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Chroniken eines europäischen Winters Episode 1. Athen, Dezember 2011.
Der erste Eindruck von Athen :
eine 30 Kilometer lange Busfahrt vom Flughafen ins Zentrum.
Wenn man aus dem Busfenster guckt
wird schnell klar, daß hier irgend etwas nicht ganz stimmt.
Es gibt kein einziges Gewerbegebiet und nicht eine Einkaufsstrasse
ohne einige oder viele geschlossene Geschäfte.
Während der ganzen Fahrt erscheinen ununterbrochen leere Schaufenster,
jedes mit "zu verkaufen" oder "zu vermieten" beklebt.
Es ist das einzige sichtbare Anzeichen für eine Krise, die sonst nur spürbar in der Luft hängt,
für einen Besucher, der früher nie in Griechenland war.
Wenige Tage später, in der Nähe von Ermou, der Haupteinkaufsstraße in Athen.
Ich bräuchte viel Zeit, um dir alles zu erklären
aber ich bin seit vierzig Jahren hier
und ich erinnere mich nicht, solch eine Situation je zuvor erlebt zu haben.
Sieh,
das hier ist die größte Einkaufsstraße der Stadt
und du siehst:
eins, zwei,
drei, vier
Läden, die geschlossen sind.
Lambros besitzt ein kleines Damenbekleidungsgeschäft.
Er sprach mich spontan an, als ich vorbeiging.
Wir sind mit unseren Zahlungen weit zurück.
Verstehst du? Sehr weit zurück.
Alles geht hier den Bach runter
und ich sehe keine Lösung für die Zukunft.
Wie soll das in Zukunft weitergehen?
Heute
ist Nikolaustag.
Und letztes Jahr kamen noch viele Leute hierhin, um einzukaufen,
und jetzt nichts mehr.
Nichts.
-Wie steht es um Ihren Laden? Haben Sie große Probleme?
Müssen Sie schliessen?
Nein, Nein, ich bin ein Kämpfer,
Ich bin ein Kämpfer. Ich kämpfe.
Ich will bis zum Ende kämpfen.
Nein, ich werde mein Geschäft nicht schliessen,
aber dafür kämpfe ich.
Ich fühle mich wie der Kapitän eines Schiffes.
Das hier ist ein Familienunternehmen.
Diese Dame ist meine Frau. Nicht die hier, die andere ist meine Frau.
Komm.
Im letzten Jahr, haben wir hier
jeden Tag ungefähr 1000€ Umsatz gehabt.
Jetzt sind das so
500, 400, 300, 600 Euro pro Tag.
Ich sagte dir ja vorhin,
daß ich ein Kämpfer bin.
Kann sein, dass ich verliere, ich weiß es nicht...
Ich weiß es nicht.
Ende November 2009.
Die Finanzwelt wird durch Dubais Insolvenzrisiko erschüttert.
Das ist das erste Mal seit dem Beginn der Finanzkrise,
dass ein Staatsbankrott tatsächlich möglich wäre.
In Griechenland ist der sozialistische Parteichef George Papandreou seit
zwei Monaten Premierminister.
Nach seiner Wahl realisiert seine Regierung, dass die Staatsfinanzen
in einem schlechteren Zustand sind, als die vorherige Regierung es dargestellt hat.
Am 30. November 2009 verkündet er dies offiziell.
Eine Woche später stuft die Agentur Fitch Ratings
die Kreditwürdigkeit Griechenlands um eine Stufe von A- auf BBB + herunter.
Wir hatten schon vor ein paar Jahren davon gehört,
aber wir konnten uns damals nicht vorstellen
was man dadurch erleben würde, was genau jetzt passiert.
Es gibt ein großen Unterschied.
Wir konnten nicht verstehen, was auf uns warten würde.
Noch bis vor zwei Jahren
war es für einen Normalverdienenden in Griechenland ganz gut.
Bis 2009.
Yannis ist 33 Jahre alt. Er ist Angestellter in einem Verlag,
Und wurde die letzten 3 Monate nicht bezahlt.
Sein Kollege im gleichen Büro ist 50 und hat das gleiche Problem.
Wir haben tatsächlich keine Ahnung, was morgen passieren wird.
Wir wissen, dass es schlimmer wird.
Aber was nun?
Sie drohen uns an, dass wir das, was wir schulden an Europa zahlen.
Sie nehmen alles, von den Armen, von jedem...
Weil...also, wir merken, dass sie die reiche Leute nicht erreichen...
Sie sind nicht in der Lage, sie zu erreichen, zu berühren
Sie können ihnen gar nichts antun.
Sparmaßnahmen.
Seit 2010 sind neue Gesetze in Griechenland, Irland
Portugal, in Spanien, Italien und Großbritannien in Kraft getreten.
und hatten einen direkten Einfluss auf den Lebensstandard der Bevölkerung.
Diese Gesetze wurden von diversen Parteien verabschiedet:
Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten,
um sogenannte Sparmaßnahmen einzuführen.
Diese Maßnahmen erhöhten die Steuern
und minimierten das Angebot des öffentlichen Dienstes.
Erhöhung der Umsatzsteuer, und der Mineralölsteuer,
Erhöhung der Einkommenssteuer, Sozialabgaben und der Wohnsteuer,
um nur ein paar zu nennen.
niedrigere Renten, Kürzunge bei Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit
eine Senkung der öffentlichen Dienst- leistungen in den Bereichen Gesundheit,
Bildung und Verkehr, und höhere Kosten für die Nutzer dieser Dienste.
Durch Aufsummieren der verabschiedeten Gesetze in den erwähnten Ländern,
sind es fast 100 solcher Maßnahmen,
die in den letzten 2 Jahren in Europa eingeführt wurden.
Dieses Jahr bezahlen sie uns nicht regelmäßig.
Es gab ein gewisses Gehalt
Zunächst einmal wurde es gekürzt, stark gekürzt,
schon vor 10 Monaten
Und nun sind es schon 3 Monate ohne Gehalt.
Drei Monate lang haben wir jetzt kostenlos gearbeitet.
Zum Beispiel hatte unser Chef vor 3 Jahren 3 Unternehmen,
mit 37 Mitarbeitern.
Jetzt sind wir drei
und ein Unternehmen.
Es ist ein Wahnsinn.
Ich kaufe gar nichts mehr.
Und damit meine ich wirklich gar nichts.
Ich spare das Geld nur für Lebensmittel...
und für die hauptsächlichen Steuern.
Alle anderen Steuern...
lasse ich beiseite.
Alle drei bis vier Monate
höre ich von dem ein oder anderen Freund, dass er seinen Arbeitsplatz verloren hat.
Leute, die in ihrem Bereich
spezialisiert waren, in sehr gut bezahlten Jobs
sind jetzt arbeitslos. Sehr schwierig.
Einige von ihnen haben jetzt Familien, haben Babys,
und sie wissen nicht, was sie jetzt tun sollen.
Ich glaube, dass einige Leute daran denken zu ihren Wurzeln zurück zu kehren
in die Vororte außerhalb Athens, in die Dörfer.
Und viele meiner Freunde sind schon ins Ausland gegangen.
Freunde von mir auch.
Und wir sprechen über viele von ihnen.
Deutschland, England, USA, Zypern.
Australien, Brasilien, Belgien...
Ich kenne sogar Leute, die nach Bulgarien gehen,
und andere solcher Ländern.
Und wie ist deine Stimmung mit all dem?
Frag nicht!
Psychologisch sind wir wirklich am Boden.
In allen Aspekten unseres Lebens.
Es gibt einen Unterschied, wenn man sagt, die Griechen müssen mit weniger leben,
und die Griechen müssen mit gar nichts leben.
Da ist ein Unterschied. Wir haben nichts mehr.
Wir sehen, wie es beschleunigt, wie eine Lawine.
Und wir sehen dass die Lawine uns umhauen wird.
Uns alle.
Es ist eine Frage des Überlebens
und keine Frage des Komforts
oder danach, eine gute Zeit zu haben.
Wir sind in einer Art von Krieg.
EIn anderer Krieg ohne Kugeln...
aber mit Opfern auf eine andere Art.
Opfer, die nicht in den Schlagzeilen der Zeitungen sind.
Aber wenn man Menschen sieht, die hungern,
und den Müll durchsuchen, um Essen zu finden,
oder Dinge, die man verkaufen kann
ist das keine gute Situation,
und wir sind es nicht gewohnt sowas hier in Griechenland zu sehen.
In der Zeitung Ekathimerini stand gestern die Geschichte ein kleines Mädchens
das nicht aus dem Kindergarten abgeholt wurde mit einem Zettel ihrer Mutter in der Tasche:
Es tut mir leid. Ich kann sie nicht mehr versorgen.
Ich werde sie nicht mehr abholen.
Februar 2010.
Die Glaübiger sind immer mehr wegen Griechenlands Schuldenberg besorgt.
Aus Angst, dass dieser nicht mehr zurückgezahlt wird,
verlangen sie immer höhere Zinsen,
was die Schulden noch mehr in die Höhe treibt und das Problem verschlimmert.
Die Regierung muss handeln, bevor es zu spät ist
und kündigt an, dass Sparmaßnahmen eingeführt werden.
Diese bestehen aus Steuererhöhungen und Verringerung der Staatsausgaben,
um den Haushalt auszugleichen.
Die ersten Maßnahmen, die am 9. Februar 2010 beantragt waren,
sind Gehaltskürzungen von Beamten.
Viele anerkannte Ökonomen,
wie Nobelpreisträgern Joseph Stiglitz und Paul Krugman kritisieren diese Maßnahmen:
solche Maßnahmen können nur in Zeiten von starkem Wirtschafts- wachstum durchgesetzt werden
und wären ineffizient und sogar sehr gefährlich im Rahmen einer Krise.
Jeder hat jetzt eine Meinung dazu.
Zumindest um sich nicht schuldig zu fühlen, dass sie nichts getan hätten.
Die meisten von uns hatten kein Interesse.
Ich selber war auch noch nie politisch aktiv gewesen.
Nie.
Und vielleicht war genau das ein Fehler.
Vor Arbeitsende
fragt Yannis Kollege, ob er was zur Diskussion hinzufügen könnte.
Meine Situation ist nicht so schlimm
wie die von anderen
da meine Frau einen guten Job hat.
Aber auch wenn ich sage, dass wir nicht in einer allzu schlechten Lage sind
mussten wir ein Auto verkaufen.
Wir haben unsere Kinder aus der Privatschule genommen.
Wir planen nichts für Weihnachten,
Und natürlich fühle ich mich sehr schlecht
dass ich nicht in der Lage bin, zu den Haushaltskosten beizutragen.
Seit September bis heute
habe ich 400 Euro beigesteuert.
Das ist nichts, wie du weisst
Das ist kleiner als das Einkaufen im Supermarkt des Monats
Ich kann Griechenland nicht verlassen,
denn meine Kinder gehen in Griechenland zur Schule.
Meine Frau arbeitet hier
Es ist sehr schwierig ein neues Leben im Ausland aufzubauen.
Meine Frau und ich sind beide um die 50.
Es ist mittlerweile schwierig.
Yannis ist jünger,
also kann er eher gehen.
Nein, es gibt keinen geheimen Plan.
Der einzige Plan B ist, in ein kleineres Haus zu ziehen, aber...
aber daran mag ich noch nicht mal denken.
Wir müssen versuchen einen gewissen Lebensstandard zu halten,
um nicht verrückt zu werden,
einfach um ein inneres Gleichgewicht zu halten.
Nun, das ist alles.
Das ist meine traurige Geschichte.
Ein normaler kleiner Supermarkt, in einem ruhigen Mittelschicht Vorort.
Ich wollte nur ein paar einfache Sachen kaufen:
zwei Liter Milch, 500 ml Joghurt,
sechs Eier, 500 gr Toastbrot,
und 200 gr Feta.
Die billigsten Produkte, die ich finden konnte
kosteten mich 8,55€ .
In Frankreich hätte ich für das Gleiche 6,55 € bezahlt
und in Deutschland 4,73€.
Generell bin ich eher ein Optimist.
Ich versuche optimistisch zu bleiben, aber ich weiß, dass es nur eine Illusion ist.
Mikhailis ist 30 Jahre alt und arbeitet als Ingenieur.
Im Moment ist noch alles gut,
Aber das bedeutet nicht, dass ihn die Krise nicht betrifft.
Ich fühle mich wirklich schlecht, wenn ich sowas sehe, wie
Menschen, die auf der Straße schlafen.
Und... hast du sowas schon gesehen?
Sowas zwischen einem Auto und einem Motorrad
Sie haben es in Asien, sie hatten es in Süditalien und vor ein paar Jahren in Spanien.
Jetzt kann man sie wieder auf der Straße sehen.
Es ist manchmal wie mit einer Zeitmaschine.
Man sieht Dinge, die man die letzten 20 Jahre nicht gesehen hat.
Ich fühle mich wirklich schlecht deswegen.
Und selbst wenn man versucht bei guter Laune zu bleiben,
Wenn man sowas sieht, kann man nicht gut gelaunt sein.
Wenn man sieht, wie Läden schließen müssen
kann man nicht ständig in guter Laune sein.
Vor zwei Wochen war ich in Belgien.
Ich wollte sehen, wie die Situation dort ist, denn
mein Chef sagt mir: "Mikhailis, geh raus aus Griechenland, das Land bricht zusammen"
"Du bist in einem sinkenden Schiff."
Und er sagt: "Ich habe fünf Häuser in Griechenland,"
"Ich habe eine sehr gute Rente und ich habe Geld, aber"
"ich schicke meinen Sohn nach Amerika, weil ich keine Zukunft in Griechenland sehe."
"Ich will, dass du das gleiche machst. Ich bin zwar dein Chef und will dich im Unternehmen..."
"aber ich bin auch dein Freund, also... "
"denk drüber nach!"
Okay, zum Glück verringert sich mein Gehalt nicht.
Ich arbeite als Elektrotechniker für eine Firma, die Industrie- automatisierung betreibt.
Aber ich kenne Leute, die in einem Jahr die Hälfte ihres gehalts verloren haben.
Das Problem ist tatsächlich, dass vor zwei Jahren, viele Menschen
Kredite für ein Haus oder ein Auto aufgenommen haben
weil uns die Regierung vor zwei Jahren gesagt hat:
"Kauft ein neues Auto und wir geben Euch Rabatt...
wenn Ihr uns das alte Auto gebt. So etwa 20 % Rabatt."
Also haben viele Menschen ein neues Auto gekauft.
Und diese Leute haben jetzt wirklich ein Problem.
Denn wenn sie das Auto jetzt verkaufen...
würden sie nur ein Drittel des Preises bekommen, den sie bezahlt haben.
Das gleiche mit den Häusern. Sie sind in gewisser Weise zum Scheitern verurteilt.
Und der Benzinpreis hat sich in zwei Jahren verdoppelt.
In den letzten zwei Jahren.
Der Preis für Zigaretten hat sich verdoppelt,
der für Alkohol hat sich verdoppelt,
die Metro Fahrkarten sind 40 % teurer.
Alles ist teurer geworden.
Der Preis für Heizöl hat sich verdoppelt,
Strom wurde um 20 % teurer.
Es ist sehr schwer für einige Leute. Das weiß ich..
Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen.
Die Folgen für die Bevölkerung sind sofort erkennbar:
höhere Steuern und niedrigere Sozialleistungen haben zu einer Verringerung der Kaufkraft geführt
während wenigere öffentliche Dienstleistungen bedeuten, dass die Bürger mehr für Gesundheit,
Bildung und Verkehr zahlen müssen.
Das Ergebnis ist eine deutliche Verschlechterung des Lebensstandards für die Mehrheit der Menschen.
Darüber hinaus führt die Abnahme der Kaufkraft zu einem niedrigeren Niveau des durchschnittlichen Konsum
und hemmt somit das Wachstum.
Geschäfte, Büros und Fabriken schließen, wodurch die Arbeitslosigkeit noch mehr ansteigt.
Aber wenn diese Maßnahmen solch desaströse Auswikungen für die Bevölkerung haben,
warum haben sich dann so viele Regierungen dazu entschlossen diese
in den vergangenen zwei Jahren einzuführen?
Ich denke, dass jeder sein Leben verändert hat.
Kleine Veränderungen, große Veränderungen...
Ich kenne auch Leute, die nicht mehr ausgehen.
Wenn man ihnen sagt: "Lass uns ausgehen!", finden Sie immer eine Ausrede
"Ich bin müde", "Ich bin krank" oder "Ich habe Zahnschmerzen, etc."
Und ich habe aufgehört, sie anzurufen, weil ich wusste, sie wurden gefeuert...
und sie haben kein Geld, um mit dir aus- zugehen, deshalb erfinden sie eine Ausrede.
Und das ist schlecht, denn man verliert nicht nur Geld,
sondern auch den Kontakt mit anderen Menschen.
Ein weiteres Problem ist, dass es Griechen gibt, die nicht mehr das Geld für ihre Miete haben.
Ein Freund erzählte mir, dass die Frau, die über ihm wohnt
Techniker beauftragt hat, um Heizkörper in ihrer Wohnung zu entfernen
weil sie kein mehr Geld hat, um für die Heizung zu zahlen
Und da es eine Zentralheizung war
war dies die einzige Möglichkeit, für das Heizen nicht bezahlen zu müssen.
Und das ist traurig
Ich kenne Leute, die ihr Auto für sechs Monate nicht bewegt haben,
weil sie kein Geld haben, die Versicherung zu bezahlen.
Die Leute denken, dass...
"Ok, vielleicht bin ich der Nächste" "Also..."
"versuche ich mich besser zu verhalten"
"weil ich vielleicht in drei Monaten auch arbeitslos sein werde."
Also auf eine bestimmte Art, hat uns die Krise auch ein bisschen näher zusammengebracht.
Ich erinnere mich das große Erdbeben vor zwölf Jahren,
das hat uns auch zusammen gebracht.
Aber ich würde es vorziehen, kein Erdbeben oder keine Krise zu haben
und sich auf andere Weise zusammen zu finden.
Es ist tatsächlich wie ein Erdbeben. Wirklich.
Manos, du warst doch auch hier während des großen Erdbebens in 1999.
Irgendwie zittert die ganze Erde...
man sieht die Gebäude schwanken... Und man kann nirgendwo hingehen.
So wie in dieser Krise :
du siehst deine Welt wackeln,
und du weisst nicht, was zu tun ist. Weggehen, vielleicht in ein anderes Land?
Oder doch zu Haus bleiben wo man sich in Sicherheit fühlt.
Also man weiß wirklich nicht, was man tun soll.
aber bei einem Erdbeben weiss man, dass ein Ende in Sicht ist.
Ich weiß nicht, wann die Krise für Griechenland zu Ende ist.
Ich hoffe bald. Denn es ist wirklich sehr traurig, mitanzusehen
die Freunde und auch sich selbst ohne Hoffnung zu sehen.
Ich traf ältere Menschen,
denn ich spreche immer gerne mit alten Menschen und sie sagten:
"Ich war während des zweiten Weltkriegs hier in Piraeus "
"Und wir hatten die Deutschen, die Italiener, die Bomben, usw...."
"Am Ende des Tunnels gab es ein Leuchten, da war Hoffnung."
"Jetzt sehe ich keine Hoffnung." Das ist das, was sie mir sagen.
Wie können sich die Dinge jetzt zum Guten wenden?Ich weiss es nicht.
Es begann schrittweise. Man konnte es sehen, aber nicht glauben,
dass es so schief gehen würde.
Noch bis vor einem Jahr hat man es nicht geglaubt
Leute haben dir gesagt, "Oh, wir geraten in eine ernste Krise..."
"Wir müssen alle unsere Schulden zurückzahlen..."
"das wird die Wirtschaft in eine Rezession führen."
Und die Leute würden es einfach nicht glauben.
Es war wie die blinden Alarm zu schlagen :
"der Wolf kommt, der Wolf kommt!" und das jetzt schon seit so vielen Jahre.
und der Wolf kam einfach nicht...
Und es ist noch immer so! Wir wollen es nicht glauben.
Selbst jetzt sagen wir uns "Ok, es wird schief gehen...
"aber wir werden es irgendwie aushalten."
In den Straßen von Athen
ist das Geräusch von Einkauswagen alltäglich geworden,
nachdem sie im Sommer 2011 erstmals auf der Straße erschienen sind.
In den Straßen, sind vor allem Einwanderer,
aber auch viele Rentner,
von einem Abfalleimer zum nächsten unterwegs,
um Papier, Metall oder Altmetall zu sammeln.
-Sprechen Sie Englisch?
-Bangladesch.
-Das hier? Wie viel ist das Wert?
-20 Cent.
-pro Teil?
-Nein, pro Kilo.
-20 Cent pro Kilo.
-Auch das?
-Nein, 10 Cent pro Kilo.
-Und wohin bringen Sie es?
-Fünf Kilometer von hier entfernt.
-Viel Glück!
20 Cent für 1 Kilo Metall,
10 Cent pro Kilo für den restlichen Abfall,
7 Cent für 1 Kilo Papier.
Eine Karre, beladen mit 100 kg...
muss von zwei Personen auf 5 Kilometer geschoben werden
und bringen 20 Euro ein, 10 Euro pro Person.
Für die ärmsten Leute
sind in den letzten Monaten viele Schwarz- arbeiter Jobs abhanden gekommen...
und sie müssen andere Wege zum überleben finden.
März 2010.
Die Banken verlangen immer höhere Zinsen
für die griechische Staatsanleihen.
Ein zweiter, noch härterer Sparplan wird verabschiedet.
Dieser enthält weitere Kürzungen der Beamtengehälter,
und einen erneuten Anstieg der Umsatz- steuer und der Mineralölsteuer.
Durch diese Veränderugen reduziert die Regierung die Gehälter
und erhöht die Lebenshaltungskosten für die Bürger,
was einen direkten Einfluss auf die Kaufkraft hat.
All dies führt zu einem Rückgang der Konjunktur und dem Wachstum
und führt letztendlich zu einer Rezession und zu mehr Arbeitslosigkeit.
Die Regierung hat dadurch weniger Steuereinnahmen
und höhere Ausgaben für Sozialhilfe.
Die Regierung verliert dadurch mehr Geld als er zunächs eingespart hat.
Die Nebenwirkungen der Sparmaßnahmen verschlimmern das Schuldenproblem eher, als es zu verbessern.
Sofia macht Führungen in einer Ausstellung über Yannis Metsis, einem Tänzer
und Choreographen, der die Geschichte des griechischen Balletts in den 60ern verändert hat.
Sie hat diese Ausstellung ins Leben gerufen und versucht sie selbst zu erhalten
während das Museum wegen der Krise die größte Finanzierung einsparen muss.
Sollen wir über berufliche Aspekte sprechen?
Ich denke, in meinem Fall, sind hier die größten Veränderungen.
Ich arbeite in zwei Bereichen,
ich arbeite einmal freiberuflich als Kulturveranstalterin...
im Bereich der darstellenden Kunst,
und ich unterrichte auch noch an der Universität.
In der Tat, ist es ein Domino-Effekt
Wenn es anfängt, dass jemand kein Geld mehr hat...
geht es auf den nächsten über, und wieder auf den nächsten und so weiter.
Das ist das, was jetzt passiert ist.
Wir sehen dass diese Handelskette zerstört wird.
Wir sehen viele Läden, die schliessen müssen.
Wir sehen so viele Leute, die ihren Arbeitsplatz verlieren.
Alles wird extremer, das ist ein generelle Beobachtung...
aber zur Zeit in den Universitäten, weisst du, was da passiert ist?
In der Fakultät, in der ich ich unterricht habe
waren wir 48 Lehrer.
Nicht alle in Vollzeit, sondern auch in Teilzeit,
da die meisten von uns auch andere Jobs hatten.
Zu einem Zeitpunkt wurden die 48 auf 38 reduziert
dann auf 20...
und in diesem Jahr werden wir nur noch 5 sein.
Aber dieses Jahr hat der Staat keine Geld mehr...
also wurde mir angeboten, oder eher wurde mir geraten, zuzustimmen...
für nur ein Sechstel des Gehalts, das ich sonst bekäme, zu unterrichten.
Also, ich soll nun unterrichten gehen
für 100 Euro pro Monat.
Und meine Fakultät ist außerhalb von Athen,
und es kostet mich 150 Euro pro Monat für die Busfahrten.
Dies bedeutet also, dass wenn ich meinen Kontakt zur Universität halten möchte
muss ich bezahlen, um zu arbeiten.
Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst?
Würdest du einfach gehen?
Dann würden sie mit Sicherheit einen Ersatz finden.
Nicht unbedingt mit den gleichen Qualifikation,
und natürlich nicht die gleiche Art von Person,
aber unter diesen Umständen würden junge Leute, vor allem die jüngsten
nicht zögern sogar gratis arbeiten zu gehen,
um zumindest Erfahrungen für ihren Lebenslauf zu sammeln.
Mai 2010.
Die zwei ersten Sparpläne haben nicht ausgereicht, um das Vertrauen der Kreditgeber wieder herzustellen.
Die benötigten Zinssätze sind so hoch, dass Griechenland
um finanzielle Hilfe aus dem Ausland bitten muss,
um nicht in Verzug mit den Schulden zu geraten.
Der Internationale Währungsfonds, die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank,
ein Trio häufig "Troika" genannt,
stimmt zu, der griechischen Regierung Geld zu leihen.
Aber im Gegenzug fordert die Troika, noch härtere Spaßmaßnahmen,
sowie die Einführung eines liberalen Programms.
Der harte Sparkurs wird mehr und mehr verurteilt:
die daraus resultierende Rezession könnte katastrophal sein und die Schulden erhöhen statt zu reduzieren.
Paul Krugman schrieb am 1. Juli 2010:
"Andere Kollegen und ich haben mit Erstaunen und Entsetzen beobachtet,"
"wie in politischen Kreisen ein gemeinsamer Konsens zu Gunsten der"
"unmittelbaren Sparmaßnahmen entstanden ist...»
Am 22. Mai 2010 erklärt Joseph Stiglitz:
"Wenn die Europäische Union diesen Weg geht, auf den sie zusteuert, endet es in einer Katastrophe."
"Seit der großen Depression wissen wir bereits, dass Sparmaßnahmen nicht die Lösung sind."
Momentan befinde ich mich in einer Situation, in der
ich mich für Positionen im europäischen Ausland bewerbe,
da ich in der nahen Zukunft keinen Ausweg sehe,
besonders für die "aktive "Generation.
Ich bin 38 Jahre alt, aber meine Generation hat keine guten Zukunftsaussichten.
Viele meiner Freunde haben einen sehr niedrigen Verdienst.
Viele meiner Freunde können es sich nicht leisten alleine zu leben,
daher ist es für sie eine Lösung, wieder bei ihren Eltern zu leben,
was für mich eine lächerliche Lösung ist,
da wir emanzipierte Erwachsene sind.
Und das alte Modell der griechischen Familie, die zusammenlebt...
ich bin nicht so sicher, ob dieses Modell heute noch überleben kann.
Ich habe auch den Eindruck, dass
wir so ähnlich werden wie...
der Balkan oder kommunistische Länder vor fünfzig Jahren.
Dass wir unsere Lebensumstände auf die Grundbedürfnisse reduzieren
und wo es etwas Bildung gibt, und nur wenige Lebensmittel.
Ich habe den Eindruck, dass wir dabei sind etwas Ähnliches zu werden
wie es in diese Ländern gewesen ist.
Ich habe so gut wie keinen Kontakt mit meinen Freunden,
weil alle dafür kämpfen, neue Lösungen zu finden,
vor allem auf beruflicher Ebene, so dass jeder
am arbeiten, arbeiten, arbeiten ist.
In meinem Alter haben wir keine Zeit, um uns zu sehen.
Ich spreche von meinem Alter, denn da haben die meisten kleine Kinder,
so dass sie momentan nur um Arbeit, Arbeit, Abrbeit kämpfen,
damit es irgendwie mit den kleinen Kindern in Einklang zu bringen ist.
Welche Emotionen kommen dadurch bei dir hoch?
Ich werde wütend,
manchmal bin ich depressiv,
in anderen Momenten bin ich voller Leidenschaft für das, was ich mache
weil ich etwas gegen diese Situation machen will.
So habe ich diese Ausstellung gemacht, die wir gesehen haben,
die ist eines meiner letzten Projekte.
Alles und Jeder drängt dazu, alles aufzugeben,
Ich will nicht aufgeben, ich möchte produzieren.
Ich möchte zeigen, dass es einige Dinge gibt, die von Wert sind.
und deshalb versuche ich mein Bestes tun,
auch wenn ich sehr wenige Mitte dafür habe.
In diesen Fällen werde ich aktiv.
Ich arbeite im Kulturbereich
und das gehört eher zu Luxus
Wenn man nichts mehr zu essen hat, warum sollte man über Kultur sprechen?
Dies ist, was viele Leute sagen.
Für mich und ich denke, dass es sich für viele Menschen so verhält
ist Kultur eine Art Nahrung
und sie schafft reflektives Denken.
Ich denke, dass sie notwendig ist.
Und ich fnde, dass wir nicht nur darüber reden sollten,
wie wir unsere Rechnungen und unser Essen bezahlen können.
Nicht nur darüber.
Wir sind Menschen, und wir haben unterschiedliche Bedürfnisse,
mehr, als nur ernährt zu werden.
So, das ist meine Haltung, aus der heraus ich aktiv werde.
Aber im Allgemeinen und manchmal, vor allem abends, wenn ich heimkehre
fühle ich mich vollkommen leer.
Und ich habe Angst und bin sehr Wütend.
Ich wollte noch sagen, dass, es eine Art Erleichterung ist,
mit dir zu reden,
weil ich alleine über diese Dinge immer und immer wieder nachgedacht habe...
und ich rede oft mit Freunden, aber...
aber mit jemandem, darüber zu reden, der nicht ganz in der gleichen Situation ist
lässt einen darüber reflektieren, was man sagt,
lässt einen darüber nachdenken, was am schlimmsten ist und was am wichtigsten.
Irgendwie ist es eine Art Hilfe auf psychologischer Ebene.
Ich habe den Eindruck, dass es eine Art von...kleiner...
... fast schon eine Art kleiner... Therapie ist.
darin, dass man Dinge einfach laut ausspricht.
Klingt vermutlich komisch für dich, aber...
ja.
Ein schöner und warmer Winter Nachmittag im Zentrum von Athen.
Die Krise ist nicht überall.
Es ist eine versteckte Bestie, die die Leute langsam von unten ergreift.
einen nach dem anderen.
Und für diejenigen, die noch nicht vollständig verschluckt wurden,
und davon gibt es noch viele,
ist die Angst da.
Aber das Leben geht weiter,
und der einfachste Weg ist weiterhin so zu leben wie vorher,
so lange wie möglich.
Chroniken eines europäischen Winters 1. Episode
Mit den Stimmen von Viviana Delgado und Ifeoluwa Babaloa.
Besonderer Dank geht an Bernd Bechthold, Hélène Lutz und Juliana Hogan.
Idee und Produktion, Etienne Haug
Diese Radio Dokumentation darf kostenlos genutzt werden, gemäß der Creative Commons CC - Lizenz.
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Januar 2012
Photos : Stefania Mizara, Achilleas Zavallis, Nelly Olliveault.
Editing : Nelly Olliveault.