behauptung
versteckt hat, welche von da aus das menschliche Denken
neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an sich kann nie
zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der unerwiesenen
Voraussetzungsbehauptung ist die Skepsis gehoben.
Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der
Fehler kann nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des
Genussmoments beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen
Gemeinde als Mahlzeit übernommen und gefeiert wurde,
dass die Handlung, welche die urchristliche mit der historischen
Feier verbindet, nicht in dem symbolischen Handeln des
„Stifters“, sondern in der Handlung der Teilnehmer, dem
Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden durch die
Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt.
Nicht in der Thatsache, sondern in der Art der Wertung
des Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige
Darstellungen formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei
der Darreichung von Brot und Wein aufgefordert habe, seinen
Leib zu essen und sein Blut zu trinken. Die Skepsis beruht
also in der Verbindung des Mahlzeitcharakters der
Feier mit den Gleichnisworten, denn damit ist eine Aussage
gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der Darbietende
ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. Das
üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer
Einfälle ist keine Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!
Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus
den Seinen seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe,
muss man damit beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen.
Ist es wirklich eine aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten
unumstösslich feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen
dies in irgend einer Form zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die
Lösung der Abendmahlsfrage unmöglich, da wir dabei das „wie“
aus unseren Texten nie erklären können und jede freie Deutung
bei unseren Berichten ohne Rückhalt bleibt.
Fussnoten:
David Fr. Strauss, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836.
Bd. I, S. 396-442: Das Abendmahl.
Bruno Bauer, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik
der Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213.
Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: „Ein Mensch,
der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken kommen
andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.“
E. Renan, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff.
Sechstes Kapitel.
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des
Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung
des Darstellungsmoments.
Ad. Harnack, Erich Haupt, Fr. Schultzen, R. A. Hoffmann.
1. Allgemeines.
Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen
mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.
Während die Richtung, die durch die Namen Rückert, Lobstein
und Holtzmann gekennzeichnet wird, von dem Handeln
Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu erklären versuchte,
verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen umgekehrt.
Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen
dieses Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu
bringen, dass auch das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu
damit in irgend einer Weise vereinbar ist und daraus seine Erklärung
empfangt. Das Schwergewicht hat sich also von der
einen auf die andere Seite verschoben.
In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die
betreffenden Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken
und dem Handeln Jesu Rechnung zu tragen. „Die Worte sind
mir zu mächtig“, sagt Harnack bei der Würdigung der Auffassung
Spitta's, deren Grundgedanke ihm zusagt, während die
Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der übrigen
doppelseitigen Darstellungen.
2. Ad. Harnack.
Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei Justin (Texte und
Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische Litteraturzeitung
1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. I S. 64.
Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das
eucharistische Genusselement in der alten Kirche waren, kam
Harnack im Jahre 1891 dazu, in entschiedener Weise zu betonen,
dass in jener älteren Zeit die Symbolik sich nicht auf das
Wesen der Elemente habe beziehen können, sondern dass die
ganze Bedeutung der historischen und der urchristlichen Feier
auf der Mahlzeit als solcher beruht habe.
Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein;
die in Frage kommende Handlung ist das Essen und Trinken.
Jesu Worte beziehen sich auf den Genuss. „Die wichtigste Funktion
des natürlichen Lebens hat der Herr geheiligt, indem er die
Nahrung als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hat. So hat er
sich für die Seinen auf immer mitten hineingestellt in ihr natürliches
Leben und sie angewiesen, die Erhaltung und das Wachstum
dieses natürlichen Lebens zur Kraft des Wachstums des
geistigen Lebens zu machen.“
Mit diesem Moment sucht nun Harnack
noch ein anderes in Beziehung zu setzen und dadurch diese
allgemeine religiöse Wertung des Genusses zu spezifizieren.
„Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, oder
vielmehr, er hat die leibliche Nahrung als sein
Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet
(durch die Sündenvergebung), wenn sie mit
Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird.“
Dieser Satz ist für Harnack's Auffassung entscheidend.
„Oder vielmehr“, „d. h.“ und „wenn“ sind die Rangiergeleise,
auf denen man von dem allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken
herkommend, „dass der Herr die wichtigste Funktion des natürlichen
Lebens geheiligt habe“, umsetzt, um die Einfahrt zur historischen
Feier, mit dem dort ausgedrückten Leidensgedanken,
zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner Auffassung
wird also näher bestimmt durch folgende Sätze:
1. Es handelt sich um eine Stiftung.
2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen
Situation enthalten.
3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters.
3. Erich Haupt.
Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte.
Halle, Universitätsprogramm 1894.
Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung
des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und
sein Blut zu geniessen, will er sagen: „Meine Person ist Träger
der Kräfte eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden
und so zu einem Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies
bei der irdischen Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber ganz besonders
von meinem bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe
meiner Persönlichkeit wird euch die in ihr beschlossenen
Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse erschliessen und zu
gute kommen lassen.“ Dieser Grundgedanke deckt sich vollständig
mit dem Spitta's. Während aber letzterer ihm im
Munde Jesu eine eschatologische Wendung gab, überträgt
Haupt diesen durch den Ausdruck „Persönlichkeit“ als modern
gekennzeichneten Gedankengang auf die historische Feier durch
Zuhülfenahme des Leidensgedankens.
Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei
dem letzten Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung
gesprochen. Indem nun das ganze Mahl nachgebildet wurde,
fanden auch diese eschatologischen Gedanken ihre Stelle. So ist
bei Haupt das eschatologische Moment nicht zur Erklärung der
Wiederholung benutzt, sondern erst aus der Wiederholung selbst
verständlich.
Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens
für die Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des
Wiederholungsbefehls gegeben. In der Nacht des Verrats hat
der Herr das ganze Mahl unter den Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls
gestellt. Er will sein Gedächtnis für die Zeit
der Trennung wachhalten. „Somit ist nicht nur kein Gegengrund
dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung
seinen Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort
ist sogar aus inneren Gründen höchst wahrscheinlich.“ Diese
vorsichtige und zurückhaltende Begründung der Beibehaltung
des Wiederholungsbefehls gibt den genauen Gradmesser ab für
die Beeinflussung des zu Grunde gelegten Genussmoments durch
das Darstellungsmoment und den Leidensgedanken.
Mit derselben Vorsicht äussert Haupt sich auch über das Verhältnis
zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape.
„Nicht zwei Teile sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben,
einen profanen, welcher der äusseren Sättigung dient, und einen
religiösen, welcher der Erinnerung an Christi Tod gewidmet ist,
sondern ihre ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter
tragen, und das Herrenmahl im engeren Sinne ist nur der
Höhepunkt des Ganzen.“
4. Fr. Schultzen.
Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895.
In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens
und damit die Bedeutung des darstellenden Moments
im Handeln Jesu aus der Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung
mit dem Genussmoment gerückt, wobei aber letzteres
immer noch den Ausgangspunkt bildet. „Es spricht nichts dafür,
dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und die
Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist
es aber auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische
Handlung bei jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und
dass die Verbindung mit dem Mahle nur durch den äusseren Anlass
entstanden ist.“ Auch das Brot ist nicht blosses Symbol,
sondern auf Grund des Symbols zum wenigsten Repräsentant
und Vermittler des Leibes Jesu.
Das Genussmoment und das darstellende Moment werden
durch den Begriff des Opfermahls zusammengehalten. Den
Jüngern waren Jesu Gedanken aus der religiösen Vorstellungswelt
Israels bekannt und fasslich. In dem Begriff des Opfermahls
war die Wiederholung unmittelbar gegeben und ebenso der
Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des Fehlens
des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des
Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet,
die auch für die fernsten Zeiten Wert hat.
Wie bei Erich Haupt vermögen die eschatologischen Gedanken
auch bei Fr. Schultzen sich nur anhangsweise Geltung
zu verschaffen, nachdem die Wiederholung der Feier schon
anderweitig feststeht. „Die Parousiegedanken bei dieser Feier
erklären sich bei der lebhaften Sehnsucht der Gemeinde nach
der Parousie leicht, da das Abendmahl auch nach I Kor 11 26 eine
Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr Ziel erreicht hat.“
Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für
die Urgemeinde vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes
schärfer aus. Die später erfolgte Abtrennung der „Eucharistie“ von
dem Mahle erklärt sich viel einfacher, wenn sie bereits ein besonderer
Teil derselben war, als wenn man das ihr besonders
Eigentümliche gar nicht erkennen konnte.
5. R. A. Hoffmann.
Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896.
Bei Hoffmann tritt das Darstellungsmoment noch stärker
hervor als bei Schultzen. Es wird geradezu eine zweifache Art
von Teilnehmern vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht
auf die einen, der Genuss ist für die andern bestimmt. „Vergossen
wurde sein Blut für das ungläubige Volk, zu trinken
gab er es den Seinen.“
Mit letzterem will er sagen, dass, da das Blut die Seele
ist, seine Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden
hohen Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit
auch sie, wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits
ihre Seele als Lösegeld für andere dahinzugeben. Nicht
seinen Leichnam reicht er ihnen dar, sondern seinen lebendigen
Leib als den Träger des ihm innewohnenden göttlichen Geistes.
„In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und
Trinken, auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und
Danken — in entsprechender Wiederholung — Bedeutung
zu.“ Dies war der Standpunkt von Schultzen. Hoffmann geht
noch weiter. „Das Wesentliche der ersten Mahlzeit war
ohne weiteres nicht zu wiederholen, eben die Handlung
des Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine
Kraft und Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal
ihnen dokumentiert hatte“ (S. 106).
Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also undenkbar.
Der Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den
Genuss bezogen haben, da Jesus zur Erinnerung an ihn ein
Mahl eingesetzt hat. Es lässt sich nicht mehr ausmachen, wie
sich in der ersten Zeit das Abendmahl des näheren zur Gemeindemahlzeit
verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war die feierliche
Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden.
Der Eschatologie kommt in der Darstellung Hoffmann's
keine Bedeutung zu.
Siebentes Kapitel.
Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.
1. Der Wiederholungsbefehl.
Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre
Wiederholung von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen
und dem Trinken im gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere,
irgendwie segensreiche Bedeutung verleiht, so ist hiermit
ohne weiteres die Wiederholung gefordert. Er braucht das nicht
in einem Befehl ausgesprochen zu haben.
Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich
betonenden Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen,
welche das Genussmoment zu Grunde legen, stimmen
damit überein. Wenn die Jünger Jesum verstanden haben,
mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. Sofern hingegen
das Darstellungsmoment nebenbei betont wird, ist nun aber
die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan,
das kann eigentlich nicht wiederholt werden.
So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken
aus, dass der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig
ist, kommen aber dann dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder
notwendig anzunehmen.
Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker
der Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische
Feier geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit
wird zur Erklärung der eingetretenen Wiederholung
eine darauf hinzielende Anweisung gefordert.
2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.
In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird
eine gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem
Masse ein historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert
werden. In welchem Verhältnis steht das wiederholte
„Herrenmahl“ zu den gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums?
Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des
Genussmoments sind beide identisch, denn für sie besteht ja
auch die historische Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die
doppelseitigen Darstellungen aber kommen hier in dasselbe Gedränge,
wie mit dem Wiederholungsbefehl. Auch sie, sofern sie
den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten eigentlich die
Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben auch das
Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur
Wiederholung einer bestimmten historischen Situation,
welche nicht mehr durch die gemeinsame Mahlzeit als solche
reproduziert wird. Das wiederholte Herrenmahl soll also jetzt
von der gemeinsamen religiösen Mahlzeit irgendwie abheben,
jedoch nur soweit, dass die letzthinige Einheit beider festgehalten
wird. Die Schwierigkeit wächst mit der stärkeren Betonung des
Darstellungsmoments. Man erhält folgende Stufenleiter:
W. Brandt: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten
zum Symbol der Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der
Glaube an ihn neu auflebte, wurde natürlich das vom Herrn
selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft besonders gepflegt.
Gemeindemahlzeit und „Herrenmahl“ sind identisch.
Fr. Spitta: „Es wurde bei Brot und Wein immer daran
gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in
alle Ewigkeit die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.“
Die Didache repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl
und Agape waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache
9 und 10 als Einleitungsgebete zur „eigentlichen Abendmahlsfeier“
auffassen zu wollen.
Ad. Harnack: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in
dem klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. „Der
Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, oder
vielmehr, er hat die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein
Blut, d. h. als die Nahrung der Seele bezeichnet (durch die
Sündenvergebung), wenn sie mit Danksagung in Erinnerung
seines Todes genossen wird. So haben die Apostel seine Stiftung
verstanden.“ Eine Feier, bei der alle diese näheren Bestimmungen
zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine einfache
gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine Ceremonie. „Jesus
verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei
jeder Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem Gedächtnis halten
würden.“ Wie wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als „Gedächtnismahl“
gekennzeichnet? Durch welche Akte, durch welche
Reden? Wie wurde die Situation des historischen Mahls reproduziert,
wo doch auch das „Abendmahl“ nur ein besonderer
Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit gewesen
war?
Erich Haupt: „Die ganze Zusammenkunft soll religiösen
Charakter tragen, und das Herrenmahl in engerem Sinn ist
nur der Höhepunkt des Ganzen.“ Weil Haupt das Darstellungsmoment
stärker betont als Harnack, kann er Gemeindemahl
und „Abendmahl“ nicht irgendwie in einander übergehen
lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere Situation
auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung
repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf
Grund der Stiftung „wiederholte Handlung“ von der religiösen
Mahlzeit sich abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige
Einheit beider festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis
der Steigerung.
Spitta und Harnack bestreiten, dass in Didache 10 6 „wenn
einer heilig ist, trete er herzu“ eine besondere Feier beginnt.
Haupt muss seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt
an, dass diese Worte die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten.
Das „Herr, komme doch“ bezieht sich auf die Gegenwart des
Herrn im „Sakrament“.
Fr. Schultzen: Durch den Begriff des „Opfermahls“ hält
er die beiden auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen.
Er kann sie aber nicht mehr, wie Erich Haupt, in das Verhältnis
der Steigerung setzen — dazu ist die Betonung des Darstellungsmoments
bei ihm schon viel zu stark — sondern er muss
die Trennung konstatieren. „In dem Begriff des Opfermahls ist
die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und ebenso
der stetige Empfang der gespendeten Gabe“ (S. 74). Wiederholt
wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit,
als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der
Teilnehmer. „Die Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg
haben und hat ihn auch wirklich gehabt, dass sie wiederholten,
was er gethan, und damit auch ferner an dem Segen
seines Opfertods Anteil erhielten“ (S. 96).
Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen
Mahl „wiederholten, was er gethan?“ Das bedeutet
nichts anderes, als dass das Gemeindemahl und das Abendmahl
auf die Trennung angelegt waren. In I Kor 11 macht Paulus
die schon vor ihm angebahnte Scheidung nur stärker geltend.
Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich losgelöst
wurde, „ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in der
Stiftung enthaltenen Prozesses“.
R. A. Hoffmann: Das Darstellungsmoment tritt so stark
hervor, dass Hoffmann auf die Lösung des Problems verzichtet.
„Das Wesentliche der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres
nicht zu wiederholen, eben die Handlung des Herrn“ (S. 106).
Auf den von Jesus selbst vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl
nicht gehen. Ihn auf die Handlung der Teilnehmer,
das Essen und Trinken zu beziehen, ist zwar grammatikalisch
sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig
bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der
Erinnerung an ihn „ein Mahl eingesetzt“.
Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist
stark mit der Möglichkeit zu rechnen, „dass dasjenige, was uns
von den Worten Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert
worden ist, nicht alles repräsentiert, was er wirklich zur
Aufklärung über seine uns heutzutage so schwer verständliche
Handlung gesprochen hat“ (S. 115).
Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat,
darüber ist keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen
nur, „dass das Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche
Mahlzeit war, wobei sehr wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen
zugleich Herrenmahl war“ (S. 137).
Zusammenfassung. Die Untersuchung ergibt folgenden
Satz: Bei ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments
sind die Gemeindemahlzeit und das
Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden Betonung
des Darstellungsmoments wird die Differenzierung
zwischen beiden in steigendem Masse notwendig,
bis zuletzt beide auseinanderfallen.
3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen
Feier.
Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen
Abhandlung Spitta's, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert
zu haben, dass eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat,
wenn sie das Wesen der urchristlichen Feier, wie es uns besonders
in der Didache begegnet, erklärt. Dementsprechend
bildet die urchristliche Feier auch den Hauptstützpunkt seiner
Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, da seiner Auffassung
zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. Indem er
von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des
„Abendmahls“ von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er
vollständig mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese
weiss ja auch nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl
Jesu erfolgende ausgesprochene Reproduktion jener historischen
Situation sein soll.
Während Spitta so die urchristliche Feier vollkommen erklärt,
vermag er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd
gerecht zu werden. Das teilt er mit allen Auffassungen,
welche das Genussmoment einseitig herausarbeiten. Inwiefern
die Jünger Jesum verstehen mussten und verstanden haben, als
er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut zu geniessen: das
vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner Weise deutlich
zu machen. Für die historische Situation bleibt ihnen
nur der Skeptizismus übrig, wobei sie sich trösten dürfen,
wenigstens der urchristlichen Feier gerecht zu werden.
Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen:
Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto
besser und ansprechender können sie die historische Feier
erklären, da sie nun den Leidensgedanken und die Symbolik des
Handelns Jesu für die Deutung der Gleichnisse verwerten können.
In demselben Masse aber werden sie unfähig, die urchristliche
Feier zu erklären. Mit dem Darstellungsmoment ist ja
der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung des Leidensgedankens
für die Feier und die Differenzierung zwischen Abendmahl und
Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der urchristlichen
Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts
davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den
Satz: Das Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende
Handeln Jesu in keiner Weise irgendwie reproduziert
wird.
Die Antinomie ist also unlösbar. Eine doppelseitige
Auffassung erklärt die historische Feier nur in dem
Masse, als sie die urchristliche nicht erklärt und umgekehrt.
Dieser Satz enthält das Grundresultat der Untersuchung
über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen
müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von
ihnen, und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie
hinauskommen kann.
Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst
begründet, welche die urchristliche Feier als eine entsprechende
Wiederholung der historischen auffassen will. Nun ist aber
das Wiederholte der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar
nicht ähnlich. Die historische Feier ist eine Ceremonie im
Verlauf einer Mahlzeit, die urchristliche ist nur eine gemeinsame
Mahlzeit ohne entsprechende Wiederholung der Ceremonie.
Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben.
Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische
Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn
der Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die
Gemeindefeier irgendwie eine entsprechende Nachbildung der
historischen ist. Die urchristliche Abendmahlsfeier ist
etwas Selbständiges.
Achtes Kapitel.
Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des
Darstellungsmoments.
1. Das Gefechtsfeld.
Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des
Genussmoments bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die
allgemein verbreitete Auffassung, welche durch die Namen Rückert, Holtzmann und
Lobstein vertreten ist. Es konnte einen
Augenblick scheinen, als hätte die hergebrachte Ansicht durch diesen
unerwarteten, geschlossenen Angriff gegen die Deutung der Gleichnisse
aus dem Handeln Jesu alle ihre Positionen verloren. Jetzt aber, wo die
Lage sich langsam klärt, zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist.
Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen
Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in
eine Position zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf.
Die Sache steht so, dass der Angreifer darauf verzichten muss,
diese befestigte Stellung jemals zu erobern, der Angegriffene
aber auf absehbare Zeit nicht an eine Aktion im freien
Felde denken kann.
Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung
zur Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und
80er Jahre das letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast
allgemein als Passahmahl aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese
Frage aus dem Zusammenhang mit der Gesamtauffassung herauszurücken.
Man begnügt sich mit einer vorsichtigen chronologischen
Erwägung, ob das synoptische Datum wahrscheinlich sei
oder nicht.
Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die
Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments
suchen sich von der Notwendigkeit eines auf die Wiederholung
hinweisenden Wortes frei zu machen.
Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener
hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt
jedoch immer in Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und
wird erst durch dasselbe verständlich.
Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten
in den successiven Kundgebungen Lobstein's und Holtzmann's
verfolgen, soweit sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben
die Verteidigungsstellung eingerichtet.
2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.
Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den
Ursprung des Abendmahls.
Dem etwas forschen Vorgehen Eichhorn's gegenüber
unternahm es Schmiedel darzuthun, wie die Sachen eigentlich
liegen. Er zeigt zunächst, dass die chronologischen Gründe
gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl ein Passahmahl war,
zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck machen.
Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie
bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche
Passah feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die
entschiedenen Aussagen der Synoptiker den chronologischen
Einwürfen wohl das Gleichgewicht halten können.
Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender
Weise zur Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei
mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und
Bundesgedanken zusammenflossen.
Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll,
ist anzunehmen, dass das Bedeutsame mindestens in erster
Linie das Brechen des Brotes und das Ausgiessen des
Weines aus dem Krug in den Becher sei. Das Austeilen
dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas Zweites an.
„Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen;
aber da man einmal beim Mahle sass, war es
naturgemäss.“ Es dient demselben Zwecke wie das einem
Bundesopfer oder dem Passahopfer nachfolgende Mahl überhaupt,
der gemeinsamen Aneignung und Pflege des in dem Opfer
vorkommenden Gedankens.
Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder
nicht, bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so
wäre er verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus
an eine Wiederholung nicht dachte.
Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen
absolut notwendig. S. 148: „Wir müssen noch darauf aufmerksam
machen, wie dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem
unsrigen ähnlichen Versuch wohlwollend einzugehen, wenn man
nicht in unlösbare Schwierigkeiten kommen will.“ Der
hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der Stütze, die sie
in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen Abendmahlsberichte
findet. Durch seine Geltendmachung des Darstellungsmoments
kann Schmiedel jeden einzelnen Zug der
historischen Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten
Nebengedanken in seiner Gesamtauffassung unterbringen. Es
ist gelungen, „die Möglichkeit, dass Jesus eine der
Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich
gehalten habe“, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit
zu bringen. Die Herleitung der Berichte aus
der späteren Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher
Analogien, wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige
Konstruktion muss zuerst den Nachweis erbringen, dass
die von ihr behauptete Umbildung sich in so kurzer Zeit nach
Jesu Tod habe einbürgern können.
Damit erschöpft sich aber der Wert dieser Verteidigungsstellung:
sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte
Geschütze, die aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen
der Belagerten die Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem
unbestrichenen Terrain vergnügt und unbehelligt tummeln. Es
ist nämlich unmöglich, dass jemals eine mit der Schmiedel'schen
verwandte Auffassung erklären könne, wie die von ihnen bis ins
einzelne verstandene historische Feier im Urchristentum,
etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls
Jesu, wiederholt worden ist. Denn das Schwergewicht liegt
ja für sie in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu
in der urchristlichen Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies
unmöglich ist. Der Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie
ist eine Mahlzeit, bei welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie
der historischen Feier in keiner Weise reproduziert wurde. Das
Nebensächliche, das Essen, ist also Hauptsache geworden und die
Hauptsache ist in der wiederholten Feier ganz zurückgetreten.
Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten
Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp
des Angreifers gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung
im Vorteil, wenn sie einen Ausfall wagen sollte. Jede
kecke Konstruktion, von Strauss bis auf Eichhorn, kann das
Aufkommen und das Wesen der urchristlichen Feier besser erklären,
als die exegetisch gewissenhafte, aus den Berichten destillierte
Auffassung Schmiedel's. Nur halte die erstere sich ausser
Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie nicht
durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr
ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt,
dass jeder als Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist.
3. Die Offensive. Adolf Jülicher.
Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892.
(Theologische Abhandlungen, K. v. Weitzsäcker gewidmet.)
Jülicher berührt sich am nächsten mit Zwingli, dessen
Auffassung er ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige
Form der Fragen Rücksicht nimmt. Es handelt sich um
die einseitige Geltendmachung des Darstellungsmoments.
Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen
legen Jesu moderne Gedanken unter. Was
er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich sagte, muss für
jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen sein. Der
Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den Augen
der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen
des Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden
Worte bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. „So
wie dieser Wein alsbald verschwunden sein wird, so wird alsbald
mein Blut vergossen sein, denn mein Tod ist eine beschlossene
Sache; aber“, fügt er tröstend hinzu, „es wird nicht umsonst vergossen,
sondern „für viele“ und — ein bildlicher Ausdruck, der
in dem Gedankenkreis des Passahtages lag — als ein Bundesblut.“
Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht Jesus hier
und dort mit seinem Leibe, auf das Geniessen reflektiert
er gar nicht. Höchstens insofern das Genussmoment aus dem
vorhergehenden darstellenden Moment irgend eine Bedeutung
empfängt, kann man ihm problematische Geltung zugestehen.
So hatte die Feier ursprünglich einen wehmütig schmerzlichen
Charakter, welcher nur aus der Situation begriffen werden kann.
Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten,
dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von
seinen Gläubigen vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann
in der Urkirche aus dieser historischen Feier so schnell eine zu
steter Wiederholung bestimmte Handlung machen können? Zuerst
war es wohl ein inneres Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen
wirkten mit. Bald fand die Wiederholung im
Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam die Vorstellung
eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu auf.
„So weit es irgend ging, wollte man die Situation
von ehedem reproduzieren, nur dass man jetzt auf
das zurückblickte, was damals angekündigt werden
sollte“ (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten Akt kurz
das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen
Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive
Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst
würde deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen.
Nach I Kor 11 26 hat man dabei nie versäumt, den Tod des
Herrn zu verkünden, also immer wieder das erschütternde Ereignis
sich vor Augen zu stellen und seine Notwendigkeit, wie seine
segensreichen Wirkungen zu erörtern; aber das geschah in
freien Formen.
4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung
des Darstellungsmoments.
Die Darstellung Jülicher's bedeutet für die Abendmahlsauffassungen
mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes
das, was die Abhandlung Eichhorn's für die das Genussmoment
zu Grunde legenden Auffassungen war. Beide zeigen
durch die Konsequenz ihres Gedankenaufbaus, dass die alleinige
Betonung des von ihnen zu Grunde gelegten Moments notwendig
zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei Eichhorn darin zu Tage,
dass er die historische Feier, von der urchristlichen Gemeindefeier
aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. Jülicher kann die
Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht erklären.
Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung
des Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur
Erklärung der historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber
nicht ebenso sehr moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen,
wenn man sich die urchristliche Feier als gewollte,
möglichst genaue Reproduktion der Situation
von ehedem begreiflich machen will? Jülicher's Auffassung
könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und
da fehlte ihm noch der Wiederholungsbefehl — aber niemals die
urchristliche religiöse Gemeindemahlzeit.
Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und
logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit
herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl
im eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden.
Mit diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen
aller Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten
überwunden. Die ganze Gemeindefeier ist „Herrenmahlzeit“
— so sagt Jülicher und stimmt dabei mit niemand
so vollkommen überein als mit Spitta und Eichhorn.
Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus
führt, notwendig gegeben. Die Gemeindefeier, auf die Jülicher
von seiner Auffassung der historischen Feier aus kommt, ist eine
Fiktion, welche der wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu
widerspricht, da die letztere „keine Reproduktion der Situation
von ehedem“ war. Wie die Wiederholung aufgekommen, vermag
er in keiner Weise darzuthun. „Dass es zunächst wohl ein
inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und Abschiedserinnerungen
mitwirkten“: diese problematische und gewundene
Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts.
Nun könnte Jülicher durch den Wiederholungsbefehl um
die Schwierigkeit herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein
exegetisches Gewissen nicht. Obwohl er ihn absolut notwendig
brauchte, verzichtet er darauf, weil er durch die beiden ältesten
Synoptiker nicht bezeugt ist. Seine ansprechende Auffassung ist
aus der exegetischen Betrachtung der Berichte erwachsen. Gerade
die Exegese beraubt ihn aber der einzigen Möglichkeit, die
Wiederholung der von ihm geschilderten Feier im Urchristentum
auch nur einigermassen begreiflich zu machen. Die urchristliche
Feier als Reproduktion der historischen Situation ohne Wiederholungsbefehl
ist einfach undenkbar. Also stehen wir hier vor
einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der
urchristlichen Feier zu erklären, müsste Jülicher eine unabhängig
von den Berichten gegebene Thatsache postulieren —
wie Eichhorn es thut, um das Aufkommen des historischen Berichts
fasslich zu machen.
Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments
führt also zu derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung
des Genussmoments.
Neuntes Kapitel.
Die neue Problemstellung.
1. Das Ergebnis der Untersuchung.
Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments
können nur die urchristliche, nie die historische
Feier erklären.
Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments
können nur die historische, nie die urchristliche
Feier erklären.
Die doppelseitigen Auffassungen können die historische
Feier nur in dem Masse erklären als sie die urchristliche nicht
erklären, und umgekehrt.
Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem
zu lösen, da dieses gerade verlangt, dass beide
Feiern in ihrem gegenseitigen Zusammenhang begriffen
werden!
Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders
analysierten Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für
so und so viele andere, die schon veröffentlicht worden sind oder
noch im Zeitenschosse schlummern. Vergangen oder zukünftig:
alle werden sie durch die obigen drei Sätze schon im Vorverfahren
abgethan. Ehe sie überhaupt gehört werden können,
müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes sind als
eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment.
Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen,
denn dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja
nicht auf ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich
historisch und exegetisch darstellen, an, sondern nur auf das
Verhältnis, in dem das Darstellungs- und das Genussmoment
darin zu einander stehen. Alles andere ist Beiwerk.
Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das
von ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment
ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen
— dem Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse,
der Form der angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. —
entschieden. Man kann sie danach geradezu ausrechnen.
Was die Verfasser dann noch von dem Ihrigen an geistreichen
Einfällen, exegetischen Funden und genialen Inkonsequenzen hinzuthun,
das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es wissen, folgen
sie ja einem inneren Zwang. Weil sie müssen, nehmen sie die
schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie nicht anders
können, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen!
Weil sie die Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken
entwerfen dürfen, sind sie — und die andern mit ihnen — geneigt
zu vergessen, dass ihnen der Grundriss des Baues aufgegeben
ist.
Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen
Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen
oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im
Grunde doch nichts anderes sein, als die Wiederholung
oder Modifizierung einer schon vorhandenen, nämlich
der, mit welcher sie die Formel über das Verhältnis
der beiden Momente gemein hat. Wollte man sich die
Mühe geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen
aufzustellen, so würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren
zu entdecken.
Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments
sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion
der altgriechischen Auffassung.
Zwingli hat die römische Theorie rationalisiert und ist von
Jülicher ins modern-geschichtliche übertragen worden.
Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche
zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium
und diejenigen der Reformationszeit in historischer Form wieder.
Man kann also ruhig sagen, dass alle möglichen Kombinationen
der beiden Momente schon erschöpft sind.
Mit „neuen Auffassungen“ ist also nichts gethan; neu daran
ist immer nur der Einfall, nie die Formel — und auf letztere
kommt es allein an. Darum führt die Detailauseinandersetzung
mit einer solchen neuen Auffassung zu gar nichts. Das für
„richtig“ und das für „falsch“ Befundene hängen ja gesetzmässig
zusammen: eins ist nur insofern richtig, als das andere falsch ist.
Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie Rud.
Schäfer, Clemen und Schmiedel zu den neuesten Aufstellungen
geliefert haben, trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die
Forschung nicht in dem Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts
bringen. Aus dem, was sie anerkennen, lässt sich keine neue
Auffassung zusammenbauen, und das, was sie auszusetzen haben,
reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, wenn man nichts Besseres
an die Stelle zu setzen hat.
Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue
Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das
bisher nie hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch.
Ihre Kritiker rechnen das Exempel zum so und sovielten Male
nach. Auf geht es aber darum doch nicht.
Es kann nie aufgehen. Darum nützt es nichts, immer
mit Eifer und Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den
Fehler nicht in der Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die
bisherigen Auffassungen bringen es nicht über dialektische Behauptungen
hinaus, welche als Ganzes aus den geschichtlichen
Thatsachen weder zu beweisen noch zu widerlegen sind.
Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung
loszumachen.
Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der
Abendmahlsfrage?
2. Der neue Weg.
Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss
man von der Deutung der Gleichnisse ausgehen, denn diese
konstituieren das Wesen der Feier. So suchte man sie aus dem
Genuss, oder aus dem Handeln, oder aus beiden zusammen zu
deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung gefunden
hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen.
Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende
Schlüssel passt aber jedesmal nur zu einer. Angenommen Spitta
und die andern deuten die Gleichnisse richtig auf das Urchristentum:
der historischen Situation entspricht aber ihre Erklärung
nicht. Angenommen Jülicher und die andern deuten sie richtig
aus der historischen Situation: im Sinne des Urchristentums ist
aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner Weise zum
Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte.
Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse
aus der sie begleitenden Handlung so ohne weiteres deutbar
sind. Alle Erklärungen werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso
soll das Brechen des Brots die Kreuzigung des Leibes anzeigen?
Ist diese Erklärung etwa deswegen einleuchtender, weil
es die einzige ist, welche die begleitende Handlung offen lässt?
Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden haben können?
In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja eigentlich
bis auf Zwingli weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung.
Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer.
Hier muss man nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen,
den Vergleichspunkt zur Handlung geradezu hinzuerfinden.
Berichtet ist nur das Herumreichen des Kelches.
Dieses ist aber für das „Vergiessen des Blutes“ nicht charakteristisch.
Das einzig Erträgliche wäre das „Ausgiessen in
den Kelch“. Obwohl nun diese Handlung in keinem
Berichte erwähnt ist, haben es alle exegetischen Deutungen,
welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem „Ausgiessen“
des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren
Zwangslage heraus schaffen sie frei ein Analogon zum Brotbrechen,
ohne sich darüber zu rechtfertigen, wie sie dazu kommen,
die Situation in unerlaubter Weise zu bereichern.
Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den
Kelch vor den Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie
er das Brot brach? Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung
des zweiten Gleichnisses auf reiner Erfindung.
Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung
zu einer natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei
haben wir es dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist
nur ein schlechter Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine
Schloss, aber nicht in beide. Und aus dieser Notdeutung
der Gleichnisse wollen wir die ganze historische und
urchristliche Mahlfeier erklären!
Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen
Ausweg ins Auge fasste! Es geht nicht an, die Feier durch
die Gleichnisse zu erklären. Versuchen wir es mit dem
umgekehrten Verfahren, nämlich die Gleichnisse aus der
Feier zu erklären!
Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte
Rütteln an der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache
einmal ruhig.
Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von
Seiten Jesu, um den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei
Gleichnisse, welche mit dem Vorgang zusammenfallen. Ich
sage zusammenfallen! In einer Situation können Handlungen
und Reden zeitlich zusammenfallen, während sie in dem
Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert werden können, weil
die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine Aufeinanderfolge
auseinanderlegen.
So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung,
Gleichnis, Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt,
dann ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen,
worauf zuletzt die Jünger verständnisvoll gegessen
hätten.
Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang
als Scene vorzustellen, so merkt man bald, dass die säuberliche
chronologische Folge stark illusorisch wird. Man denke
sich die 12 Menschen, die wie auf eine innere Verabredung hin
mit dem Essen des ihnen zugeteilten Stückes warten, bis Jesus
das Gleichniswort gesprochen! Wie unnatürlich, ja unmöglich
diese Scene in der gedachten chronologischen Folge der Handlungen
ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins Leben
übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und
Geschraubteres denken.
Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des
Malers in der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei
Möglichkeiten. Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot
zugeteilt und dabei für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt:
dann ist die chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie
feststeht, er hat allen zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort
nur einmal gesprochen: dann ist die chronologische Folge,
mit der wir bisher operierten, illusorisch geworden. Sie besagt
dann nur, dass Jesus im Verlauf der Austeilung des Brotes und
während des Herumreichens des Bechers die Gleichnisworte vom
Leib und vom Blut gesprochen! Ob zu Anfang, in der Mitte
oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und
Trinken: das ist nicht auszumachen. Unsere Berichte geben
uns darüber keinen Aufschluss.
Aus der angenommenen chronologischen Folge haben die
bisherigen Auffassungen ohne weiteres eine causale gemacht.
Man sagte: Die Austeilung und das dabei vorkommende Brechen
und Ausgiessen begründet das Gleichnis, das Gleichnis soll den
Jüngern die Bedeutung des Genusses erklären, und die Bedeutung
des Genusses macht das Wesen der Feier aus.
Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu
machen, das ist ein Fehler, den das menschliche Denken trotz
aller Warnungen immer und immer wieder macht und sich dadurch
die grössten Probleme schafft.
Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene
causale Folge das Abendmahlsproblem unlösbar
macht. Andererseits beschränkt sich unsere Kenntnis von
der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der Austeilung die
Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem Vorurteil
los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und
fassen das Problem so, dass die Feier die Gleichnisse erklärt.
Anders ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die
Jünger aufforderte, das dargereichte Brot und den herumgereichten
Wein zu geniessen, weil er sie als seinen Leib und sein
Blut bezeichnet hatte (wobei freilich niemand sagen kann,
in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib und sein
Blut assen und tranken).
Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot
und dem Wein, die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen,
sagt, sie wären sein Leib und sein Blut, gerade im Hinblick
darauf, dass sie es auf seine Darreichung hin geniessen!
Sie essen also nicht seinen Leib und trinken nicht sein
Blut, sondern, weil sie jenes Brot essen und jenen Wein
trinken, sagt er, es sei sein Leib und sein Blut! Das Gleichnis
konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr!
Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus
unter Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch
herumreicht und sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören
die Gleichnisse nicht, sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen
Worten die Bedeutung aus, welche die Feier für
ihn hat!
Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten
wie die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil
die chronologische Folge der Handlungen in der schriftstellerischen
Darstellung die Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen
nahm.
Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme
das Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es
notgedrungen mit der zweiten probieren.
Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es
steht fest, dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier
keine Rolle spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner
Weise reproduziert! Dafür sprechen Didache und Paulus, denn
wenn sie aus dem alltäglichen Verlauf der Feier bekannt gewesen
wären, bliebe I Kor 11 23 unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes
in geheimnisthuerischer Weise wiederholt würde! Es
stand also im Urchristentum so: Man wusste wohl, dass diese
Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen worden waren,
die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen Feier ab:
aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen
Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren.
Also war die historische Feier, sofern sie sich in der
Gemeindefeier fortsetzte, von den Gleichnissen unabhängig,
da man sonst auch die Gleichnisse wiederholt hätte.
Das ist durch die Geschichte bezeugt.
Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit
den beiden unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen
Jüngern seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken gegeben
habe und wie sie diese Feier später in entsprechender Weise reproduzierten,
sondern das Problem selbst ist ein ganz anderes.
Es heisst nicht mehr: Was bedeuten die Gleichnisse, damit
wir die Feier erklären können? sondern: Was bedeutete
die Feier, damit wir die Gleichnisse erklären können.
In welchem Sinne war die Austeilung von Brot
und Wein beim letzten Mahl ein so überaus feierlicher
Akt, der sich auf Jesu Tod bezog? — von dieser
Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die Gleichnisse
vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur
Lösung des Problems.
Fussnoten:
Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. Karl Clemen.
1898. Hefte zur christl. Welt No. 37.
Zweiter Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen
Berichte.
Zehntes Kapitel.
Die textkritischen Fragen.
1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.
Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 15-20). In
der gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge.
Er bietet zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen
Reiche. Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher
betreffend, welches mit dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort
nach Markus und Matthäus übereinstimmt. Nachdem so
gleichsam ein erster Redegang über das Essen und Trinken abgeschlossen
ist, kommt das Wort über dem gebrochenen Brot
und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das
bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende
eschatologische Schlusswort.
Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte
das Essen, und zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf
das Essen bezogenen Worten handelt nur das zweite von dem
Genuss des Brots, während das erste vom Passah allgemein redet.
Die Doppelheit ist also hier nicht so auffällig, wie in den beiden
das Trinken betreffenden Worten, welche sich beide auf den Kelch
beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein Nachtrag zum ersten aus,
da es ohne das eschatologische Schlusswort steht, die Aufforderung
zum Genuss nicht enthält und überhaupt in dieser Form der
Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das altsynoptische
Kelchwort thut.
Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht
auffiel, war die natürlichste Korrektur schon gegeben: das
zweite Kelchwort, da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten
enthalten schien, zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot,
das in seiner spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu
belassen, weil es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die
Korrektur von Cod. D. Er schliesst mit
den Worten: τοῦτό
ἐστι τὸ σῶμά μου (V. 19ª).
Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich,
so liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit
seiner Aufforderung zum Trinken sich zwischen die beiden auf
das Essen bezogenen Aussagen eindrängen zu lassen und sie unnatürlich
auseinanderzureissen; man moduliert nach der ursprünglichen
synoptischen Harmonie zurück, sodass das eschatologische
Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt dementsprechend
V. 17 und 18 hinter 19ª, so erhält man einen Bericht, der
sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, dass er
vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem
eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist.
Dieses Verfahren findet sich bei b c.
Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des
Cod. D. beruht auf Reflexion. Ueberhaupt bricht sich die
Ueberzeugung immer mehr Bahn, dass seine Abweichungen durchweg
diesen Charakter tragen. Eine originelle Vorstellung der
historischen Feier schwebt dieser Berichtform gar nicht vor. Daher
betrifft die Grundfrage der Textform des Lukas gar nicht
Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt Lukas
dazu, den Bericht so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen,
dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend
zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste?
Diese Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie
hängt mit der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der
damit gegebenen Verschiebung des Bildes des historischen Mahles
zusammen.
2. Abweichende Lesarten.
Die Frage, ob in den einzelnen Fällen εὐλογήσας oder
εὐχαριστήσας zu lesen ist, hat keine Bedeutung.
Die beiden älteren Synoptiker gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas
und Justin den letzteren Ausdruck.
Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 26 ist leicht einzusehen. Partizipien und
erzählende Verben häufen sich in einer Weise, dass man in keinem
Falle eine schwerfällige und ungriechische Konstruktion vermeiden
kann. Ob man nun liest: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς
ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν, oder ob man eines der Partizipien auflöst
und die Lesart erhält: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς
ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem
Falle formlos, weil er eine Häufung von Handlungen auf einen Moment
enthält, deren zeitlicher und logischer Zusammenhang sich sprachlich
gar nicht wiedergeben lässt. Die Varianten beruhen auf der empfundenen
darstellerischen Schwierigkeit, die jeder auf eine andere Weise zu
überwinden suchte.
Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so
sehr hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des
Spenders und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion
so besonders ungelenk wird.
Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser
Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die
Darreichung (ἔδωκεν) und die Aufforderung zum Genuss
(λάβετε) auslassen.
Das φάγετε in Mk 14 22 ist naive
matthäische Nachbildung. Die alten Zeugen bieten nur λάβετε.
Der Zusatz καινῆς, den einige Lesarten bei dem Wort über
dem Becher in Mk 14 24 bieten, beruht auf naiver Nachbildung
der paulinischen Version.
3. Das Ergebnis der Textkritik.
Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet,
dass die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als
die andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor,
welche die betreffenden Auffassungen haben, sich stilistisch
darzustellen. Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte
einander gleichzubilden. Dazu war es aber schon zu
spät: die verschiedenen Typen hatten schon eine zu scharfe historische
Ausprägung erhalten, als dass es den nachbessernden
Versuchen hätte gelingen können, den Einheitstypus herzustellen,
an dem die vorhergehende geschichtliche Epoche sich vergebens
abgearbeitet hatte.
Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus
receptus, sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit
dem matthäischen darstellt und dadurch eine Aufforderung zum
Genuss einträgt (nehmet, esset), die in I Kor 11 24 ursprünglich
fehlt.
Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht
darin, dass sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen
Eigentümlichkeit darstellt, indem sie ihn von den Spuren der
versuchten litterarischen Gleichbildung mit andern befreit. Diese
Aufgabe, so bescheiden sie scheint, ist von eminenter Tragweite.
Hätte sich die Gleichbildung der Berichte wirklich
durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.
Fussnoten:
D, a, ff². Die Ausgabe von Westcott und Hort hat diese Lesart
adoptiert.
In derselben Absicht lässt syrcu Vers 20 aus und setzt dafür Vers
17 und 18 ein.
Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht
betreffen, findet sich in der Abhandlung von Erich Haupt.
So א
(sed δούς ex ἐδίδου korrigiert ab אª) BDLZ.
ΑϹΓΔ.
Mk 14 22:
zu λάβετε zugesetzt φάγετε (EFHM²).
Mk 14 24:
τῆς διαθήκης (אBCDL).
Elftes Kapitel.
Die Eigenart des Markusberichts (Mk 14 22-26).
Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet
das Brot bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das
Gleichniswort von seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das
uns aus Paulus gewohnte ὑπὲρ ὑμῶν und über Matthäus hinaus
das φάγετε.
Ist so im ersten Akt die Aufforderung zum Genuss in
Hinsicht auf das Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, so
fehlt sie im zweiten vollständig. Es wird zuerst berichtet,
dass Jesus allen den Kelch nach dem Gebetswort herumgereicht
habe und alle daraus getrunken haben (Mk 14 23). Darauf erst
spricht er das Gleichniswort von dem für viele vergossenen Blut
(Mk 14 24).
Bruno Bauer war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen,
dass Markus statt der Aufforderung zum Trinken die
Konstatierung bietet, dass alle getrunken haben. Er sieht
darin nur eine Abschwächung gegen Matthäus, da Markus sich
scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.
Dabei hat aber Bruno Bauer nicht bemerkt,
dass mit dieser Konstatierung auch die gewöhnliche chronologische
Folge vom Gleichnis zum Genuss sich verschiebt, wodurch zugleich
das uns geläufige kausale Verhältnis zwischen Gleichnis und Genuss
aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge ist es unmöglich, dass Jesus
oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens aus dem
Gleichnis herleiten, weil dieses ja erst auf
das Trinken folgt!
Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (ἀμήν) und nachdrücklich gesprochene eschatologische
Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich des Vaters sich eng an das
Gleichniswort anschliesst! Es bildet den Höhepunkt der Feier (V. 25), worauf
alsbald der Aufbruch erfolgt.
Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind
bisher nicht herausgearbeitet worden. Man hat ihn einfach nach den
andern gedeutet. Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten
dieselbe Thatsache. Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und
Wein so dargereicht, dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib
und sein Blut assen und tranken. Das Fehlen des φάγετε
bei Markus erklärte man daraus, dass es sich von selbst verstehe. Die
Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob man nicht einmal hervor, weil man
sie — ohne sich davon Rechenschaft zu geben — nach Matthäus
und den andern interpretierte.
Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe
besage wie die andern, ist eine der unbewiesenen
Voraussetzungen, mit denen die bisherigen Abendmahlsauffassungen
operierten. Wenn wir nämlich nur den Markusbericht
hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus
seinen Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut
ausgeteilt und sie zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe.
Man würde die zeitliche Folge im ersten Akt nach der des zweiten
auffassen und als Thatbestand feststellen, dass Jesus im Verlauf
der Austeilung des Brotes das Gleichnis von
seinem Leib und nach der Herumreichung des Bechers
das Gleichnis von seinem Blut gesprochen
habe. Wenn wir aber einen Bericht haben, wo Jesus dem
strikten Wortlaut zufolge weder seinen Leib noch sein Blut
zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, als handle es
sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im Ausdruck,
nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit
ihnen vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen.
Daraus ergibt sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder
handelt es sich um eine absolut unverständliche
Schilderung, die man, weil sie mit dem feststehenden Thatbestand
absolut keine Verwandtschaft hat, als Kuriosum nicht
weiter zu beachten braucht, oder — wir haben den authentischen
Bericht vor uns, von dem die Untersuchung
ausgehen muss. Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald
man sich die Eigenart des Markusberichts klar gemacht hat.
Zwölftes Kapitel.
Der Vergleich der Berichte.
1. Das Prinzip der Gleichbildung.
Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts
darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten
verschieden sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt
sich auf das Gebetswort, das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede;
der zweite enthält das Gebetswort, die Austeilung, die
Erwähnung des Genusses, die Gleichnisrede, den Hinweis auf
die Heilsbedeutung des Todes und das eschatologische Schlusswort.
Der Vergleich zeigt, dass bei den andern Berichten die
beiden Akte in steigendem Masse einander gleichgebildet
werden, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich der Gesichtspunkte,
die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte,
indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim
Brot entsprechen.
Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente
des zweiten Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus,
Paulus, Lukas), oder so, dass der zweite Akt nach Analogie des
ersten zusammengezogen wird (Justin).
2. Der matthäische Bericht (Mt 26 26-29).
Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das
φάγετε ist die ausdrückliche
Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt aufgenommen.
Da im zweiten an Stelle der Konstatierung ebenfalls die
Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte in
diesem Punkte vollkommen. λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες·
τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου. Die Gleichbildung ist aber noch
nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem Wort über die
Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis (τὸ περὶ πολλῶν). Auch das eschatologische
Wort, welches das Gleichnis über dem Wein beschliesst, ist beim Brot
noch nicht vertreten.
Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene πάντες,
dass hier eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt
worden ist. Bei der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt
werden, dass sie alle davon getrunken haben. Bei der Aufforderung
aber ist das πάντες selbstverständlich, oder — wenn es die
Weihe der Aufforderung nachdrücklich hervorheben soll — wie
kann es dann beim Brot fehlen? Hier wäre es wirklich gefordert,
da Jesus nicht ohne weiteres annehmen kann, dass alle das Stückchen
Brot, das er ihnen darbietet, auch wirklich essen, während
er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge folgt. Bei Paulus,
Lukas und Justin ist dann das πάντες, als nicht mehr von Belang,
auch wirklich ausgefallen.
Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem
Kelchwort nach rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach
vorwärts ist bei Matthäus noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem
Kelchwort nicht mehr durch das gewaltige ἀμήν in Steigerung
verbunden, so dass es, wie bei Markus, den Höhepunkt der
ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit δέ beigeordnete
Schlussbemerkung (Markus ἀμήν λέγω ὑμῖν, Matthäus
λέγω δέ ὑμῖν).
So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im
Fluss. Bei Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten.
3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 23-26).
Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung
des Todes hinweisenden Worts (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν) gleicht sich
der erste Akt dem zweiten an. Nur das ἔκλασεν hat keine Parallele.
Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung
beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über
dem Becher. Nur scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er
setzt es vielmehr als Abschluss bei beiden Akten voraus: ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον
τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, ἄχρι οὗ ἔλθῃ (V. 26).
Bis dass er kommt — darin liegt die Erwartung des
Kommens des Herrn und des Anbruchs des Reiches. Dies
darf man für die Erklärung des τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν
nicht ausser Acht lassen. Danach ist die ἀνάμνησις doppelseitig:
nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod Jesu, nach vorwärts
ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem Gekreuzigten,
der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird,
als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten
Gottes erhöht ist.
Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen
Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass
aber nach der Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung
der Parusie in Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in
dem τοῦτο ποιεῖτε, als Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl
gefasst, die paulinische Form des beiden Akten
beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu sehen.
Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da
historisch dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo
der Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem ἔκλασεν ist gar nicht darauf angelegt. Daraus
entsteht bei Paulus eine unerträgliche grammatikalische Verwirrung.
Die Parallele zu dem ὁσάκις
ἐὰν πίνητε, das erwartete ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε, fehlt in der Form des τοῦτο ποιεῖτε von V. 24. Unter dem
ποιεῖν kann also für den ersten
Akt nur das erwähnte Brechen verstanden sein.
Aus V. 25
und 26 geht aber hervor, dass, dem
ποιεῖν des zweiten Akts
entsprechend, der Genuss, nämlich das Essen, darunter verstanden
werden muss. Grammatikalisch allein berechtigt wäre: so oft ihr
dieses Brot brechet und diesen Kelch trinket; thatsächlich aber
soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot esset. So ist auch das
γὰρ zu verstehen, welches
V. 26 mit
V. 24 und
25 zugleich verbindet, sofern es als
Wiederholung der dort von Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken
voraussetzt.
Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes
des ersten Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich
das Wort von der Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische
Hinweis an.
Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis
bietet, einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der
ursprünglichen Gestalt ein Schlusswort. Fügt man es in dieser
Form dem ersten Akt an, so wird die Handlung in der Mitte
auseinander gerissen, da dann Jesus schon beim Brot die Feier
beschliesst. Diese Schwierigkeit hat Lukas gefühlt, als er die paulinische
Vorstellung in den synoptischen Bericht zu übertragen
unternahm.
4. Der lukanische Bericht (Lk 22 14-20).
Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede
für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker
vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss,
welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des
Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 17 u.
18: καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ
διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ
τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ.
Der Versuch nimmt sich gut aus; das διαμερίσατε hat zugesetzt werden müssen,
damit man die später folgende Darreichung des Kelches (V. 20) nicht
vorwegnehme; das eingefügte γὰρ stellt in Verbindung
mit dem διαμερίσατε
zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; das καινόν (vgl. Mt 26 29) blieb besser weg, weil dieses
Adjektiv nachher als erklärender Zusatz zu διαθήκη figuriert; der Farbenton der
eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ'
ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου· Lukas ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ
θεοῦ ἔλθῃ).
Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts
für den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort
über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit
irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend
bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische
Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war,
auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke
zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl
gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das
Essen bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das Jesus
mit den Seinen feiert. 15 καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ
ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν· 16 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ
φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ.
Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier
darzustellen, bei der sowohl das Essen als das
Trinken einen eschatologischen Hinweis erhalten. Dabei wird aber
die historische Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden
eschatologischen Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit
gerückt. Das erste bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von
dem Wort über dem Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem
Wort über dem Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort,
welches dann bei der eigentlichen historischen Feier eintritt, von
dem vorhergehenden, welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau
abzuheben, wird es in der paulinischen Form berichtet: τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι
λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου:
soweit geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische
Hinweis nach Paulus (I Kor 11 24 u. 25 τοῦτο
ποιεῖτε etc.) schon beim ersten Passah-Kelchwort verbraucht;
deswegen wird hier nach Matthäus zurückmoduliert und τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον
eingesetzt; aus diesem Grunde war schon an Stelle des paulinischen
ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι das
altsynoptische ἐν τῷ αἵματί
μου eingetreten.
Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern
ist die ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (ἔδωκεν-διδόμενον) eingedrungen. Das
τοῦτο ποιεῖτε ist stehen geblieben, weil das
eschatologische Wort hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl
allgemein bezieht.
Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein
Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte
unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem
Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen.
Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu
Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche
wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten
Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe
der Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen
beim Kelch das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut
gleich durch die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe (V. 19 τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον, V. 20 τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων). Auch bei dieser
Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich
im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das
Blut gemeint ist.
Wie bei Paulus werden beide Akte durch das τοῦτο ποιεῖτε abgeschlossen. Wir
haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich
erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier
verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des
Vaters Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht,
statt dass es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet.
Dafür finden hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem
Rangstreit und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 21-38), wobei die Schilderung des feierlichen
Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 26
= Mt 26 30) unterbleibt. „Er
ging nach seiner Gewohnheit an den Oelberg“ (Lk 22 39: καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη
κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν).
Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt
dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem
Bestreben hervorgegangen, die Trennung des „Abendmahls“ von der
gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein
soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus
dem Prinzip παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι (Lk 1 3)
zu erklären.
Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder
Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht
gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der
historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche
wird man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn
man das schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl
und den liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung
Zeugnis gibt.
5. Der justinische Bericht (I Apol. 66).
Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten
Akts nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich
auf zwei rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot
spricht er: „dies ist mein Leib“, desgleichen beim
Kelch: „dies ist mein Blut“ (τὸν Ἰησοῦν
λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν
μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα καὶ
εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου).
Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der
Dahingabe und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses
im zweiten Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen.
Nur beim ersten Akt findet sich das τοῦτο ποιεῖτε in der paulinischen Form, wobei aus τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν (I
Kor 11 24) τὴν ἀνάμνησίν μου geworden ist.
Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts
gegen einen derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf
soll sich das ποιεῖν beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort?
Das Brechen ist nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt,
aber nicht hervorgehoben. So ist das τοῦτο ποιεῖτε hier für die
grammatikalische Auslegung sinnlos und die Erwähnung desselben
bei dem ersten Akt allein unverständlich.
Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische
Situation interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41,
70 und 117, dass in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an
Jesu Tod mit hereinspielt. In seinem Bericht aber fehlt jede
Andeutung, dass dieses Mahl in der Nacht vor dem Tod stattgefunden
hat.
Aus dem „justinischen Bericht“ allein wüssten wir also nur,
dass Jesus bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über
dem Brot gesprochen, seinen Jüngern geboten habe, diesen
Brauch zur Erinnerung an ihn festzuhalten; danach habe er fortfahrend
das gesegnete Brot als seinen Leib und den gesegneten
Kelch als sein Blut bezeichnet.
Dreizehntes Kapitel.
Die Authentie des Markusberichts.
1. Der Beweis.
Authentisch ist ein Bericht, welcher in keiner Weise
durch die Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst
ist. Der Markusbericht ist authentisch, weil sich dieser
Nachweis für ihn führen lässt.
Worauf beruht die Gleichbildung der beiden Akte,
welche alle andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad
nach verschieden, im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem
Einfluss, welchen die altchristliche Feier auf die Vorstellung der
historischen ausübt. Die Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der
dem Essen dieselbe Bedeutung zukam wie dem Trinken. Ganz
natürlich übertrug sich dies auf die historische Feier. Man wusste
also nicht anders, als dass Jesus beim Brot und beim Wein in
genau entsprechender Weise gehandelt und geredet haben musste,
sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des Essens
wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung
der beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen
gefordert.
Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir
an der Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da
dies auch unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint.
Alle modernen Rekonstruktionsversuche der „ursprünglichen
Einsetzungsworte“ vertreten die Gleichbildung ebenfalls. Wir
sind also auch geneigt, die Gleichheit der beiden Akte ohne
weiteres für selbstverständlich zu halten.
Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der
beiden Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder
für die Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit
bei den andern eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich,
dass man wohl die andern aus dem Markusbericht ableiten kann,
nicht aber umgekehrt. Matthäus und Paulus — der Lukasbericht
ist ein rein litterarisches Produkt — stellen die Feier
nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin nach dem ersten.
Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden Akte entsprechend
in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten
und Unmöglichkeiten Anweisung geben, so erhält man jedesmal
den Markusbericht.
Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch
eine gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig
durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der
Akte nicht das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in
der historischen Anschauung der alten Zeit haben, welche diese
Berichte formuliert hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter
der Essen und Trinken gleichwertenden Gemeindefeier
gegeben sein kann, steht fest, dass diese Berichte durch
das Medium der altchristlichen Auffassung der Gemeindefeier
hindurchgegangen sind. Markus steht
ausserhalb dieses Prozesses, weil er die Gleichbildung
nicht aufweist; also ist er authentisch.
Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und
Justin in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier
bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht
ist bei ihnen ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte
Anschauung von der Gemeindefeier vertreten. Die Art,
wie sie beide in Verbindung setzen, geht weit über unsere Begriffe
hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier immer nur als
eine entsprechende Wiederholung der historischen, sofern sie
aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen beide
gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier
gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die
für uns ganz überraschend sind.
Es handelt sich um I Kor 11 26. In
V. 24 und 25 vollzieht Jesus die Einsetzung. Wer redet
in V. 26?
Das γὰρ, sofern es sich zum Vorhergehenden begründend
verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. Der Ausdruck τὸν θάνατον τοῦ κυρίου zeigt aber an, dass die
historische Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier
redet. Dazu passt aber das γὰρ
nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist nicht eine Begründung zu den Worten Jesu, sondern eine Folgerung aus dem historischen Spruch. In diesem
Satz vollzieht also Paulus den Uebergang von der historischen Feier
zur Gemeindefeier so, dass er beide für einen Augenblick gleichsam
zusammenschiebt.
Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen
Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier
angehört, ineinander.
1. Jesus zu den Jüngern im Anschluss an die Gleichnisse:
„denn (γὰρ) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem
Wein trinket, verkündet ihr meinen Tod, bis dass ich
komme.“
2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen
erklärend: „Darum (ὥστε), so oft ihr von diesem
Brot esset und von diesem Wein trinket, verkündet ihr des
Herrn Tod, bis dass er komme.“
Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang.
Er fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die
historische Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen
Ausdruck zusammen, indem er sie bezeichnet als: ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ
παρ' αὐτοῦ (sc. Jesu) εὐχαριστηθεῖσα τροφή. Dieser Ausdruck bekundet eine
Gleichsetzung der beiden Feiern, die weit über unseren Begriff
der entsprechenden Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der
Gemeindefeier ist, wie bei der historischen, durch Jesu Gebetswort
geheiligt. Ein Unterschied besteht also nicht.
Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die
Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier
mit der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen
die historische Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier.
Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung
der wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der
Einsetzungsworte ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit
einer paulinischen oder justinischen Sondertradition zu
Recht, da beide „die Einsetzungsworte“ in sowohl unter sich unabhängigen
als von den beiden älteren Synoptikern grundverschiedenen
Fassungen boten. Prüft man aber die Berichte als
Berichte, frägt man sie, ohne den verlockenden Anpreisungen
ihrer „Einsetzungsworte“ Gehör zu geben, was sie von dem Verlauf
und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei
welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es
mit der Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die
historische Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend
vorstellen, nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt
und die bekannten Gleichnisse redet. Also geht auch ihre
Fassung „der Einsetzungsworte“ nicht auf eine paulinische oder
justinische Sondertradition zurück, sondern sie ist geschichtlich
aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu erklären. Paulus und
Justin differieren in ihren „Einsetzungsworten“, weil und insofern
die justinische von der paulinischen Gemeindefeier differiert.
Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine Wandlung
eingetreten sein.
So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der
Authentie mit sich, welche sich nicht mehr auf Meinungen,
sondern auf Gesetze gründet. Als authentisch gilt nicht
mehr die kürzeste oder scheinbar klarste Relation „der Einsetzungsworte“,
sondern die Darstellung des gesamten
historischen Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch
die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun
die betreffende „Einsetzungsformel“ zusagt oder nicht.
Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen
Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die
Authentie der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst
wenn unter unseren Berichten ein authentischer sich befände, so
hätten wir doch kein Mittel, ihn unter den andern herauszufinden.
Durch die neue Auffassung der Authentie ist diese Skepsis abgethan.
Wir besitzen einen authentischen Bericht. Wer es bestreiten
will, muss nachweisen, dass der Markusbericht ein durch
die andern Darstellungen desavouiertes Phantasieprodukt ist.
Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig offene Alternative.
2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.
Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten
Erfolg der neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch
den Weg. Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu
essen und sein Blut zu trinken: dieser angenommene gemeinsame
Thatbestand aller Berichte schien den Weg zu versperren. Durch
die Authentie des Markusberichts wird aber dieser Scheinthatbestand
ausser Kraft gesetzt. Es ist historisch bestätigt, was aus
der Kritik der modernen Auffassungen geschlossen wurde: Jesus
hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen Leib und sein Blut zu
geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im Verlauf, nicht
vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, nachdem
alle getrunken haben!
Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier
nicht auf den Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang
beruht. Das hatte die neue Problemstellung gefordert. Nun ist
es Thatsache geworden. Also ist das Abendmahlsproblem
für die historische Kritik lösbar.
3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.
Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt
vorerst rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die
Gleichnisse nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens
und aus dem vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt
werden dürfen. Das darstellende Moment spielt in den Berichten
keine Rolle und verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische
Text zeigt, wo das Brechen nicht einmal mehr erwähnt
wird.
Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext
deuten, so müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite
aus der Thatsache, dass alle Jünger getrunken haben, erklären.
Man bekäme also zwei ganz verschieden geartete Gleichnisse.
Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie
den Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis
seines Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den
Umständen dieses letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir
also die Gleichnisse nicht richtig zu verstehen vermögen, kann
dies nur daran liegen, dass wir das Geheimnis des Leidensgedankens
falsch auffassen.
Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen
Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier den eschatologischen
Gedanken nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden
das Wort von dem Neutrinken in des Vaters Reich nicht
als eine das Wesen jenes letzten Mahls mitkonstituierende Aussage,
sondern machen daraus bestenfalls ein Anhangswort.
Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit
erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort
der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und
unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken zu
bilden scheint. Diese enge Verbindung zwischen dem
Todes- und Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten
Akt der Situation bei Markus.
Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei
Paulus und zwar in beiden Akten. Nach ihm — und er beruft
sich dabei ausdrücklich auf den historischen Hergang — besteht
die Bedeutung des Essens und Trinkens irgendwie in der Verkündigung
des Todes des Herrn zugleich mit der Erwartung
seiner Parusie. „So oft ihr dieses Brot esset und diesen
Wein trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er
komme.“
In der authentischen Relation der historischen Feier und in
der ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal
eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und
der eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen
der Feier in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein
zu finden. Nicht von seinem Tod, sondern von seinem
Tod und der baldigen Wiedervereinigung mit ihnen
beim Mahle im neuen Reich hat Jesus zu den Seinen geredet.
Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser Feier in
der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal von
Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im
engsten Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung.
Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also
unhistorisch, weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren,
keinen Zusammenhang mit der Eschatologie aufweist. Darum
können sie den wesentlichen Grundzug der historischen Feier
und der ältesten Gemeindefeier nicht zum Ausdruck bringen.
Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, bedarf es daher
eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des Leidensgeheimnisses
Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst
gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht.
Das Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten.
Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias,
und zwar als leidender Messias. Wenn wir sein Handeln
nicht verstehen, so liegt dies mithin daran, dass wir sein Messianitäts-
und Leidensgeheimnis falsch verstehen. Das Abendmahl
kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu begriffen
werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — also
ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu
geführt hat, auch falsch.
Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu!
Eine neue Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung
des Lebens Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts-
und Leidensgeheimnis so enthält, dass sein feierliches Handeln
beim letzten Mahle begreiflich und verständlich wird. Ein neues
Leben Jesu: das ist der einzige Weg zur Lösung des Abendmahlsproblems.
Anmerkungen zur Transkription:
Die erste
Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.
S. :
3. Das Ergebnis des Textkritik
3. Das Ergebnis der Textkritik
S. :
Vergleiche zum folgenden den verhängnisvollen Vortrag
Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag
S. :
sondern
auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl
sondern
auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl
S. :
wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits
ihre Seele
wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits
ihre Seele
S. :
τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαδήκη ἐν τῷ αἵματί μου
τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου