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Ich bin Adrien Douady.
Mein gesamtes mathematisches Werk
dreht sich um komplexe Zahlen.
Ich habe zu Fortschritten in der algebraischen Geometrie
und der Theorie der dynamischen Systeme beigetragen.
Diese Zahlen haben eine lange Geschichte.
Links sehen Sie Tartaglia und Cardano,
zwei Pioniere zur Zeit der Renaissance.
Rechts sehen Sie Cauchy und Gauß,
die im 19. Jahrhundert die Theorie als solche begründet haben.
Die komplexen Zahlen sind gar nicht so komplex
wie man glauben könnte!
Sie wurden zuerst „unmögliche Zahlen“ genannt,
und auch heute noch nennt man sie „imaginär“.
Es stimmt, ein bisschen Phantasie ist schon nötig...
Inzwischen haben die komplexen Zahlen alle Naturwissenschaften erobert
und sind überhaupt nicht mehr mysteriös.
Es ist vor allem den komplexen Zahlen zu verdanken,
dass wir wunderschöne Fraktale konstruieren können,
und ich habe viel auf diesem Gebiet gearbeitet.
Ich habe sogar einen Film gedreht: „Die Dynamik des Hasen“,
einer der ersten mathematischen Trickfilme überhaupt.
Ich werde Ihnen die komplexen Zahlen zunächst an der Tafel erklären.
Mathematiker schreiben ja gerne mit Kreide...
Sie werden sehen, dass sich Lineal und Winkelmesser
manchmal recht ungewöhnlich verhalten.
Zuerst zeichnen wir eine Zahlengerade an die Tafel.
Eine der schönsten Errungenschaften der Mathematik
ist die Verbindung zwischen Algebra und Geometrie.
Das ist der Beginn der algebraischen Geometrie.
Ganz so, wie man Zahlen addiert, kann man auch Punkte addieren.
Hier ein roter Punkt auf der Geraden, und ein anderer Punkt in Blau.
Addieren wir diese beiden Punkte, so erhalten wir
den grünen Punkt. Eins plus zwei ergibt drei!
Wenn der rote und blaue Punkt sich bewegen,
so bewegt sich auch der grüne Punkt, der ihre Summe darstellt.
Noch interessanter ist es, Punkte zu multiplizieren.
Beobachten wir zum Beispiel die Multiplikation mit -2.
Sie überführt den Punkt 1 in den Punkt -2.
Wenn wir nochmals mit -2 multiplizieren,
so führen wir dieselbe Bewegung aus:
wir wechseln auf die andere Seite und
verdoppeln den Abstand zum Ursprung.
Natürlich erhält man so 4.
Wenn man zweimal hintereinander mit -2 multipliziert,
dann hat man mit 4 multipliziert.
Die Multiplikation mit -1 ist besonders einfach.
Jeder Punkt wird auf sein Gegenüber abgebildet,
bezogen auf den Ursprung.
Das heißt, man führt eine halbe Drehung aus,
man kann auch sagen eine Drehung um 180 Grad.
Wenn man eine reelle Zahl mit sich selbst multipliziert,
dann ist das Ergebnis immer positiv.
Zum Beispiel, wenn wir mit -1multiplizieren
dann führen wir eine halbe Drehung aus.
Wenn man das zweimal tut,
dann gelangt man wieder zum Anfang.
Aus diesem Grund ist -1 mal -1 gleich +1,
ganz einfach.
Sie sehen, die Multiplikation mit -1
überführt 2 in -2,
und nochmal mit -1 multipliziert
erhalten wir wieder 2.
Offensichtlich, nicht wahr?
Es gibt daher keine Zahl, die
mit sich selbst multipliziert -1 ergibt.
Anders gesagt, -1 besitzt keine Quadratwurzel.
Dabei haben wir allerdings die Rechnung
ohne die Vorstellungskraft der Mathematiker gemacht!
Robert Argand hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine sehr schöne Idee.
Er sagte sich: „Wenn die Multiplikation mit -1
einer Drehung um 180 Grad entspricht, dann ist
seine Quadratwurzel eben eine Drehung um die Hälfte, also um 90 Grad.
Wenn ich zweimal eine Vierteldrehung mache,
dann habe ich eine halbe Drehung!
Das Quadrat einer Vierteldrehung ist eine halbe Drehung, also -1.“
Darauf hätte man gleich kommen können!
Argand legt somit fest, dass die Quadratwurzel von -1
der Punkt ist, den man aus 1 durch eine Vierteldrehung erhält.
Dazu sind wir gezwungen unsere horizontale Gerade zu verlassen.
Wir entschließen uns also, auch jeden Punkt der Ebene
außerhalb unserer Geraden als eine Zahl zu betrachten.
Da diese Konstruktion etwas bizarr anmutet, sagt man,
dass diese Quadratwurzel aus -1 eine imaginäre Zahl ist,
und die Mathematiker nennen sie i.
Haben wir erst einmal den Schritt gewagt, unsere Gerade zu verlassen,
dann ist der Rest ganz leicht.
Jetzt können wir 2i, 3i, etc. einzeichnen.
Jedem Punkt der Ebene entspricht eine komplexe Zahl,
und umgekehrt definiert jede komplexe Zahl einen Punkt der Ebene.
Alle Punkte der Ebene sind somit zu Zahlen geworden.
Komplexe Zahlen lassen sich addieren wie ganz gewöhnliche Zahlen.
Schauen Sie sich den roten Punkt an, er entspricht der Zahl 1+2i.
Addieren wir 3+i, dargestellt durch den blauen Punkt.
Man kann beide ganz einfach addieren,
so wie Schulkinder das lernen:
Das ergibt 4+3i.
Geometrisch gesprochen ist das nichts anderes als die Addition zweier Vektoren.
Sie sehen also, dass sich die komplexen Zahlen ohne Probleme addieren lassen.
Noch viel interessanter ist jedoch:
die komplexen Zahlen lassen sich sogar multiplizieren,
ganz so wie die reellen Zahlen.
Sehen wir uns das mal an...
Wir können eine komplexe Zahl bereits mit 2 multiplizieren:
Zwei mal 1+i ergibt natürlich
2+2i.
Geometrisch gesprochen ist das ganz einfach eine Streckung
um den Faktor 2:
das Doppelte des roten Punktes ist der grüne Punkt.
Mit i zu multiplizieren ist auch nicht schwer,
denn wir wissen, dass i einer Vierteldrehung entspricht.
Um also 3+i mit i zu multiplizieren,
reicht es eine Vierteldrehung auszuführen.
Wir finden so -1 + 3i.
Gar nicht so komplex, diese komplexen Zahlen!
Und schließlich kann man auch problemlos
beliebige komplexe Zahlen multiplizieren.
Versuchen wir zum Beispiel 2+1,5i mal -1+2,4i.
Wie zuvor multiplizieren wir erst mit 2,
dann mit 1,5i und dann addieren wir die Ergebnisse.
Wir erhalten:
"zwei mal…"
Wir erhalten so
-2 + 4,8i - 1,5i + 3,6 i mal i.
Erinnern wir uns: i zum Quadrat ergibt -1,
denn dafür haben wir diese Zahl ja erfunden!
Wenn wir das einsetzen, erhalten wir
-2 + 4,8i - 1,5i - 3,6 .
Das ordnen wir um zu
-2 - 3,6 + 4,8i – 1,5i
also schließlich
-5,6 + 3,3i.
Na bitte! So können wir nun also
komplexe Zahlen miteinander multiplizieren.
Anders gesagt, wir können Punkte der Ebene miteinander multiplizieren!
Das ist schon erstaunlich.
Eben dachten wir noch, die Ebene habe Dimension 2,
denn man braucht zwei reelle Zahlen
um die Position eines jeden Punktes zu beschreiben.
Und jetzt sage ich Ihnen man braucht nur eine einzige Zahl!
Das liegt natürlich daran, dass wir unsere Zahlen geändert haben:
es handelt sich nun um komplexe Zahlen!
Ich nutze die Gelegenheit, zwei Begriffe zu definieren:
der Betrag und das Argument einer komplexen Zahl.
Der Betrag einer komplexen Zahl
ist der Abstand des entsprechenden Punktes zum Ursprung.
Nehmen wir das Lineal und messen den Betrag
des roten Punktes, 2 + 1,5i.
Wir sehen einen Abstand von 2,5.
Der Betrag von 2 + 1,5i ist also 2,5.
Für den blauen Punkt finden wir 2,6.
Und für den grünen Punkt, das Produkt
des roten und blauen Punktes,
finden wir 6,5.
Das ist eine allgemeine Tatsache: der Betrag eines Produktes
ist das Produkt der Beträge.
Das Argument einer komplexen Zahl
ist der Winkel zwischen der Horizontalen
und der Geraden vom Ursprung zu unserem Punkt.
Hier zum Beispiel ist das Argument des roten Punktes
gleich 36,8 Grad.
Das Argument des blauen Punktes ist 112,6 Grad.
Und das Argument ihres Produktes, dem grünen Punkt, ist 149,4 Grad.
Das ist genau die Summe der Argumente der beiden Zahlen...
Wenn man zwei komplexe Zahlen multipliziert,
dann multiplizieren sich die Beträge und addieren sich die Argumente.
Wir beschließen unsere erste Begegnung mit den komplexen Zahlen
mit der stereographischen Projektion.
Nehmen wir eine Sphäre, die die Tafel im Ursprung berührt.
Mittels stereographischer Projektion
entspricht jedem Punkt der Tafel,
also jeder komplexen Zahl,
ein Punkt auf der Sphäre.
Nur der Nordpol der Sphäre,
also der Pol der Projektion,
entspricht keiner komplexen Zahl.
Man sagt, er entspricht dem unendlich fernen Punkt.
So sagen die Mathematiker, dass die Sphäre
eine komplexe projektive Gerade ist.
Warum Gerade?
Weil man eine einzige Zahl braucht um ihre Punkte zu beschreiben!
Warum komplex?
Weil diese Zahl komplex ist.
Warum projektiv?
Weil die Projektion einen unendlich fernen Punkt hinzufügt.
Ein bisschen wunderlich sind sie schon, diese Mathematiker,
die uns jetzt sagen, dass die Sphäre eine Gerade ist...