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Ideen, die dich verändern
María Luján Oulton: Die Kunst im Spiel
Ich möchte diejenigen bitten, die Hand zu heben,
die das Bild hinter mir für ein Kunstwerk halten.
Das war recht eindeutig, oder?
Wie steht es mit diesem hier?
Über die Ästhetik kann man sich streiten,
aber ein Mondrian im Museum wird keinen Aufruhr verursachen.
Und wenn ich Ihnen ein Urinal zeige?
Dann beginnen die Zweifel.
Das ist nicht irgendein Urinal.
"Fountain" wurde von Duchamp für eine Ausstellung aufgestellt,
die alle Kunstwerke akzeptierte.
Und dieses blieb draußen.
Die Jury-Mitglieder, die über die Zulassung entschieden,
übergangen sein Werk.
Duchamp zog es zurück.
Ein Werk der Konzeptkunst, respektlos, politisch inkorrekt.
Denn manchmal ist auch so etwas Kunst.
Und das hier?
Eine Schachtel mit Putzschwämmen, noch nicht einmal echt. Eine Replik.
Aber wenn ich nun sage, das ist von Warhol?
Dann verändert sich der Gesichtsausdruck.
Der Name steht für etwas.
Ein weiteres Werk einer Ikone der künstlerischen Vorhut des 20. Jh.
In diesem Fall ein Kunstwerk, das uns von der Beziehung
zwischen kommerzieller Kunst und Elitekunst erzählt. Wieso?
Weil Kunst nicht immer etwas Schönes ist.
Kunst ist nicht immer ein Gemälde.
In der Tat liegt der Ursprung der Kunst in etwas ganz anderem.
Kunst war ein Ritual. Kunst war Politik, sie war Kommunikation.
Daher kann Kunst manchmal auch vergänglich sein, brutal,
sie kann uns erschrecken, wie Marina Abramovic,
die uns mit ihren Performances bewegt,
die etwas kommentieren oder erzählen.
Manchmal Statements politischer, sozialer oder religiöser Art.
Und Kunst kann zusammen mit der Wissenschaft ein Kaninchen wie Alba hervorbringen.
Ein phosphoreszierendes Kaninchen, dessen Vaterschaft entweder
bei dem Künstler Eduardo Kac oder dem Labor, das es erschuf, liegt.
Eine Entdeckung? Ein Kunstwerk?
Wer würde mit diesem Wissen sagen, dass solch ein Bild Kunst sein kann?
Dass ein Videospiel einer der neuen Vorreiter ist.
So wie Duchamp zu seiner Zeit.
Oder wie es Warhol zu seiner Zeit war.
Nicht ich stelle die Behauptung auf, noch tut es eine Gruppe von Geeks,
die 24 Stunden am Tag spielen,
und die sämtliche Kniffe kennen.
Nein, es ist etwas, das auf der Welt passiert.
Und was von Institutionen bekräftigt wird.
Institutionen der Kunst und der Technologie.
Museen wie das Smithsonian widmen dieses Jahr eine mehrmonatige
Ausstellung der Geschichte der Videospiele.
Der Einfluss des Videospiels in der Kultur.
Und die Werke in dieser Ausstellung wurden wirklich vom Publikum
selbst ausgewählt.
Oder zum Beispiel das Deutsche Technikmuseum in Berlin.
Dort ist ein ganzer Flügel den Videospielen gewidmet.
Von der ersten Konsole bis zu zeitgenössischen Varianten,
geschaffen von Künstlern, die sich auf das Medium Videospiel konzentrieren.
Und wieso nicht auch Festivals?
Die ARS Electronica etwa, ein Festival in Österreich,
ist zeichensetzend auf dem Gebiet der Kunst und Technik.
In seiner Kategorie "Interaktive Kunst"
zeichnet es seit einer Weile Videospiele aus.
Kommerzielle Videospiele und unabhängige,
von Künstlern erzeugte Werke.
Das Videospiel könnte somit als
eigenständige Kunstform anerkannt werden.
Es sind nicht alle Kunstwerke, aber einige schon.
Und das passiert gerade, ein unaufhaltbarer Prozess,
denn Kunst ist etwas dem Menschen eigenes.
Über die Kunst können wir uns ausdrücken,
mitteilen, Gefühle vermitteln.
Kunst verändert sich mit jeder Epoche.
Jede Gesellschaft nutzt ihre eigenen Werkzeuge.
Die Technik in diesem Jahrhundert war unabwendbar.
Und das Videospiel ist eines ihrer vielen Gesichter.
Hier sehen Sie einige der Gesichter hinter diesen Schöpfungen.
Das sind vielleicht die nächsten Warhols.
Sie sind bereits unter uns.
Wir sind diejenigen, die sagen, ob es Kunst ist oder nicht
und die Zukunft wird uns Recht geben oder nicht.
Schauen wir uns kurz sechs Videospiele an,
die wahrscheinlich noch keine Mona Lisa
oder die "Brillo Box" von Warhol sind,
aber sie sind ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird.
Am schnellsten können wir uns vielleicht über das Kino annähern.
Das Videospiel ist der nächste Schritt.
Von der siebten Kunst zur achten.
Jetzt gibt es Interaktivität, etwas, das die Kunst
seit ihren Anfängen anstrebt.
Was bestimmte Kunstrichtungen suchen.
Den anderen verwickeln, ihn vom Standpunkt des Beobachters
zum Protagonisten machen und zu aktivieren.
Das Videospiel ist dazu in der Lage.
Fälle wie dieser: Assassin's Creed, ein Mainstream-Videospiel,
an dem man aus der Indie-Perspektive Kritik üben könnte,
aber hinter dem doch eine Menge steckt.
Drei Jahre der Arbeit, 500 an der Entwicklung Beteiligte,
Abteilungen für Cinematographie,
Darstellung der Charaktere, der Erzählung.
Hier wurde das Italien der Renaissance rekonstruiert.
Es wurde mit Historikern, Architekten,
Experten über die Epoche kollaboriert.
Nur so können wir heute diese Orte wieder betreten.
Vor kurzem zeigte das Museum für Kunstgewerbe in Buenos Aires
eine Ausstellung über Werke aus dieser Zeit.
Riesige Warteschlangen, um dieser Zeit nahe zu sein.
Hier ist es genau so. Wir begeben uns auf einen Weg,
auf dem wir diejenigen sind, denen die Geschichte widerfährt.
Wir sind die Protagonisten in dieser Geschichte.
Und so wie man ein Gegenstück von Hollywood in Cannes
oder im Goldenen Bären von Berlin sehen könnte, die eine andere Geschichte erzählen,
ein anderes Erlebnis vermitteln und ganz anders ticken,
genau so ist das bei Videospielen.
Es gibt Firmen, die sich als rein künstlerisch sehen.
So ist das bei That Game Company, einer kalifornischen Firma,
die ihre eigenen Videospiele als interaktive Gedichte sieht.
Hier ist ihr letztes Werk: Journey.
Die Erzählkunst der Heldenreise wurde neu aufgegriffen.
Jedes Buch, jeder Film spricht über dieses Thema.
Vielleicht ist das die Reise eines jeden.
Wir beginnen sie in der Wüste, allein in der Unermesslichkeit.
Ohne jemanden an unserer Seite, ohne ein Licht, dem man folgen könnte.
In "Journey" kann jeder seinen eigenen Sinn entdecken.
Es ist das Eintreten in ein Gemälde, in ein Gedicht.
Man wird zu der Person, die auf diesen Versen wandert.
Und ab und zu taucht eine andere Figur auf, jemand, der in genau diesem Moment
auf seinem eigenen Weg zu seinem eigenen Ziel
vorbeizieht.
Und die sich mit uns mittels Lauten verständigt;
wir sprechen keine bekannte Sprache,
das Sprechen ist uns nicht möglich, wir äußern Laute.
Wir singen, kommunizieren und begleiten einander.
Und wenn sie verschwindet, nimmt sie etwas von uns mit ...
Wir bleiben allein auf dem Weg zurück.
Bis hier scheint alles ganz einfach.
Es ist ästhetisch, das ist klar. Nicht so verrückt.
Aber wenn wir nun noch etwas experimenteller werden?
Daniel Benmergui, Argentinier. Arbeitet mit Erzählkunst.
Wie erzählt man eine Geschichte?
Er greift in diesem Fall die Theorien der russischen Konstruktivisten auf.
Er gab sich nicht mit Kindereien ab.
"Storyteller" erzählt Geschichten. Er gewann damit den "Nuovo"-Award beim IGF,
dem Independent Games Festival.
Ein Preis, der für das Experimentelle in Videospielen steht.
Er präsentiert uns in Comic-Form einen Geschichtenerzähler.
In diesem Fall muss Adam sterben.
Hier haben wir Adam und einen Grabstein.
Wenn wir Adam in das erste Bild tun
und den Grabstein ins zweite, war's das für Adam.
Manchmal lässt er sich vom Kino inspirieren, wie hier "Ein unmoralisches Angebot".
Geben wir diesem glücklichen Paar ein Schmuckkästchen, trennt es sich.
Wir treffen die Entscheidung für unseren Protagonisten.
Wählt er die Liebe oder Geld?
Ein Experiment.
Es wird sich zeigen, ob es Kunst ist, aber da passiert etwas.
Und wie bereits erwähnt, kann Kunst auch politisch sein.
Kunst kann Botschaften eindrucksvoll übermitteln.
Eines Tages gingen die Vertreter des mexikanischen Muralismo auf die Straße.
Sie wollten über Politik sprechen
und das Volk aufklären.
Sie wollten ihm die aktuelle Situation bewusst machen.
Hier stellt uns Gonzalo Frasca aus Uruguay den 12. September vor.
Von den Vorfällen des 11. September inspiriert,
stellt er uns ein beliebiges Dorf im Nahen Osten vor.
Wir sehen Zivilisten und unter ihnen Bewaffnete.
Es gibt auf den ersten Blick kein Ziel. Keine Regeln.
Der nächste Schritt liegt an uns.
Unser erster Reflex ist, den Bösen zu töten.
Doch zwischen Mündung und Ziel wird die Kugel
auch Unbeteiligte verletzen.
Zivilisten werden um ihre toten Familienmitglieder weinen
und ebenfalls zu Terroristen werden.
Gewalt erzeugt Gewalt. Ganz einfach.
Sollen sie uns nur sagen, das sei nicht dasselbe,
wie sich unserer Verantwortung bewusst zu werden.
Serious Games, Spiele, die man im sozialen Kontext betrachten muss
und was mit uns geschieht.
Das Videospiel nähert sich der Bildung an.
Das Videospiel als Verbindung zur jüngeren Generation,
die praktisch schon mit Joystick geboren sind.
Oder ein experimentelles Videospiel, in diesem Fall von einem Musiker entwickelt.
Deep Sea. Völlig isoliert von der Außenwelt stecken wir
in einer Gasmaske, nur mit Kopfhörern.
Wir befinden uns am Meeresgrund.
Unsere Mission: Wilden Bestien entkommen,
die uns verfolgen.
Unsere Mittel: Ein Joystick und die vernommenen Geräusche.
Das Erlebnis: Die Kunst verlässt ihr Kunstwerk,
sie arbeitet mit unserem Körper, den Emotionen,
mit den Empfindungen und der Wahrnehmung,
so entstehen Performances und Happenings.
Etwas durchqueren, andere Empfindungen ansprechen.
Marta Minujín ist hier eine Ikone.
In ihrem Kunstwerk "La Menesunda" durchläuft man
eine Reihe an Räumen mit verschiedenen Situationen.
Ein Schritt über das Visuelle hinaus.
Man muss das Erlebnis mit dem Körper durchleben.
Doch wir waren nur Zeugen. Jetzt sind wir Protagonisten.
Zusätzlich öffnen sich Möglichkeiten für z.B. Blinde.
Ein Angebot, endlich alle uns gegebenen
Fähigkeiten einzusetzen.
Schließlich das von Künstlern entwickelte "Pain Station".
In seiner Abschlussarbeit an der Universität
thematisiert er eines der frühesten Spiele, "Pong".
Pingpong. Die Hände liegen zum Spielen
dieses Tischtennisspiels auf dem Tisch.
Das Problem ist, dass für jeden verpatzten Schlag,
für jeden Ball, der uns entwischt,
die zweite Hand auf dem Tisch bestraft wird.
Sie wird verbrannt oder gepeitscht.
Dieses Spiel wird in Berlin ausgestellt als eine zeitgenössische
Entwicklung von Künstlern mit dem Medium Videospiel.
Das ist die Grenze der Ethik, des Spiels, der Kunst.
Aber um dieses Provozieren der Grenzen geht es.
Und man sollte nicht vergessen, dass all diese Ansätze
den Wert des Spiels aufgreifen.
Etwas, das wir bis jetzt ausgelassen hatten.
Wir hatten es als Kinderspiel angesehen. Doch es ist keins.
Das Spiel existiert auch für die Großen.
Das Spiel kann ernst sein.
Das Spiel als Basis für alle Kulturen und Gesellschaften.
Das Spiel verbindet uns.
Wir bauen Beziehungen mit anderen auf.
Und das Spiel hat als Kunstwerk gewisse Freiheiten.
Es kann forschen, experimentieren, etwas riskieren,
respektlos sein, Türen öffnen, neue Erfahrungen anbieten.
Darum geht es.
Aufmerksam sein, es sich nicht zu bequem zu machen,
sich der Nostalgie hinzugeben,
als wir noch alles verstanden, das wir sahen.
Nicht wie die Figur in *** Allens "Midnight in Paris"
von Zeitreisen zu träumen.
Zu begreifen, dass um uns herum Wandel geschieht.
Dass es an uns ist, unsere Neugier zu erwecken,
den Blickwinkel zu ändern, wieder zu sehen.
Dass gerade Paradigmen wechseln.
Dass die Videospiele ein mögliches Szenario sind.
Und vielleicht ist das eine einfache Annäherung an dieses Thema.
Ich lade Sie zum Spielen ein.
(Beifall)