Tip:
Highlight text to annotate it
X
Guten Tag, Robert Peirce.
Guten Tag.
Sie sind Gesellschafter im Unternehmen PricewaterhouseCoopers in Brüssel.
Bis vor kurzem waren Sie ebenfalls Präsident des Instituts der Bankprüfer Belgiens.
Und der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Sie 20 Jahre lang Finanzberichtserstattung und deren Prüfung
an mehreren Universitäten gelehrt haben.
Deswegen möchte ich mich heute mit Ihnen über den Beruf des Bankprüfers unterhalten.
Das ist schon ein erstaunlicher Beruf,
da er die in diesem Feld Tätigen dazu bringt, sich sozusagen ein breites Sichtfeld anzueignen,
denn die von der Bank ausgeübten Berufe sind so vielfältig.
Des Weiteren ist hierfür eine immer größere Spezialisierung in teilweise so hochtechnischen Gebieten
wie der mathematischen Modellierung usw. notwendig.
Stimmt.
Der Beruf des Bankprüfers hat sich in den letzten Jahren wesentlich weiter entwickelt
und muss sich auf Grund der kürzlich eingetretenen Ereignisse
auf neue Bereiche ausweiten.
Man soll sich daran erinnern, dass er in zahlreichen Länder, zu denen auch Belgien,
die Schweiz und zu einem geringeren Grad auch einige europäische Länder zählen, eine zweifache Aufgabe hat.
Diese liegt nicht nur im Privatrecht,
wobei er das Vertrauen der Aktionäre oder Investoren in die Qualität der Finanzdaten stärken soll,
sondern er ist auch in die Aufsicht der Märkte,
und zwar mit Hilfe der Bankenaufsicht, eingebunden.
Über diesen Beruf wird sich des Weiteren
in der EU Gedanken gemacht
die ihn gerne an einen Governance-Prozess der Kreditinstitute angebunden sehen würde,
als auch in den USA, die gerne eine größere Nähe zwischen dem Bankprüfer und Aufsichtsbehörden
herstellen würden.
Das Berufsbild stellt sich heute also durchaus vielschichtiger
dar als noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren.
Die rechtlichen und regulierungstechnischen Bereiche sind riesig;
er benötigt Versicherungsmathematiker oder, wie Sie bereits angedeutet haben, Modellierungsfachleute.
Er muss heute makroökonomische Daten analysieren:
als Beleg nenne ich die Staatsschuldenkrise.
Er steht einem komplexen internationalen Steuerwesen,
supranationalen Richtlinien,
manchmal widersprüchlichen Regierungsinitiativen
und noch dazu einem immer komplexeren Informationssystem gegenüber.
Da kann man nur sagen,
dass im Gegensatz zu früher eine Ein-Mann-Lösung zur Darstellung eines „true and fair view“,
also eines „realistischen Bildes“ der Finanzinformationen, heutzutage unvorstellbar ist.
Das vormalige Bild des Fachmanns wandelt sich heute
zu dem eines Dirigenten:
Dazu muss er sich mit hochkarätigen Künstlern und Musikern umgeben.
Seine Rolle wandelt sich zu der eines Diagnostikers,
der die für ihn notwendigen Ressourcen und den benötigten Sachverstand ausfindig macht.
Finanzinstitution, Banken, Versicherungen und sonstige
haben heute immer mehr hochqualifizierte Fachleute in ihren Reihen aufzuweisen.
Bei deren Beaufsichtigung führt kein Weg daran vorbei,
sich mit Fachleuten zu umgeben, die mindestens dasselbe Qualitätsniveau aufweisen sollten wie diejenigen, die er beaufsichtigt.
Dies ist nun ein neuer Pfad, der beschritten wird. Risikolos ist er nicht.
Und Kosten erzeugt er auch.
Investoren und Führungskräfte sind davon zu überzeugen
dass dieser Pfad ohne Alternative ist.
Das alles deutet darauf hin, dass dieser Beruf in Bewegung ist
und den Weg für neue Kompetenzen
und somit für neue Karrieren frei macht.
Bei den meisten großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen steht dieser einzuschlagende Pfad auf der Tagesordnung der Strategieplanungen,
insbesondere auch bei Pricewaterhouse, wo ich Teilhaber bin.
Sie haben eben über das „realistische Bild“ gesprochen.
Auch hier ist die Lage manches Mal recht verzwickt,
da das Konstrukt des „realistischen Bildes“ auf Buchhaltungs- und Aufsichtsstandards Bezug nimmt,
die je nach Kontinent bzw. je nach Land anders aussehen.
Das beobachtet man übrigens selbst innerhalb der EU. Sehen Sie das nicht auch so?
Auf jeden Fall. Hier dreht es sich um einen extrem verschachtelten Sachverhalt,
der noch dazu viel Kritik hervorgerufen hat.
Sind Jahresabschlüsse noch stichhaltig?
Spielen Wirtschaftsprüfer in diesem Zusammenhang noch eine Rolle?
Es kommt noch hinzu, dass sich viele der an den Informationen Interessierten
des engen Rahmens der Prüfung nicht bewusst sind.
Investoren, Arbeitnehmer und bestimmte Behörden sind sich nicht darüber im Klaren,
dass ein Audit nur eine begrenzte Aussagekraft bietet.
Besser bekannt sind natürlich die Skandale.
Jeder hat schon von Enron gehört und weiß, dass eine hoch angesehene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
mit ihren hunderttausend Mitarbeitern kurz nach der Jahrtausendwende untergegangen ist.
Kurz gesagt sind die populistischen Bilder bekannt.
Andererseits sind die inhaltliche Seite und die Integrität, die notwendig sind, weit weniger bekannt.
Der Grund dafür liegt in der Frage, was die Bescheinigung eines „realistischen Bildes“ beinhaltet.
Es beinhaltet einfach die Bescheinigung, dass beim Finanzausweis, der eine Finanzinformation ist,
bestimmte Regeln eingehalten worden sind.
Nun wäre alles gut, wenn man nur ein Regelwerk hätte.
Unglücklicherweise haben die Länder unterschiedliche Regelwerke entwickelt,
so dass es längere Zeit bis zur Erstellung internationaler Standards bedurft hat.
Schlimmer noch, die Steuervorschriften weichen voneinander ab.
Einige Regelungen sehen ebenfalls anders aus,
was auch für Regelungen bestimmter Bankenaufsichten gilt.
Damit stehen wir vor dem Dilemma, dass es für ein und dasselbe Unternehmen mehrere Finanzausweise gibt,
denen der Prüfer in jedem Fall bescheinigt, dass sie – trotz abweichender Ergebnisse − jeweils
ein „realistisches Bild“ widerspiegeln.
Deswegen besteht hier dringender Kärungsbedarf.
Es kommt nun noch eine weitere Dimension hinzu, die unser Verständnis des „realistischen Bildes“
weiter verkompliziert, und zwar die des „fair value", also des "beizulegenden Wertes".
Dieser „fair value“ steht mittlerweile in sämtlichen Finanzinformationen.
Er ist ziemlich schwer zu verstehen,
weicht von den Nettoanlagegrundsätzen ab und erzeugt nun einen richtigen Widerspruch
zwischen der Sichtweise der Märkte und der Stabilitätssichtweise,
die unsere Finanzaufsicht gerne haben würde.
Das erleichtert nun nicht gerade das Verständnis eines „realistischen Bildes“.
Dies ist somit klar zu stellen
und verständlicher zu gestalten.
Die paar Beispiele, die ich nennen könnte sind mehrdimensional,
zeigen die Notwendigkeit auf, dass sich die Rolle der Rechnungsprüfer weiterentwickeln muss.
Ein Beispiel wäre ein Unternehmen, das die Beurteilung eines Wertes eines Anlagevermögens, eines Geschäftsvorgangs,
eines Produkts abgeben soll.
Diese Beurteilung muss transparent gestaltet und mit einem Prüfbericht versehen werden,
in dem sich der Prüfer über die Stichhaltigkeit der Beurteilung unter den gegebenen Umständen äußert.
Auch die Art der Kommunikation muss sich wandeln:
Leere Worthülsen sind zu vermeiden,
wenn operationelle Risiken gemeldet werden müssen
Gleiches gilt für Aussagen zur Good Governance,
die aber nur als volksnahes Gerede daherkommt:
Werden die Regeln tatsächlich richtig eingehalten?
Somit muss eine große Einwicklung einsetzen,
die weit über eine einfache mechanische Anwendung der Bilanzierungsgrundsätze hinausgehen muss.
Wer neue Bewertungen, neue Prüfungen, neue Beurteilungen sagt,
fordert auch unausweichlich neue Kompetenzen.
Bei einem Schnellrückblick auf die vergangene Entwicklung
bei Enron haben die Skandale aus den Anfangsjahren dieses Jahrtausends
zu einer Verstärkung der internen Kontrolle geführt.
In diese Richtung hat man sich nun bewegt.
Nun weisen die Finanzkrisen auf Verhaltensfehler hin, die sehr viel größer als
diejenigen sind, die nur auf eine interne Kontrolle bzw. ein Problem dabei zurückgehen.
Deswegen müssen die Kompetenzen der Beteiligten eindeutig umfassender sein,
als das in der Vergangenheit der Fall war.
Man kann ihren vorangehenden Ausführungen entnehmen,
dass Fortbildung der Bankenfachprüfer
in mehrfacher Hinsicht für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften von grundlegender Bedeutung ist,
denn es geht um den Stellenwert ihres Gütesiegels,
was eine Frage des Wettbewerbs zwischen diesen Unternehmen ist.
Ist es also eine Frage, wer am meisten in Aus- und Fortbildung investiert?
Heute wie morgen ist Aus- und Fortbildung nicht nur das Fundament,
sie wird zum grundlegenden Wettbewerbsargument zwischen den großen Prüfungsunternehmen,
um die größten Talente anzulocken.
Sie müssen also eine noch intensivere interne Fortbildung
zur Aufrechterhaltung des Kompetenz- und Qualitätsniveaus ausarbeiten.
Während wir der Ansicht sind, dass Kompetenzen die stärksten Garanten
für die Glaubwürdigkeit des Berufsstandes sind,
arbeiten die Behörden – auch die der EU – mehr an strukturellen Lösungen,
die auf eine verstärkte Unabhängigkeit abzielen.
Damit geht man gewissermaßen auf Kollisionskurs.
Es ist schon richtig, dass Unabhängigkeit und Kompetenz eine Voraussetzung für Qualität sind.
Wenn aber die Voraussetzungen für Unabhängigkeit dazu führen,
dass sie die Tätigkeitsfelder der Fachleute einschränken müssen (wie ich schon sagte:
der Dirigent, der sich mit Fachleuten umgibt),
und er seine Kompetenzen nur noch im Rahmen von Aufsicht anbringen kann,
steht ziemlich fest, dass der Fachmann das Schiff verlassen wird
- mit den entsprechenden nachteiligen Auswirkungen auf die Prüfqualität und die Glaubwürdigkeit des Berufsstandes .
Das führt nun zu einer ziemlich unangenehmen Lage.
Unabhängigkeit und Kompetenz sollen eine Einheit bilden.
Sollte eine dieser beiden Voraussetzungen nicht erfüllt werden,
dann sind die Beobachtungen nicht stichhaltig
oder sie sind nicht ausreichend stringent.
Es gibt keine andere Lösung, daher die Entscheidung
der großen Prüfungsunternehmen, trotz allem auf die Aus-
und Fortbildung als einzige langfristige Lösung zu setzen, mit der sie ihren Fortbestand sichern.
Soweit also zum Profil der Bankprüfer.
Jetzt sieht man seit Beginn der Krise des Sektors im Jahre 2008,
dass die Frage der gesetzlichen Regelung des Banksektors die Titelseiten füllt.
Bankenaufsicht und Regierungen wollen um jeden Preis ihre Analysen verfeinern;
man hört von strengeren Prüfungen bezüglich der Liquidität der Banken, aber es gibt noch
weitere Punkte.
Sie sind mitten drin im Geschäft der externen Prüfungen.
Wie sehen Sie die gegenwärtige Wandlung im Banksektor
und inwiefern hat sie eine Auswirkung auf die Ausü*** Ihres Berufes?
Die Menge an Gesetzen und Verordnungen ist schier explodiert,
und wir sehen davon heute wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.
Neue Vorschriften, neue Messzahlen usw. All diese Zwänge
beeinträchtigen unausweichlich die Unternehmen, ihre Entwicklungsfähigkeit
und sogar ihre Größe und Produkte.
Eine weitere Dimension außerhalb der Verordnungsseite betrifft eine Entwicklung im Verkaufsbereich:
Smartphones und Tablets wandeln sich hin
zu einem Zugangsweg zum Einzelhandelsmarkt.
Damit sehen wir neue Marktteilnehmer.
Die technologische Dimension muss sich erweitern,
wobei es denkbar ist, dass die nächsten
Wettbewerber nicht mehr Banker untereinander sind, sondern Technologieunternehmen,
bei denen Technologie und Kundennähe miteinander verbunden werden.
Eine weitere Dimension ist die Entwicklung von gesellschaftlichem, ökologischem, demografischem Druck,
durch die die Verfahrensweisen geändert werden.
Dies muss heute Berücksichtigung finden.
Die Kommunikation muss sich auch in diese Richtung bewegen.
Außerdem hat diese Entwicklung innerhalb des Berufsstands Folgen.
Die Katastrophen, die sich ereignet haben,
wie diejenige in Japan oder zahlreichen anderen Ländern,
werden bei den Bankern zu Verhaltensänderungen
bei der Kreditvergabe führen.
Das ist ein wesentlicher Faktor.
Sparmaßnahmen werden ebenfalls zu Änderungen
bei den Kreditvergabebedingungen führen, um nur dieses Beispiel zu nennen.
Somit gilt: neue Kommunikationswege,
neue Produkte, neue Maßnahmen und damit neue Talente.
Wo findet man nun diese Talente?
Erste Möglichkeit: Man suche bei den Mitwettbewerbern.
Zweite Möglichkeit: Man suche im Ausland.
Beides bedeutet Misserfolg.
Wenn man zuerst bei der Konkurrenz fischen geht, führt das unweigerlich dazu, dass diese dasselbe macht.
Damit trocknet sich der Markt in kürzester Zeit selber aus.
Zur Suche im Ausland: eine kostspielige Sache,
die zur Einstellung von Mitarbeitern führt, die nicht unbedingt ihrem Arbeitgeber treu verbunden sind.
Das hilft dann nur eine gewisse Zeit.
Wie sieht es nun mit der langfristigen Lösung aus?
Tatsächlich gibt es keine leicht umsetzbare Lösung.
Zum Ziel kommt das Unternehmen, das hier ausreichende Phantasie und Kreativität aufbringt.
Damit schafft man ein Umfeld, in dem sich die Menschen, die dieses Unternehmen anzuziehen vermag,
sicher fühlen, das Gefühl haben,
ihre Kompetenzen richtig einsetzen zu können,
über eine Ausbildung zu verfügen, mit der sie sich auf die nächste Ebene hieven können.
Diese Ausbildung wird vom Unternehmen angeboten
oder ggf. von Personalvermittlern.
All dies führt zu höheren Kosten.
Es handelt sich hierbei um eine große Herausforderung mit hohen Hürden, die sie aber schon in Angriff genommen haben.
Robert Peirce, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Danke ebenfalls.