Tip:
Highlight text to annotate it
X
Er wird doch nicht behaupten wollen, dass er dagegen ist,
wenn wir sein träges Gemüt etwas in Bewegung bringen?
Schön, er interessiert sich mehr für das, was wir nachahmen als er sich für uns interessiert,
aber wie sollen wir ihm die Vorfälle nachahmen, wenn wir nicht unsere Gefühle
und Leidenschaften mobilisieren?
Bei einer kalten Darstellung wurde er selber einfach davonlaufen.
Übrigens
gibt es keine kalte Darstellung.
Jeder Vorfall erregt uns,
es sei denn, wir seien gefühllos.
-Es gibt keinen Vorfall, weder warm noch kalt,
wenn sich nicht eine einzigartige Subjektivität verbindet mit anderen Einzigartigkeiten.
Die Begegnung einzigartiger Individualitäten in einem Vorfall ist unmöglich ohne Aufstand,
verbindende Aktion und Begegnung
politischer oder emotionaler Natur.
-Oh, ich habe nichts gegen Gefühlen.
Ich stimme zu, dass Gefühle nötig sind, damit Darstellungen,
Nachahmungen von Vorfällen aus dem menschlichen Zusammenleben zustande
kommen können, und dass die Nachahmungen Gefühle oder sogar Aufstände erregen müssen.
Was ich mich frage, ist nur, ob eure Gefühle den Nachahmungen bekommen.
Es sind die Vorfälle aus dem wirklichen Leben, die mich besonders interessieren.
Ich möchte noch einmal betonen,
dass ich mich als Eindringling und Außenseiter empfinde in diesem Gebäude,
als jemand, der hereingekommen ist, nicht um Behagen zu empfinden,
ja sogar als jemand der ohne Frucht Unbehagen erzeugen würde,
da er mit einem ganz besonderen Interesse gekommen ist.
Ich fühle diese Besonderheit meines Interesses so stark,
dass ich mir wie ein Menschvorkomme, der, sagen wir, als Messinghändler zu einer
Musikkapelle kommt und nicht etwa eine Trompete, sondern bloß Messing kaufen möchte.
So aber suche ich hier nach meinen Vorfällen unter Menschen ich suche ein Mittel,
Vorgänge unter Menschen zu bestimmten
Zwecken nachgeahmt zu bekommen.
-Ein wenig von dem Unbehagen, das du dir erwartet hast, wie du sagst,
beginne ich jetzt tatsächlich zu fühlen. Die Nachahmungen, die wir hier,
wie du es ein wenig trocken bezeichnest, anfertigen sind allerdings von besonderer Art,
insofern sie ein besonderes Ziel verfolgen.
Es steht schon in der „Poetik" des Aristoteles etwas darüber.
Er sagt von der Tragödie, sie sei eine nachahmende Darstellung einer sittlich ernsten,
in sich abgeschlossenen Handlung in verschönter Rede,
nicht erzählt, sondern von handelnden Personen aufgeführt, durch die Erregung von
Mitleid und Frucht die Reinigung von solchen Gemütsstimmungen bewirkend.
Also handelt es sich um Nachahmungen deiner Vorfälle aus dem Leben,
und die Nachahmungen sollen bestimmte Wirkungen auf das Gemüt ausüben.
Das Theater hat sich seit Aristoteles dies schrieb, oft gewandelt,
aber kaum in diesem Punkt.
Man muss annehmen, dass es, wandelte es sich in diesem Punkt, nicht mehr Theater wäre.
-Du meinst, man kann eure Nachahmungen nicht gut von den Zwecken trennen,
die ihr damit verfolgt?
-Unmöglich, unmöglich!
-Ich benötige aber Nachahmungen von Vorfällen aus dem Leben für meine Zwecke.
Was machen wir da?
-Von ihrem Zweck getrennt, ergäben die Nachahmungen
eben nicht mehr Theater, weiß du.
-Was würde ein Marxist machen?
-Er würde den Fall als historischen Fall darstellen mit Ursachen
aus der Epoche und Folgen in der Epoche.
-Und die moralische Frage?
-Die moralische Frage würde er ebenfalls als eine historische Frage behandeln.
Er würde den Nutzen eines bestimmten moralischen Systems innerhalb einer
bestimmten Gesellschaftsordnung beobachten,
und er würde dies durch die Anordnung der Vorfälle klarlegen.
-Trotzdem denke ich es mir schwierig,
von den alten Stücken, die tatsächlich nur mit ein paar
Andeutungen und Reminiszenzen an die Wirklichkeit Emotionen erregen wollen,
oder von den anderen, naturalistischen, diese neue Darstellungsweise zu erlernen.
Vielleicht könnten wir so etwas wie echte Gerichtsfälle aus den Gerichtschroniken
nehmen und einstudieren oder uns bekannte Romane zurechtzimmern.
Oder historische Vorgänge in der Art der Karikaturisten wie alltägliche Vorgänge darstellen.
-Wir Schauspieler sind ganz von den Stücken abhängig, die man uns zum Spielen gibt.
Wir sehen ja nicht einfach einige deiner „Vorfälle" und ahmen sie dann auf der Bühne nach.
Also müssten wir erst auf neue Stücke warten, die eine solche Darstellung,
wie du sie haben willst, möglich machen
-Das hieße unter Umständen bis zum Sankt Nimmerleinstag warten.
-Mir scheint, dass wir uns durch deine Vorliebe für die volkstümlichen Bilder
ein wenig von dem Wunsch der Zuschauer, etwas zu wissen,
auf den du dein Theaterspielen bauen willst, entfernt haben.
Diese Bilder wollen Grausen erzeugen, über die Erdbeben, Brände, Greueltaten, Schicksalsschläge.
-Wir haben uns nicht entfernt, sondern sind nur zurückgegangen.
Das Element dieser Volkskunst ist die Unsicherheit.
Der Boden schwankt und öffnet sich. Die Stadt steht in Flammen eines Tages.
Die Herrschenden werden vom Wechsel des Glücks bedroht.
Und die Unsicherheit ist auch die Wurzel des Wunsches nach Wissen.
Die Fingerzeige für die Rettung und die Abhilfe mögen reichlicher oder ärmlicher sein,
je nachdem die Menschheit sich helfen kann.
-Das wäre also Freude an der Unsicherheit?
-Das ist ein übler Wind, der keinem Gutes bringt.
Und dann wünscht der Mensch auch so unsicher gemacht zu werden, als er tatsächlich ist.
-Dieses Element der Unsicherheit willst du also nicht ausmerzen aus der Kunst?
-Keinesfalls. Keinesfalls.
-Also doch wieder Furcht und Mitleid?
-Nicht so eilig!
Ich erinnere mich da an eine Photographie, die eine amerikanische Stahlfirma
im Anzeigenteil der Zeitungen veröffentlichte.
Sie zeigte das durch ein Erdbeben verwüstete Yokohama.
Ein Chaos von zusammengeschüttelten Häusern.
Aber dazwischen
ragten noch einige Eisenzementgebäude, die ziemlich hoch waren.
Darunter stand „STEEL STOOD", Stahl blieb stehen.
-Das ist schön!
Eine solche Gesellschaft haben wir geschaffen, so vorbereitet für solch einen Vorfalle.
-Warum lachen Sie?
-Weil es schön ist.
-Diese Photographie
gab der Kunst einen deutlichen Fingerzeig.
Manchmal nimmt die Flucht ungewöhnliche Formen an.
Durch die Alpträume der Städte gehst du mit mir,
und mit idealistischer Zuversicht sprechen wir darüber,
daß sie uns nicht in Stücke reißen werden.
Wir behalten unsern Kopf über dem schwarzen Wasser.
Aber in dieser Welt ist kein Platz für Ideale.
Und jetzt bist du fort.
Glaubst du, daß unser Begierden immer noch brennen?
Es waren wohl unsre Begierden die uns in auseinander rissen.
Es muß Leidenschaft geben,
die Leidenschaft fürs Überleben,
und das bedeutet Ablösung.
Jeder hat eine Waffe mit der er dich bekämpft,
mit der er auf dich einschlägt wenn du unten bist,
Zwischen uns gab es zu viele Barrieren,
immer zweifend,
immer fürchtend,
immer zweifelnd,
daß wir einander, gleich den Alpträumen der Städte,
unsre Himmel schwärzen würden.
-Beachtet ja die Unterschiede zwischen
stark und grob,
locker und schlaff,
schnell und hastig,
phantasievoll und abschweifend,
durchdacht und ausgetüftelt,
gefühlsvoll und gefühlsselig,
widerspruchsvoll und ungereimt,
deutlich und eindeutig,
nützlich
und profitlich,
pathetisch und großmäulig,
feierlich und
pfaffenmäßig,
zart und schwach,
leidenschaftlich und
unbeherrscht,
natürlich und zufällig.
-Wir können sagen, dass wir, vom Standpunkt der Kunst aus, folgenden Weg zurückgelegt haben:
Wir haben jene Nachbildungen der Wirklichkeit, welche allerhand Leidenschaften und Gemütsbewegungen auslösen,
ohne jede Rücksicht auf diese Leidenschaften und Gemütsbewegungen zu verbessern versucht,
indem wir so anlegen, dass derjenige, der sie gewahrt, instand gesetzt ist,
die nachgebildete Wirklichkeit tätig zu beherrschen.
Wir haben gefunden, dass durch die genaueren Nachbildungen
Leidenschaften und Gemütsbewegungen ausgelöst werden, ja, dass Leidenschaften
und Gemütsbewegungen der Beherrschbarkeit der Wirklichkeit dienen können.
-Es ist eigentlich nicht mehr merkwürdig,
dass die Kunst, einem neuen Geschäft zugeführt, nämlich der Zerstörung der Vorurteile
der Menschen über das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen,
zunächst beinahe ruiniert wurde.
Wir sehen jetzt,
dass dies passierte,
weil sie das neue Geschäft in Angriff nahm,
ohne ein Vorurteil, das sie selber betraf, aufzugeben.
Ihr ganzer Apparat diente dem Geschäft,
die Menschen mit dem Schicksal abzufinden.
Diesen Apparat ruinierte sie,
als plötzlich in ihren Darbietungen als Schicksal
des Menschen der Mensch auftrat.
Kurz,
sie wollte das neue Geschäft betreiben,
aber die alte Kunst bleiben.
So sie
tat alles zögernd,
halb
egoistisch
mit schlechten Gewissen.
Aber nichts steht der Kunst weniger an.
Erst als sie sich selber aufgab, gewann sie sich selber wieder.