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Ich werde oft gefragt, wie Körper und Geist zusammenhängen.
Ich trainiere gerade für einen Marathon;
viele halten es für ungewöhnlich, dass ein tibetischer Lama Sport treibt,
oder gar einen Marathon läuft,
und fragen sich, wie Körper und Geist, Laufen und Meditation, zusammengehören.
Ich selbst halte dies gar nicht für ungewöhnlich. Körper und Geist gehören traditionell zusammen.
In der westlichen Welt werden Körper und Geist gelegentlich als getrennt wahrgenommen,
so dass viele glauben, bei Meditation und Spiritualität
gehe es vor allem darum, alles Körperliche aufzugeben.
Aber so wie ich das sehe, aufgrund meiner Erziehung und Ausbildung,
sollten Körper und Geist, unser Erleben von Körper und Geist, eine Einheit bilden.
Wenn wir meditieren, zum Beispiel, selbst beim Meditieren im Sitzen, erleben wir unseren Körper als Ganzes
und unseren Geist ebenso.
Ich werde oft gefragt: "Kann man auch beim Laufen meditieren?"
Und meine Antwort ist: "Na klar. Ich denke schon. Ich hab's ausprobiert, und es scheint zu funktionieren."
Sie wenden einfach die Grundsätze der Meditation an,
und im Grunde sollte das in jeder Situation möglich sein. Denn so wie ich das sehe,
arbeiten Sie stets mit Ihrem Geist. Sobald Sie mit Ihrem Geist arbeiten,
wird das Laufen zur Meditation. Beim Laufen
konzentriert man sich natürlich auf die Bewegung,
und man hat ein Ziel vor Augen, auf das man sich konzentriert,
genau wie beim Meditieren. Man kann der Tradition folgen und mit dem Atem arbeiten
oder etwas visualisieren. Beim Laufen orientiert man sich außerdem im Raum,
und dann sind da die Arme, die Füße, ein Erleben mit dem gesamten Körper.
Wenn ich laufe, versuche ich, mich zu zentrieren, mit meinem Herz als meiner Mitte.
Ich nehme wahr, dass meine Bewegung
stets aus meiner Mitte kommt, die Beine sind zwar da unten,
aber die Bewegung kommt von hier, aus meiner Mitte.
Außerdem versuche ich, meinen Blick ungefähr 3 Meter vor mir zu halten,
so dass ich leicht nach unten schaue und meine Augen auf dem Weg sind.
Das ist genauso wie beim Meditieren im Sitzen, wenn man atmet und die Konzentration hier ist,
der einzige Unterschied ist, dass man sich bewegt und wesentlich schneller atmet.
Aber abgesehen davon ist es dasselbe. Man hat es mit Schmerz zu tun, mit Gedanken,
mit all diesen Faktoren. Das ist die Einstellung.
Manche denken beim Laufen über alles mögliche nach und nutzen es als Flucht.
Das kann man machen, und wenn man zum ersten Mal Laufen geht,
denkt man schon mal an alles mögliche. Genau wie beim Meditieren: wenn man sich zum ersten Mal hinsetzt,
denkt man auch an alles mögliche. Doch dann, wenn man anfängt, sich zu bewegen,
fängt man auch an, Körper und Geist ins Gleichgewicht zu bringen. Und ich glaube, das gilt für jeden Sport.
Beim Reiten brauchen Sie Gleichgewicht. Ob Sie Skilaufen oder Golf spielen,
bei allem, was Sie tun, brauchen Sie diese Koordination von Körper und Geist. Das liegt in der Natur der Sache,
denn Meditieren ist nichts anderes, als Körper und Geist in Einklang zu bringen.
Dabei nutzen Sie den gegenwärtigen Augenblick als Ihren Maßstab dafür, hier zu sein und gegenwärtig zu sein,
ganz da zu sein, ganz im Jetzt, wie man sagt.
Als ich letztens mein Intervalltraining gemacht habe, ist mir aufgefallen,
dass es sehr wichtig ist, ganz dabei zu sein. Sobald man seinen Geist
zu weit in die Zukunft schweifen lässt und zum Beispiel denkt "Wie lange muss ich denn noch?",
wird man gelegentlich automatisch müde. Das Jetzt kann sehr vollständig, sehr ganz sein.
Wenn Sie ganz im Jetzt sein können, dann verfliegt die Zeit sehr schnell,
weil Sie ganz bei dem sind, was Sie mit Ihrem ganzen Wesen tun. Ich habe nie den Eindruck, besonders lange zu laufen.
Man wird natürlich müde, mal ist man ganz im Jetzt und dann wieder nicht.
Manche nennen das "voll dabei sein"; ich glaube, damit ist genau dasselbe gemeint, Körper und Geist.
Ich glaube auch, so wie wir heute leben, müssen wir uns bewegen, um gesund zu bleiben,
und soweit ich weiß, sagen neuere Studien, dass man jeden Tag mindestens
eine halbe Stunde Sport treiben sollte, oder Aerobic machen oder Ähnliches.
In unserer Kultur gibt es sehr viel Trägheit;
wir steigen aus dem Auto und setzen uns an den Computer, wir sitzen die ganze Zeit.
Meditation hat mich unter anderem gelehrt,
wie wichtig die Atmung ist. Wir sind hier, um zu atmen.
Beim Laufen wird das natürlich extrem deutlich. Aber in jeder Lage können wir atmen
und uns bewegen. Und je mehr wir atmen, desto lebendiger fühlen wir uns, desto inspirierter sind wir,
und desto besser können wir unseren Geist üben. Es überrascht mich daher gar nicht, dass viele nach der Arbeit ins Fitnessstudio gehen
oder sich irgendwie körperlich betätigen - ihnen würde sonst etwas fehlen.
Und dieses Wissen ist Jahrhunderte alt, Sie können alte Meditationsschriften
darüber lesen. Über die Einheit von Körper und Geist.
Man nennt das "Shinjang". Shinjang kann "mit etwas arbeiten" heißen, oder "trainieren", oder "entwickeln".
Es gibt das Shinjang des Geistes, das ist nichts anderes als Meditieren, mit dem Geist arbeiten.
Je mehr Sie den Geist trainieren und mit ihm arbeiten, desto ruhiger wird er,
und desto besser können Sie ihn nutzen. Je mehr Sie mit ihm arbeiten,
desto stärker und flexibler wird der Geist. Das Gleiche gilt natürlich für den Körper.
Wenn Sie Ihren Körper trainieren, wird er stärker und flexibler.
Und ich glaube, das gilt auch, wenn Sie älter werden. Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen,
gerade letztens habe ich mit jemandem gesprochen, der bald 60 wird, und er sagte
dass er dachte, wenn man älter wird, sollte man eher weniger Sport treiben.
Also trieb er weniger Sport, und stellte fest, dass er sich schlechter fühlte.
Jetzt bewegt er sich wieder mehr, und fühlt sich besser.
Das ist der Unterschied zwischen unseren Gedanken und der Wirklichkeit.
Das Wissen hierum ist Teil der meditativen Tradition: sie fordert uns auf,
uns zu bewegen, solange wie wir dazu imstande sind.
Ich ermutige daher jeden, sich zu bewegen; es muss nicht gleich
so extrem sein wie in meinem Fall - ich lehre ja schließlich den Mittleren Weg.
Viel Glück!