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1848 - 1910 Das "lange" 19. Jahrhundert
Das Diorama zeigt eine Zeit hoher sozialer Ausdifferenzierung
und eine extrem dynamische politische Entwicklung.
Es entsteht die bürgerliche Gesellschaft,
die alten Standesschranken werden durchlässiger, Berufsschranken fallen.
Begleitet wird dies von einer rasanten Industrialisierung, die mit schweren sozialen Verwerfungen einhergeht.
Das Jahr 1848 hat Symbol-Charakter für ganz Europa als Jahr der Revolutionen für die Demokratie.
Es baut sich eine große Hoffnung des Bürgertums auf Freiheit und Demokratisierung auf;
in Deutschland zugleich auf eine Einigung des Landes.
Die Burg wird zu einer Universität.
Sie wird im Stil des Historismus umgebaut.
Das Wichtigste für das Bürgertum zu dieser Zeit ist Bildung.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dürfen zumeist nur Männer studieren.
Das studentische Leben wird in den Verbindungen gepflegt;
die Hinwendung zum Mittelalter führt zu Verhaltensregeln wie Disziplin und Tapferkeit,
hier symbolisiert durch das studentische Fechten, die Mensur.
Zu dieser Zeit radikalisiert sich die politische Auseinandersetzung.
Hinter der Universität findet um das Jahr 1889 ein Streit zwischen zwei Gruppen statt:
er symbolisiert die Auseinandersetzungen des liberalen Bürgertums und seiner Studenten,
die stark von England beeinflusst sind,
und die sich hier symbolisch in einem Johannes Brahms-Verein versammelt haben (rot-grün).
Auf der anderen Seite stehen die nationalkonservativen Kräfte um den späteren Kaiser Wilhelm II.,
die durch studentische Anhänger des Komponisten Richard Wagner symbolisiert sind (rot-weiß).
Im Park der Stadt findet ein Freiheitsfest nach dem Vorbild des Hambacher Festes statt,
eine Demonstration mit der Forderung nach Freiheit und Demokratie.
Die Versammlung wird zusammengeprügelt von Polizei und Militär.
Im Rathaus wird gewählt.
Aber nur die wohlhabenden Männer, also die Steuerzahler, sind wahlberechtigt.
Die Arbeiter zahlen keine Steuern und dürfen daher nicht wählen;
Frauen besitzen wegen ihres Geschlechtes kein Wahlrecht.
Der Brunnen wird zum Heinrich Heine-Denkmal
und damit zum Symbol für die politische Entwicklung in Richtung Freiheit und Demokratie.
In Deutschland hat sich aus Sicht der Nationalkonservativen
seit der Reichseinigung 1871 das gesamte Leben einheitlich zu gestalten,
in diesem Falle preußisch-deutsch und evangelisch.
Die Ausgrenzung Andersdenkender, Anderssprechender und Andersglaubender ist die Folge.
Die Kirche beteiligt sich an diesem sog. Kulturkampf.
Hier wollen Dänen, zu erkennen an ihrer Flagge, dem Danebrog, in die Kirche eingelassen werden;
der Pfarrer weist sie ab.
Die Schulpflicht wird eingeführt.
Es entsteht eine staatliche Schule für alle.
Hier darf nur Deutsch unterrichtet werden;
ein kleiner Junge bekommt die Prügelstrafe, eine übliche Erziehungsmethode zu dieser Zeit,
weil er seine Muttersprache sprechen will.
Eine Gruppe von Schülern wird fotografiert.
Die Photographie verbreitet sich als Teil des Fortschritts
ebenso wie die Elektrizität oder Musikapparate,
die von Wachswalzen vorher aufgenommene Musik abspielen können
- noch sind all dies teure und nicht allgemein verfügbare Dinge.
Eine Synagoge ist erbaut worden als sichtbares Zeichen der Emanzipation von Juden in der Stadtgesellschaft.
Ein Rabbiner trägt die heiligen Tora-Rollen in das Gebäude.
Eine Gruppe Volkes schaut zu, nicht offensiv unfreundlich, aber skeptisch abwartend.
Wirkliche Gleichberechtigung von jüdischen und nichtjüdischen Mitbürgern gibt es nicht.
Es findet eine deutliche Verbesserung der Hygienebedingungen statt,
um das Volk endlich vor Epidemien zu schützen.
Dafür entsteht die Kanalisation zur Ver-/Entsorgung der Bevölkerung mit Wasser.
Eine Gesundheitsfürsorge gibt es noch nicht.
Auf Litfaßsäulen wird Werbung für die Auswanderung zu Schiff nach Amerika gemacht.
Dies zeigt die, mehrere Millionen Menschen umfassende, Migration aus Europa nach Übersee
in den Jahren zwischen 1875 und 1930.
Zugleich wird hier der Beginn der Reklame als Massenmedium dargestellt.
Reisende Ausstellungsunternehmer präsentieren in sog. Völkerschauen
die europäischen Kolonien in Übersee.
Sie feiern die Erfolge und den scheinbaren Glanz der europäischen Kolonialgesellschaften in Afrika und Asien.
Menschen aus Afrika und dort einheimische Tiere werden direkt nebeneinander gezeigt - beide als "Wilde".
Es ist ein lebendiges Museum.
Die Ausbeutung der Länder und der Menschen wird dabei verschwiegen.
Die Arbeiter organisieren sich zunehmend.
Zugleich werden Arbeiterdruckerein, Vereine und Verbände durch die staatlichen Obrigkeiten verboten.
Es herrscht eine strikte Zensur.
Bücher und Zeitschriften,
die die Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeitern am politischen und gesellschaftlichen Leben fordern,
werden beschlagnahmt.
Das Familienleben ist geprägt durch ein Nebeneinander der Eltern zu den Kindern.
Kinder gehen in Begleitung einer Gouvernante spazieren, nicht an der Hand ihrer Eltern.
Die individuelle Mobilität nimmt zu: Es gibt das erste Fahrrad
und die Straßenbahn (gezogen von Pferden).
Es gibt erste kontrollierte Flüge,
und der Zugbetrieb wird durch größere und leistungsstärkere Lokomotiven effektiver.
Stahl ist ein moderner Baustoff für Brücken.
Das erste Automobil mit Ottomotor hat nur der reiche Fabrikbesitzer.
Strom sichert die Elektrifizierung der Industrie und die erste elektrische Straßenbeleuchtung.
Die Nacht wird zum Tage.
Der natürliche Rhythmus des Menschen im Laufe des Tages ist endgültig durchbrochen.
Jetzt kann auch nachts gearbeitet werden.
Der Fluss stellt die soziale Ausdifferenzierung des Lebens dar;
für die Stadt wird er Teil der Freizeitgestaltung mit Gründung des Kanu-Vereins und zum Schwimmen für die Kinder.
Der Nutzhafen wandert auf die der Stadt abgewandte Industrieseite hinüber.
Der Fluss besitzt keinen eigenen Wert als Natur und wird durch die Industrie ungehindert verschmutzt.
Die Uhrzeit am Stadttor symbolisiert den Gedanken an die Zeit als das dynamische Element der Moderne.
Noch wird sie nicht kritisch betrachtet, sie verheißt Fortschritt.
Handwerker
und Feuerwehr symbolisieren diesen technischen Fortschritt.
Die Landwirtschaft verschwindet.
Es gibt eine Streichholzfabrik, bei der viele Unfälle mit gefährlichen und giftigen Materialien geschehen.
Der Besitzer hat seine Villa noch immer neben seiner Fabrik.
Er hat die Verpflichtung, sich um seine Arbeiter zu sorgen;
er begreift dies zumeist so, dass er sie arbeitsfähig hält.
Ihm gehört die Bäckerei, er sponsert die Schule.
Es zeigen sich zwei Gruppen von Arbeitern:
einer hält eine politische Rede und ruft zu einem Protest
gegen die Ausbeutung durch lange Arbeitszeiten und geringen Lohn auf;
auf der anderen Seite gibt es einen Arbeiterbildungsverein, da nur durch Bildung Aufstieg möglich ist.
Der Kontrast von Armut zu Reichtum wird dargestellt durch den Fabrikbesitzer,
der einen pompösen Kindergeburtstag feiert,
und die spielenden Kinder auf einer Müllhalde neben der Fabrik.
Die hohe Arbeitslosigkeit und die Aussichtslosigkeit vieler Menschen
führen zu der Auswanderungswelle in die Neue Welt.
Die Alten und Kranken bleiben zurück und die Jungen wandern aus.