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Liebe Hermanos, unser Motto "Mensch Bleiben" wird nun ein Buch.
Das Buch erzählt die Geschichte eines dreiwöchigen Massakers,
nach meinen besten Fähigkeiten aufgeschrieben
in Situationen der absoluten Unsicherheit.
Ich beschrieb die höllische Umgebung in einem zerknitterten Notizbuch,
hockend in einem fahrenden Krankenwagen mit kreischender Sirene,
oder auch die Tasten auf einem notdürftigen Computer hebephren schlagend
in Gebäuden, erschüttert, wie verrückte Pendel, von Explosionen rundherum.
Ich warne Euch, dass allein das Blättern in diesem Buch gefährlich sein könnte
tatsächlich sind es schädliche Seiten, befleckt mit Blut,
imprägniert mit weißem Phosphor, schneidend wie Bombensplitter.
Wenn Ihr sie in der Ruhe des Schlafzimmers lest, werden unsere Schreie des Terrors von den Wänden widerhallen.
Darum mache ich mir Sorgen um die Wände Eurer Herzen, da ich bemerke wie sie noch nicht schallisoliert vom Schmerz sind.
Stellt dieses Buch in Sicherheit, in Reichweite von Kindern
so dass sie von Anfang an von einer Welt nicht fern von ihnen wissen
wo Gleichgültigkeit und Rassismus ihre Altersgenossen in Fetzen reißen, als ob sie Stoffpuppen wären.
In einer Weise, dass es möglich wird, sie schon in einem frühen Alter gegen diese Epidemie der Gewalt gegen das Andersartige zu impfen
und gegen Feigheit bei Unrecht. Damit es auch morgen möglich ist, Mensch zu bleiben.
Ich vertraue auf Euch, die mir vertrauen
nicht für die Toten, sondern für die von diesem schrecklichen Massaker tödlich Verletzten.
Eine Umarmung groß wie das Mittelmeer, das uns trennend vereint.
Mensch bleiben.
Euer nie gezähmter Vik.
27 Dezember
Guernica in Gaza
Meine Wohnung in Gaza geht aufs Meer.
Der Panoramablick hat mich oft aufgerichtet, wenn ich völlig erschöpft war...
...von der auferlegten Misere des Lebens im Belagerungszustand.
Bis heute morgen. Als bei mir die vor dem Fenster die Hölle losbrach.
Wir wurden heute früh von Bomben geweckt
und viele sind nur wenige hundert Meter von meinem Haus eingeschlagen.
Etliche meiner Freunde sind unter den Trümmern begraben.
Im Moment zählen wir 210 Tote, aber diese Zahl wird wohl steigen. Ein beispielloses Blutbad.
Sie haben den Hafen planiert und die Polizeistation dem Erdboden gleich gemacht.
Mir wird berichtet, dass die westlichen Medien die Pille geschluckt haben...
...und uniform die von den israelischen Militärs verbreiteten Kommunikees wiederkäuen,
nach denen die Angriffe chirurgisch genau...
...ausschließlich auf die Stützpunkte der Hamas niedergegangen seien.
In Wirklichkeit haben wir im Krankenhaus von Al Shifa, dem größten der Stadt Gaza, die Körper im Hof liegen sehen
einige in Erwartung einer Behandlung, der größere Teil jedoch ohne Zweifel tot, Dutzende davon Zivilisten.
Habt Ihr Gaza vor Augen? Jedes Haus sitzt auf dem anderen auf, jedes Gebäude stützt sich auf ein anderes.
Gaza ist der Ort mit der höchsten Bevölkerungsdichte auf der ganzen Welt,
weshalb es auch unvermeidbar ist, dass du bei einemb Bombenabwurf aus 10.000 Metern Höhe...
...ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichtest.
Du weißt das und nimmst die Schuld auf dich,
es handelt sich nicht um einen Fehler, um keinen Kollateralschaden.
Und während die Polizeikaserne mitten im Zentrum von Al Abbas in die Luft fliegt,
nimmt auch die Grundschule nebenan Schaden durch die Explosionen.
Der Unterricht war gerade zu Ende und die Kinder schon auf der Straße,
als Dutzende blauer Schulranzen blutbefleckt durch die Luft flogen.
Bei dem Angriff auf die Polizeischule Dair Al Balah,
wurden auch Menschen auf dem nahegelegenen suq, dem zentralen Markt von Gaza, getötet und verletzt.
Wir sahen das Blut von Tieren und Menschen in Rinnsalen über den Asphalt laufen und sich vermischen.
Ein Guernica aus dem Bilderrahmen getreten und in Realität verwandelt.
Ich habe viele uniformierte Leichen in den verschiedenen Krankenhäusern gesehen, die ich besucht habe.
Ich kannte viele der jungen Männer.
Wir grüßten uns jeden Tag auf dem Weg zum Hafen, oder am Abend, wenn ich im Zentrum in die Cafés ging.
Einige kannte ich beim Namen. Ein Name, eine Geschichte, ein verstümmelte Familie.
Der überwiegende Teil waren junge Männer, 18 - 20 Jahre alt,
die meisten weder der Fatah noch der Hamas angegliedert:
sie hatten sich einfach nach dem Studium bei der Polizei beworben,
auf der Suche nach einem sicheren Arbeitsplatz in einem Gaza,
das unter der kriminellen Blockade durch die Israelis eine Arbeitslosenzahl von 60% aufweist.
Ich kümmere mich nicht um Propaganda,
ich lasse meine Augen sprechen, meine Ohren,
die dröhnen von dem Gekreisch der Sirenen und dem Donnern der Sprengstoffe.
Ich habe keine Terroristen gesehen unter den Opfern, nur Zivilisten und Polizisten.
Noch tags zuvor hatte ich mit ihnen gescherzt, weil sie sich so eingemummelt hatten gegen die Kälte.
Ich wünsche mir, dass diesen Toten wenigstens durch die Wahrheit Gerechtigkeit widerfahren kann.
Nie haben sie einen Schuss auf Israel abgegeben, es auch nie versucht, weil das nicht ihre Aufgabe war.
Sie hatten damit zu tun, den Verkehr zu regeln und die innere Sicherheit zu gewährleisten,
umso mehr, als der Hafen weit weg von jeder israelischen Grenze liegt.
Ich habe eine Videokamera bei mir und musste heute einsehen, dass ich ein schlechter Kameramann bin;
ich kann keine zermalmten Körper und in Tränen aufgelösten Gesichter filmen. Ich schaffe es einfach nicht.
Ich kann es nicht, weil ich dann auch anfangen muss zu weinen.
Ich bin zum Blutspenden gegangen in das Krankenhaus Al Shifa,
gemeinsam mit anderen vom International Solidarity Movement (ISM).
Dort erhielten wir einen Telefonanruf: Sara, unsere liebe Freundin,
war in ihrer Behausung im Flüchtlingslager von Jabalia vom Splitter einer Bombe tödlich verletzt worden.
Eine warmherzige Person mit sonnigem Gemüt, sie war nur kurz für ihre Familie zum Brot holen gegangen.
Sie hinterlässt
Vorhin hat mich Tofiq aus Zypern angerufen.
Tofiq ist einer der glücklichen palästinensischen Studenten,
dem es dank unserer Schiffe vom Free Gaza Movement gelungen ist,
das riesige Freiluftgefängnis Gazastreifen zu verlassen, um woanders ein neues Leben zu beginnen.
Er fragte mich, ob ich seinen Onkel besucht und vom ihm gegrüßt hätte, so wie ich es ihm versprochen hatte.
Zögernd entschuldigte ich mich bei ihm, dass ich bisher noch nicht die Zeit dazu gefunden hatte.
Nun ist es zu spät dafür, denn sein Onkel liegt begraben zusammen mit vielen anderen unter den Trümmern am Hafen.
Aus Israel erreicht uns eine furchtbare Drohung:
dies sei erst der erste Tag einer ganzen Kampagne von Bombardierungen,
die sich über zwei Wochen hinziehen könnte.
Sie werden eine Wüste erschaffen, die sie dann Frieden nennen.
Das Schweigen der "zivilisierten Welt" ist viel ohrenbetäubender als die Explosionen,
die die Stadt wie ein Leichentuch aus Terror und Tod bedecken.
Mensch bleiben.
29 Dezember
Ein langsamer Tod vor unbrauchbaren Zeugen
In der Luft hängt der beißende Geruch von Schwefel,
Blitze teilen den Himmel unterbrochen von grollendem Donner.
Mittlerweile sind meine Ohren von den Explosionen taub und meine Augen angesichts der Leichen trocken geweint.
Ich befinde mich vor dem Krankenhaus von Al Shifa, dem wichtigsten in Gaza,
und gerade ist die schreckliche Drohung zu uns durchgedrungen,
dass die Israelis den neuen noch im Bau befindlichen Flügel beschießen wollen.
Das wäre ja noch nichts Neues, denn gestern schon wurde die Klinik Wea’m bombardiert.
Zusammen mit einem Medikamentenlager in Rafah, der zerstörten islamischen Universität
und verschiedenen über den ganzen Gazastreifen verteilten Moscheen. Neben einer Vielzahl von zivilen Einrichtungen.
Es scheint, als fänden sie keine „sensiblen“ Objekte mehr, und die Luftwaffe und Marineluftfahrt übt ein wenig,
indem sie heilige Stätten, Schulen und Krankenhäuser ins Visier nehmen.
Jede Stunde ist ein 9/11, jede Minute hier,
und das Morgen ist immer nur ein Heute der Trauer, der immer gleichen Verzweiflung.
Kontinuierlich sind Hubschrauber und Flieger in der Luft,
wenn du ihr Licht siehst, bist du schon tot.
Es gibt keine Bombenbunker im Gazastreifen, kein Platz ist sicher.
Ich kann keinen Kontakt mehr zu Freunden in Rafah aufnehmen; auch die im Norden von Gaza-City erreiche ich nicht.
Ich hoffe, dass es nur wegen der überlasteten Leitungen ist. Ich hoffe.
Seit 60 Stunden bekomme ich kein Auge zu, ebenso wenig wie alle Gazawi (Bewohner des Gazastreifens AdÜ).
Gestern habe ich die Nacht mit drei Kameraden des ISM
im Krankenhaus von Al Awda im Flüchtlingscamp von Jabalia verbracht.
Wir sind dorthin gegangen, weil ich den lange vorbereiteten Bodenangriff erwartete, der jedoch ausblieb.
Aber entlang der gesamten Grenze des Gazastreifens sind die israelischen Panzer in Stellung gebracht,
ihre Raupenketten werden sich wohl heute Nacht in tödliche Bewegung setzen.
Gegen 23.30 Uhr schlug eine Bombe in ca. 800m Entfernung vom Krankenhaus ein,
die Druckwelle ließ einige Scheiben zerspringen, verschlimmerte noch den Zustand der schon verletzten Patienten.
Eine Ambulanz kam vorbei gefahren, sie haben eine Moschee bombardiert,
glücklicherweise gerade ohne Besucher.
Unglücklicherweise auch wenn es sich nicht um Unglück handelt,
sondern um den kriminellen und terroristischen Willen Israels handelt, Massaker unter der Zivilbevölkerung anzurichten,
unglücklicherweise also hat die Explosion auch das Nachbargebäude niedergerissen und komplett zerstört.
Aus den Trümmern wurden die Überreste von 6 Geschwistern, alle Mädchen, geborgen;
fünf waren tot, eine lebensgefährlich verletzt. Sie haben die Kinder auf den verkohlten Asphalt gelegt,
sie wirkten wie kleine verletzte Puppen, weggeworfen, weil sie zu nichts mehr taugten.
Es findet hier kein Versehen statt, sondern eine gewollte und zynische Gräueltat.
Momentan wird von 320 Toten gesprochen zuzüglich ungefähr 1000 Verletzter,
von denen nach Auskunft eines Arztes des Shifa Krankenhauses
60% die nächsten Stunden nicht überleben oder aber in den nächsten Tagen in Agonie sterben werden.
Dutzende sind versprengt,
in den Krankenhäusern suchen viele Frauen seit zwei Tagen ihre Männer
oder ihre Kinder, oft vergeblich.
Die Leichenschauhäuser bieten makabere Schauspiele.
Eine Schwester erzählte mir, dass eine palästinensische Frau
auf der Suche nach ihrem Mann die in den Kühlräumen aufbewahrten Leichenteile durchsuchte
und nach Stunden dann in einer amputierten Hand diejenige ihres Mannes wiedererkannte.
Das war alles, was von ihrem Mann übrig geblieben war,
zusammen mit dem Trauring am Finger, mit dem sie sich ewige Liebe geschworen hatten.
Von einem Haus, das von zwei Familien bewohnt wurde und bis auf die Grundmauern zerstört wurde,
blieb wenig übrig: nur die unter ihm begrabenen menschlichen Körper.
Den Verwandten konnte man einen halben Oberkörper und drei Beine zeigen.
Genau in diesem Augenblick läuft eines unserer Boote vom Free Gaza Movement
aus dem Hafen von Larnaca auf Zypern aus.
Ich habe mit meinen Freunden an Bord gesprochen. Die Helden; das Boot ist von ihnen vollgestopft worden mit Medikamenten.
Sie dürften morgen gegen 8 Uhr im Hafen von Gaza anlegen.
Falls es den Hafen noch gibt, nach einer weiteren Nacht von kontinuierlichen Bombardierungen.
Ich werde die ganze Zeit mit ihnen in Verbindung bleiben.
Jemand soll diesen Albtraum anhalten.
Regungslos in Schweigen zu verharren hieße, diesen stattfindenden Genozid zu unterstützen.
Brüllt unsere Entrüstung in jede Hauptstadt der „zivilen“ Welt,
übertönt noch unsere Schreie des Schmerzes und Schreckens in jeder Stadt und auf jedem Platz.
Es stirbt ein Teil der Menschheit in frommer Erwartung.
Mensch bleiben.
30 Dezember
Die Engelfabriken
Jabalia, Beit Hanun, Rafah, Gaza City, die Etappen meiner persönlichen Landkarte der Hölle.
Was auch immer die Spitzen des israelischen Militärs in ihren Kommunikees wiederholen werden,
von den europäischen Massenmedien auf allen Kanälen ausgestrahlt,
ich war Augenzeuge in jenen Tagen der Bombardierungen auf Moscheen, Schulen,
Universitäten, Krankenhäuser, Märkte und Dutzende von Privathäusern.
Der medizinische Direktor des AL Shifa Krankenhauses bestätigte mir,
Telefonate von der IDF (das israelische Heer AdÜ) erhalten zu haben,
die ihn aufforderten, sofort das Krankenhaus zu evakuieren,
anderenfalls werde ein Bombenhagel niedergehen. Er ließ sich nicht einschüchtern.
Der Hafen, dort wo ich schlafen müsste, aber in Gaza bekommt man seit vier Tagen kein Auge zu,
liegt beständig unter nächtlichem Beschuss.
Man hört keine Sirenen sich gegenseitig überholender Krankenwagen mehr,
schlicht weil am Hafen und in der Umgebung niemand mehr lebt, alle sind tot,
es ist, als würde man seine Füße auf einen Friedhof nach einem Erdbeben setzen.
Die Situation ist wirklich die einer „unnatürlichen Katastrophe“,
eine Überschwemmung der palästinensischen Bevölkerung mit Hass und Zynismus wie aus „Gegossenem Blei“,
das menschliche Körper zerstört
und die Palästinenser, anders als vorhergesagt, nur noch mehr zusammenschweißt:
Menschen, die sich vorher nicht einmal gegrüßt hätten, da sie unterschiedlichen Fraktionen angehörten,
finden sich nun vereint als Opfer einer entsetzlichen Tragödie.
Wenn die Bomben aus 10km Höhe auf die Erde fallen,
keine Sorge, sie unterscheiden nicht zwischen den Flaggen von Hamas und Fatah,
die auf den Fensterbänken stehen.
Es gibt keine chirurgisch genauen militärischen Operationen:
wenn die Luftwaffe und die Marineluftwaffe sich in Bewegung setzen, sind die einzigen chirurgischen Eingriffe
die der Ärzte, die den Opfern die zerfetzen Gliedmaßen amputieren ohne einen Moment der Überlegung,
auch wenn die Arme und Beine oft erhalten werden könnten.
Es herrscht Zeitmangel, alle sind in Eile, die notwendige Behandlung eines ernsthaft verletzten Gliedmaßes
könnte das Todesurteil für den nächsten Verletzten bedeuten, der auf eine Transfusion wartet.
Im Al Shifa Krankenhaus liegen 600 Schwerverletzte, sie haben aber nur 29 Atemgeräte.
Es fehlt an Allem, am meisten an ausgebildetem Personal.
Aus diesem Grund, aus der Erschöpfung über die Untätigkeit und das Schweigen
der westlichen Regierungen, die dadurch zu faktischen Mittätern bei den Verbrechen Israels werden,
haben wir beschlossen, ein kleines Schiff aus Larnaca auslaufen zu lassen,
an Bord drei Tonnen Medikamente und medizinisches Personal.
Vergeblich wartete ich am Hafen auf sie, um acht Uhr morgens hätten sie einlaufen sollen.
Sie wurden neunzig Meilen vor Gaza von elf israelischen Kriegsschiffen abgefangen,
welche wiederholt versucht hatten, sie auf dem offenen Meer zu rammen und zu versenken.
Sie rammten das Boot drei Mal
und verursachten damit eine Havarie des Motors sowie ein Leck im Schiffsrumpf.
Aus purem Zufall überlebten die Mannschaft und die Passagiere
und es gelang ihnen, im Hafen von Tyrus im Süden Libanon an Land zu kommen.
Vom ohrenbetäubenden Schweigen der „zivilisierten“ Welt immer stärker frustriert,
werden meine Freunde bald den nächsten Versuch starten;
es ist ihnen gelungen, die Ladung mit Medikamenten von der „Dignity“ zu bergen
und sie auf ein anderes Boot zu verladen, das bereit steht in Richtung Gaza auszulaufen.
Viele Journalisten bitten mich in Interviews
um Berichter- stattung zur humanitären Situation der Palästinenser in Gaza,
als ob es um ein Problem der Nahrungsmittelknappheit, des Wassermangels, die Stromausfälle oder den Benzinmangel ginge
und nicht um die Frage, wer diese Probleme verursacht durch das Schließen der Grenzübergänge
und die Bombardierung von Elektrizitäts- und Wasserwerken.
Im Krankenhaus von Al Awda in Jabalia habe ich gesehen, wie die Verletzten und Getöteten
nicht im Krankenwagen, sondern von Tieren gezogen auf Holzwägelchen angeliefert wurden.
Mit Panzern, Jägern, Drohnen und Apache Hubschraubern liegt die größte und stärkste Waffenmacht der Welt
im stürmischen Angriff auf eine Bevölkerung, die sich noch auf Eseln fortbewegt wie zu Zeiten von Jesus.
Das Zentrum für Menschenrechte „Al Mizan“ berichtet,
dass im Moment des Schreibens 55 Kinder in die Bombardierungen verwickelt wurden,
davon 20 getötet und die anderen 35 schwer verletzt worden sind.
Laut "Al Mizan" hat Israel
aus den palästinensischen Krankenhäusern lauter Engelfabriken gemacht
und übersieht dabei den Hass, der dadurch in Palästina und der ganzen Welt geschürt wird.
Die Engelfabrikanten sind im Dauereinsatz, auch heute Abend,
das spüre ich durch das Getöse der Bomben hindurch vor meinem Fenster.
Diese zerstückelten und amputierten kleinen Körper, noch vor dem ersten Aufblühen geerntet,
werden für den Rest meines Lebens in meinen Albträumen sein
und wenn ich noch die Kraft zum Aufschreiben ihres Endes habe,
dann nur, um nach Gerechtigkeit zu suchen sowohl für die, die nun keine Stimme mehr haben,
die niemals hören wollten.
Mensch bleiben.
1 Januar
Unnatürliche Katastrophe
Das neue Jahr hat das alte ersetzt, die Aussichten des Todes und der Trostlosigkeit sind geblieben.
Noch nie habe ich so viele Bomben in der Nähe meiner Wohnung herunterkommen gesehen.
Eine Explosion, weniger als 100m entfernt, hat die ganzen sieben Stockwerke des Gebäudes geschüttelt,
es schwankte wie ein wirres Pendel hin und her.
Einen Moment lang, dachte ich, es stürzte ein, die Scheiben in den Schränken zerbrachen.
Panik, ich betete zu Gott,
dass beim Bau des Gebäudes schon Erkenntnisse aus Erdbebenerfahrungen zum Einsatz gekommen seien,
war mir aber der trügerischen Hoffnung sehr bewusst,
denn ganz Gaza liegt auf einem Erdstreifen, in dem es nie Beben gibt.
Das Erdbeben hier heißt Israel.
Ich fahre fort mit meiner verzweifelten Suche nach den Freunden, die nicht mehr am Telefon antworten.
Ahmed habe ich bei sich zu Hause gefunden,
in einem der wenigen Häuser, die noch stehen im Zentrum des Bezirks Tal Alhawa in Gaza Stadt.
Ring- sumher
eine apokalyptische Szenerie, die an das schiitische Viertel Beiruts
nach dem Bombenhagel
Bomben des gleichen Fabrikats und gleicher Herkunft fallen dieser Tage auch auf uns herab.
Ahmed geht es gut,
auch seiner Verwandtschaft,
nur seine Mutter hatte sich am Samstag in großer Gefahr befunden.
Sie ist Lehrerin an der Balqees Schule der UN
und hielt sich an diesem Tag etwas länger als gewöhnlich im Unterrichtsraum auf,
das war ihre Rettung.
Als sie an der Bushaltestelle warteten,
wurden viele ihrer Studenten unter den Trümmern der Explosionen begraben.
Eine Bombe ist auf Ahmeds Auto gefallen,
ein pistaziengrüner Kleinwagen,
mit dem wir noch am Abend vorher auf der Suche nach Brot herum gefahren waren
in dieser Stadt, in der Mehl mit Gold aufgewogen wird.
Endlich hab ich auch Rafiq am Telefon erreichen können,
seine tiefe Stimme schien aus einem bodenlosen Fass zu kommen,
aus einem Tunnel der Einsamkeit und Verzweiflung,
nachdem er gerade erfahren musste, dass drei seiner besten Freunde
bei dem Angriff auf den Hafen ums Leben gekommen waren.
In einem der letzten geöffneten Cafés im Gazastreifen,
das mit Internetanschluss ausgestattet ist (den ich nutze, solange Bomben und Stromversorgung es zulassen)
hab ich mit schiefem Grinsen die Nachricht auf meinem Laptop herumgezeigt,
in der etwas von 1 Toten und 382 Verletzten zu lesen war.
Hierbei handelte es sich nicht um die Anzahl der Opfer der gestrigen Abschüsse von Qassam-Raketen auf Israel,
die glücklicherweise gar keine Opfer hinterlassen hatten,
sondern um die Zahlen des Massakers, das vom Feuerwerk an jedem Jahresende in Italien hervorgerufen wird.
Die von der Hamas sind Grünschnäbel, sagte ich zu meinen Freunden,
wenn sie glauben, dass sie mit diesen kunsthandwerklichen Spielzeugen Krieg gegen Israel führen können.
Sie sollten einmal eine Fortbildung in Neapel machen, um zu lernen, wie man wirklich tödliche Raketen baut.
Als Pazifist und Gewaltfreier verabscheue ich jeglichen Angriff der Palästinenser auf die Israelis,
aber wir haben es satt, der immer gleichen Kantilene zu lauschen,
nach deren Gesang dieses Massaker unter der Zivilbevölkerung
nur die Antwort Israels auf die Abschüsse der bescheidenen palästinensischen „Raketen“ sei.
Es sei nebenbei bemerkt, dass die Abschüsse der Qassam-Raketen von 2002 bis heute
18 Todesopfer auf der israelischen Seite zur Folge hatten,
hier haben wir am Samstag in wenigen Stunden
in den Krankenhäusern mehr als 250 Tote gezählt.
Ich verlange Bericht von den Teilnehmern des Europäischen Kaffeekränzchens,
bei dem der Waffenstillstand ausgehandelt wurde, den Israel dann sofort wieder einkassiert hat,
da es in seinen Militärlagern offensichtlich umfangreiche Reserven an Kriegsmaterial zum baldigen Verbrauch besitzt.
Alle schütteln mit dem Kopf.
Gab es denn wirklich einmal Waffenstillstand,
bevor diese wilde Attacke auf eine wehrlose Bevölkerung los ging?
Allein im November hat das israelische Militär
(43 insgesamt seit Beginn des „Waffenstillstandes“).
Und schon vorher hatte die illegale Blockade Gazas
mehr als 200 Todesopfer gefordert unter den Kranken,
die mit allen Genehmigungen versehen ärztliche Hilfe im Ausland suchten
und nun das Land nicht mehr verlassen konnten.
Die ohnehin schon schwache Wirtschaft ist durch die kriminelle Blockade völlig am Boden,
die Arbeitslosigkeit auf über 60% gestiegen,
wodurch 80% der Familien von humanitärer Hilfe leben und abhängig sind.
Hilfen, die nur noch mit Mühe den eisernen Vorhang passieren, den Israel
um das größte Freiluftgefängnis der Welt gezogen hat: den Gazastreifen.
Aus diesem Café mussten wir dann Hals über Kopf flüchten,
nachdem der x-te Drohanruf gekommen war: das Lokal würde innerhalb der nächsten Minuten bombardiert werden.
Gestern, im Flüchtlingslager Jabalia,
hat ein F-16 Jagdbomber einen Flugkörper auf einen Krankenwagen abgeschossen,
es starben der Arzt, Ihab El Madhoun,
sowie sein vertrauter Mitarbeiter und Krankenpfleger, Mohamed abu Hasira.
Daraufhin haben wir, die internationalen Vertreter des ISM,
heute eine Pressekonferenz angekündigt,
die auch vor den Kameras eines sehr beliebten lokalen palästinensischen TV-Senders gehalten werden wird.
Um Israel davon zu informieren, dass wir ab heute Nacht
in den Krankenwagen mitfahren werden, um die Ersthelfer zu unterstützen
darauf hoffend, dass unsere Gegenart minimal abschreckend wirken kann
auf Israel und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die es sich zu Schulden kommen lässt.
Manches Mal, wenn wir unter uns sind und zusammensitzen, nimmt das Gespräch eine düstere Wendung,
denn wahrscheinlich wird manch einer von uns am Ende dieser schrecklichen Offensive
die Zahl der Toten oder Verschwundenen erhöhen.
Wir denken nicht daran, wir machen weiter.
Mensch bleiben.
3 Januar
Gespenster bitten um Gerechtigkeit
Während ich schreibe, sind die israelischen Panzer in den Gazastreifen eingedrungen.
Der Tag begann so, wie der vorangegangene aufgehört hatte,
mit der Erde, die kontinuierlich unter unseren Füßen bebt,
Himmel und Meer weben ohne Unterlass am Schicksal
von mehr als 1,5 Millionen Menschen am Übergang
von der Tragödie der Blockade zur Katastrophe der Bombardierungen,
die aus der Zivilbevölkerung eine prädestinierte Zielscheibe machen.
Mein Blickfeld ist von Flammen eingeschlossen,
Kanonenschläge vom Meer aus und Bomben vom Himmel den ganzen Morgen hindurch.
Die Fischerboote, die wir noch bis vor wenigen Tagen aufs offene Meer eskortierten
(weit jenseits der von den verbrecherischen und illegalen Besatzern Israels festgesetzten Sechs-Seemeilengrenze),
sind zu kleinen glühenden Holzkohlehaufen reduziert worden
Sollte die Feuerwehr einen Löschversuch wagen,
wird sie zum Ziel der Maschinengewehre der F-16:
das ist gestern schon passiert.
Wenn diese massive Offensive
vorüber ist und man die Toten gezählt haben wird,
sollte das überhaupt je möglich sein, dann wird man diese Stadt über einer Schuttwüste wiederaufbauen müssen.
Die israelische Außenministerin Livni
wird der Welt erklären, dass „in Gaza keinerlei humanitärer Notstand herrscht“.
Offensichtlich kommt die Holocaustleugnung nicht nur in Kreisen
des iranischen Präsidenten Ahmadinedjad in Mode.
Über eines sind die Palästinenser sich jedoch mit Livni einig
(die von Joseph, dem Krankenwagenfahrer, als „Ex-Serienkiller vom Mossad“ bezeichnet wird):
die Lebensmittel, die in diesem Monat den Gazastrei- fen erreichen,
haben zugenommen, und zwar weil im vorangegangenen Monat
der Stacheldrahtzaun der Israelis so dicht gewesen war, dass fast nichts in den Streifen passieren konnte.
Aber welchen Sinn hat es, frisch gebackenes Brot auf einem Friedhof zu servieren?
Dringend nötig wäre das sofortige Einstellen der Bombardierungen,
noch bevor die Versorgung mit Lebensmitteln in die Hand genommen wird.
Leichen essen nichts,
sie düngen nur noch die Erde,
die hier in Gaza durch die Verwesungsprodukte so fruchtbar ist, wie nie zuvor.
Die Bilder der zerfetzten Kinderleichen sollten hingegen
die Schuldgefühle derer nähren, die gleichgültig blieben,
obwohl sie etwas dagegen hätten unternehmen können.
Die Bilder eines lächelnden Obama, der auf Hawaii Golf spielt,
waren auf allen arabischen Satellitensendern zu sehen
und wurden als Affront empfunden angesichts der Trauer, von der die Länder hier durchdrungen sind.
Hierzulande hat sich jedenfalls nie jemand der Illusion hingegeben, dass einige Hautpigmente ausreichen würden,
um die amerikanische Außenpolitik radikal zu beeinflussen
Gestern hat Israel den Übergang bei Erez geöffnet,
um einige Ausländer zu evakuieren, die noch hier im Gazastreifen waren.
Wir, die internationale Gruppe des ISM,
sind die einzigen, die hier geblieben sind.
Um auf Tel Aviv zu antworten, haben wir heute eine Pressekonferenz abgehalten,
auf der wir unsere Motivation erklärt haben, die uns dazu zwingt, nicht von hier weg zu gehen.
Es widert uns an, dass die Übergänge zwar sperrangelweit geöffnet werden, um ausländische Bürger zu evakuieren,
die einzigen möglichen Zeugen dieses Massakers,
aber für die Gegenrichtung bleiben die Übergänge gesperrt
für die vielen europäische Ärzte und Krankenpfleger,
die bereit stehen, um ihren heldenhaften palästinensischen Kollegen unter die Arme zu greifen.
Wir gehen nicht,
weil wir es für unabdingbar wichtig halten, mit unserer Gegenwart Augenzeugen
zu werden für die Verbrechen gegen eine wehrlose zivile Bevölkerung,
welche Stunde für Stunde, Minute für Minute hier begangen werden.
Wir sind bei
mehr als 2300 Verletzten, Dutzenden von Vermissten.
73 von Bomben zerfetzte Minderjährige, im Moment, in dem ich schreibe.
Israel zählt bislang drei Opfer insgesamt.
Wir sind auch deshalb nicht geflohen,
wie es unsere Konsulate uns empfahlen,
weil wir uns unserer Rolle als menschliche Schutzschilde für die Krankenwagen und Ersthelfer in den Ambulanzen sehr bewusst sind,
das könnte sich als lebensrettend erweisen.
Auch gestern ist ein Krankentransport in Gaza Stadt beschossen worden,
am Tag zuvor sind im Flüchtlingscamp Jabalia zwei Mediziner getötet worden,
getroffen von einer Rakete, die von einem Apache Hubschrauber abgefeuert worden war.
Meine persönlichen Beweggründe, nicht wegzugehen,
ind meine Freunde, die mich gebeten haben, sie nicht zu verlassen.
Die, die noch leben, aber auch jene, welche, schon gestorben,
nun meine schlaflosen Nächte als Gespenster bevölkern.
Ihre durchscheinenden Gesichter lächeln mich immer noch an.
19.33 Uhr,
Roter Halbmond - Krankenhaus, Jabalia.
Während ich in Telefonverbindung mit den protestierenden Massen in Mailand war,
fielen vor dem Krankenhaus zwei Bomben.
Die Glasscheiben der Frontseite gingen zu Bruch,
wie durch ein Wunder blieben die Krankenwagen unbeschädigt.
In den letzten Stunden hat die Intensität und Wucht der Bombardierungen noch zugenommen.
Die Moschee Ibrahim Maqadme hier in der Nähe
ist gerade unter den Bomben eingestürzt:
ie ist die zehnte Moschee in einer Woche.
Elf Todesopfer bisher, ungefähr 50 Verletzte.
Eine alte Palästinenserin, die ich heute Nachmittag auf der Straße traf,
fragte mich, ob die Israelis wieder glaubten im Mittelalter zu sein,
nachdem sie nun mit chirurgischer Präzision Moscheen beschössen,
es scheine ganz so, als ob sie einen persönlichen Religionskrieg gegen die heiligen Stätten des Islam in Gaza führten.
Noch ein Bombenregen auf Jabalia und dann, am Ende, sind sie eingedrungen.
Die Kettenraupen der Panzer, die seit Tagen entlang der Grenze aufgestellt waren,
sind in ein Gebiet im Nordosten Gazas vorgedrungen und ebnen die Häuser ein, Meter für Meter.
Sie begraben die Vergangenheit und die Zukunft, ganze Familien, eine Bevölkerung, die,
1948 von ihrer eigenen Erde verjagt,
keinen anderen Unterschlupf gefunden hatte als eine Baracke in einem Flüchtlingslager.
Sofort sind wir nach Jabalia geeilt, nachdem am Freitagabend eine furchtbare Bedrohung vom Himmel auf die Erde geregnet war.
Hunderte von Flugblättern wurden von den israelischen Jägern abgeworfen
und verlangten die Räumung des Flüchtlingscamps.
Das war dieses Mal leider keine leere Drohung.
Am meisten Glück hatten die, welche sich sofort davon machten, die wenigen wertvollen Habseligkeiten schnell zusammengerafft,
einen Fernseher, DVD-Player,
die wenigen Erinnerungsstücke an ein Leben im besetzten
und vor 60 Jahren verlorenen Palästina.
Die Mehrzahl fand keinen Platz, wohin sie hätte fliehen können.
Sie werden den lebenshungrigen Raupenketten ihre einzige Waffe entgegenhalten,
die ihnen geblieben ist;
die Würde, mit hocherhobenem Haupt zu sterben.
Meine Genossen und ich sind uns der großen Risiken bewusst, denen wir uns aussetzen,
in dieser und in anderen Nächten;
aber mit Sicherheit fühlen wir uns hier im Zentrum der Hölle in Gaza wohler,
als wir es in den paradiesischen europäischen oder amerikanischen Metropolen je sein könnten,
wo die Menschen das neue Jahr feiern und nicht verstehen,
wie sehr sie in Wirklichkeit die Komplizen
dieses Mordes an unschuldigen Zivilisten sind.
Mensch bleiben.
5 Januar
Ärzte mit Flügeln: Arafa Abed Al Dayem R.I.P.
„An die unschuldigen Menschen in Gaza: unser Krieg ist nicht gegen Euch gerichtet, sondern gegen die Hamas
wenn sie nicht damit aufhören, uns mit Raketen zu beschießen, seid Ihr in Gefahr“.
Das ist die Telefonansage, die man zu hören bekommt, wenn man in Gaza in diesen Stunden einen Anruf entgegennimmt.
Das israelische Militär verbreitet sie in der irrigen Annahme,
dass die Palästinenser weder Augen noch Ohren haben.
Keine Augen, um zu sehen, dass die Bomben fast ausschließlich zivile Ziele treffen,
Moscheen (15, die letzte heute war...
...die Omar Bin Abd Al Azeez in Beit Hanoun),
Schulen, die Universität, Märkte, Krankenhäuser.
Und keine Ohren, um die Schmerzensschreie der Kinder zu hören,
unschuldige Opfer
auch sie, dennoch ausgemachtes Ziel eines jedes Bombenangriffs.
Laut Quellen aus den Krankenhäusern sind in diesem Moment...
...120 Minderjährige Opfer der Bomben geworden,
von insgesamt 548 Todesopfern und...
...mehr als 2700 Verletzten, dazu kommen viele Dutzende von Vermissten.
Vor zwei Tagen wurde es im Krankenhaus des Roten Halbmondes im Flüchtlingscamp Jabalia nicht mehr Nacht.
Vom Himmel warfen Apache Hubschrauber kontinuierlich Leuchtkörper ab,
so dass für uns der Übergang zwischen Nacht und Tag nicht mehr erkennbar war.
Der Dauerbeschuss von einem Panzer in weniger als 1km Entfernung...
...hatte ernstzunehmende Risse in den Mauern des Gebäudes hinterlassen,
wir haben dennoch bis zum Morgen darin ausgehalten.
Gegen 10 Uhr dann fielen weiße Phosphorbomben auf das angrenzende Gebäude und...
...Maschinengewehrfeuer brach rings umher aus.
Die Ärzte des Roten Halbmondes verstanden das als Warnung der Militärs an uns:
sofortige Evakuierung,
oder Todesstrafe.
Wir verlegten die Verletzten in andere Teile des Krankenhauses...
...und postierten die Notfallambulanz auf die Al Nady Straße:
das Personal sitzt auf dem Bordstein und wartet auf die nächsten Einsätze,
die in fieberhafter Eile aufeinander folgen.
Zum ersten Mal seit Beginn des israelischen Angriffs...
...habe ich Leichen von Kriegern aus dem palästinensischen Widerstand gesehen.
In bescheidener Zahl im Verhältnis zu den zivilen Opfern,
deren Zahl nach dem Bodenangriff rapide zugenommen hat.
Nach dem Angriff auf die Moschee von Jabalia
(zeitgleich mit dem Einrollen der Panzer), der elf Tote und an die fünfzig Verletzte verursacht hat,
während wir die ganze Nacht zum Samstag Krankenwagen eskortierten,
wurde uns klar, mit welcher unglaublichen Zerstörungskraft...
...die Granaten der israelischen Panzer ausgestattet sind.
In Bet Hanoun...
...wurde eine Familie, die sich am Holzofen wärmte im eigenen Haus,
von einem dieser tödlichen Schüsse erwischt.
Wir haben fünfzehn Verletzte eingesammelt,
davon vier in hoffnungslosem Zustand.
Dann,
um drei Uhr morgens,
kam noch ein Notruf:
zu spät,
in Tränen aufgelöst legten uns drei Frauen...
...ein Kind von vier Jahren in die Arme, in ein Laken eingewickelt, ihr Schweißtuch,
schon kalt.
Noch eine Familie, die es voll getroffen hat, in Jabalia diese Mal,
zwei Erwachsene mit Bombensplittern in ihren Körpern.
Die beiden Söhne trugen nur leichte Verletzungen davon,
aber in ihren wahnsinnigen Schreien hörte man deutlich das erlebte psychische Trauma,
das sie mehr für ihr Leben zeichnen wird,
als der Kratzer auf einer Wange.
Auch wenn niemand ihnen eine Stimme verleihen wird,
sind es doch tausende von Kindern, denen schwerste mentale Störungen...
...durch die erlebten Schrecken der schweren fortdauernden Bombardierungen,
oder noch schlimmer, durch den Anblick ihrer von den Bomben zerfetzten Eltern und Geschwister.
Die Verbrechen, mit denen sich Israel gerade beschmutzt,
übersteigen jegliche Vorstellungskraft.
Die Soldaten lassen es nicht zu, dass den Überlebenden...
...dieser unglaublichen unnatürlichen Katastrophe geholfen wird.
Wenn sich die Verletzten in der Nähe der gepanzerten israelischen Fahrzeuge befinden,
aus denen sie beschossen wurden, dürfen wir mit den Krankenwagen des Roten Halbmondes nicht in ihre Nähe fahren,
denn die Soldaten belegen uns sofort mit Beschuss.
Wir benötigen dazu jeweils noch einen Krankenwagen des Roten Kreuzes...
...in Abstimmung mit den Kommandierenden des israelischen Militärs,
um eilig zu versuchen, Leben zu retten:
versucht Euch einmal vorzustellen, wie viel Zeit es kostet, dieses Vorgehen umzusetzen –
ein sicheres Todesurteil...
...für Verletzte, die dringend Transfusionen oder Erste Hilfe benötigen.
Umso schwieriger, weil das Rote Kreuz auch die ganze Zeit mit anderen Verletzten schwer beschäftigt ist,
sie könnten auf gar keinen Fall auf all unseren Nachfragen eingehen.
Es bleibt uns also wenig übrig, als im Krankenwagen darauf zu warten,
dass die Familien ihre sterbenden Angehörigen zu uns bringen, oftmals über die Schulter gelegt.
So war es auch heute Morgen gegen 5.30 Uhr,
als wir unseren Krankenwagen mitten auf einer Kreuzung mit laufendem Motor abstellten,
um einem der Angehörigen über Mobiltelefon unsere Position mitzuteilen.
Nach zehn Minuten nervenaufreibenden Wartens,
als der Fahrer schon den Gang einlegen wollte,
um zum nächsten Notfall zu eilen, sahen wir einen Karren voller Personen,
der von einem Esel gezogen um die Ecke kam und sich langsam auf uns zu bewegte.
Ein Paar mit seinen zwei Söhnchen.
Das beste Bild, um diesen „Nicht-Krieg“ zu beschreiben.
Dies ist in der Tat kein Krieg, weil sich keine zwei Mächte an einer Front gegenüberstehen:
es ist vielmehr eine einseitige Besetzung durch eine Militärmacht (Flugzeuge, Marine und Heer),
die zu den potentesten und mit Sicherheit zu den technisch am fortschrittlichsten ausgestatteten der Welt gehört,
welche einen armseligen Streifen Erde...
...von 360km2 angreift,
in dem sich die Bevölkerung noch auf Eseln fortbewegt und die über einen schlecht bewaffneten Widerstand verfügt
dessen einzige Macht darin liegt, bereit zu sein für jede Art von Martyrium.
Als der Karren sich genügend genähert hatte,
gingen wir ihnen entgegen und mit Entsetzen sahen wir seine grausige Ladung.
Eines der Kinder lag dort mit zerschmettertem Schädel, die Augen,
die buchstäblich aus den Höhlen getreten waren,
pendelten im Gesicht wie die Stiele einer Krabbe, es atmete noch, als wir es entgegennahmen.
Sein Bruder hingegen hatte einen offenen Brustkorb,
zwischen den Streifen zerrissenen Fleisches sah man deutlich die einzelnen weißen Rippen.
Die Mutter deckte mit ihren Händen den Brustkorb zu,
als ob sie reparieren wollte, was die Frucht ihrer Liebe hervorgebracht hatte,
und was der Hass eines anonymen Soldaten, der seinen Befehlen gehorchte,
für immer zerstört hatte.
Noch ein weiteres Verbrechen...
...und unser x-ter persönlicher Trauerfall.
Das israelische Militär nimmt weiterhin die Krankenwagen unter Beschuss.
Nach dem Tod des Arztes und des Krankenpflegers vor vier Tagen in Jabalia
erwischte es gestern unseren Freund Arafa Abed Al Dayem,
der 4 Kinder hinterlässt.
Gegen 8.30Uhr gestern früh erreichte uns ein Anruf aus Gaza Stadt,
zwei Zivilisten seien von einem Panzer aus mit Maschinengewehrfeuer niedergestreckt worden;
einer unserer Krankenwagen vom Roten Halbmond eilte zu der Stelle.
Arafa und ein Pfleger trugen die beiden Verletzten zum Wagen und schlossen die Türen,
um so schnell wie möglich zum Krankenhaus zu fahren,
als sie von einer Haubitze aus einem Panzer voll getroffen wurden.
Einer der beiden Verletzten wurde enthauptet und unser Freund starb auf der Stelle;
der Pfleger hatte gerade noch Glück ...
...und liegt nun in dem Krankenhaus, in dem er sonst arbeitet.
Arafa, der Grundschullehrer war, hatte sich als freiwilliger medizinischer Helfer angeboten, wenn Not am Mann war.
Unter dem Bombenhagel und in einer so riskanten Situation hatte sich niemand getraut, ihn anzurufen.
Arafa war von sich aus gekommen und arbeitete im vollen Bewusstsein der Risiken,
davon überzeugt, dass es außer seiner Familie noch andere Menschen gab,
die verteidigt und denen geholfen werden musste.
Uns fehlen seine Scherze,
sein unwiderstehlicher und ansteckender Sinn für Humor,
mit dem es ihm gelang, auch den deprimierendsten Situationen ihre dramatische Spitze zu nehmen.
Irgendwer muss dieses Blutbad stoppen;
ich habe in diesen Tagen Dinge gesehen,
Gerüche gerochen und pestartigen Gestank, von denen ich ...
...meinen eventuellen zukünftigen Kindern nur sehr schwer werde erzählen können.
Sich verlassen und einsam zu fühlen...
...ist genauso trostlos, wie ein Viertel in Gaza nach einem Luftangriff zu Gesicht zu bekommen.
Samstagabends riefen mich ...
...die Teilnehmer einer Demo aus Mailand an:
ich gab das Handy an die Ärzte und Krankenpfleger weiter, mit denen wir arbeiteten...
...und sah sie für einen Moment lang wieder Mut schöpfen.
Die Demonstrationen in aller Welt beweisen, dass da jemand ist, an den man glauben kann,
nur besitzen sie leider noch nicht die nötige Durchsetzungskraft,
um die westlichen Regierungen davon zu überzeugen,
die Verbrechen Israels zu unterbinden.
Unglaublich viele Frauen haben durch den Stress des Terrors Frühgeburten in diesen Tagen.
Ich habe allein drei zur Geburtsstation begleitet.
Eine von ihnen, Samira, im 7. Monat schwanger,
hat einen wunderschönen winzigen Sohn mit dem Namen Ahmed zur Welt gebracht.
Als ich mit ihr unterwegs war zum Krankenhaus in Auda...
...und im Rückspiegel die Szenen der Zerstörung und Tod sah,
wo wir eben noch die Leichen aufgesammelt hatten,
dachte ich für einen Moment, dass dieses neue Lebewesen ...
...ein glückliches Zeichen für eine Zukunft voller Frieden und Hoffnung sein könnte.
Diese Illusion zerstob mit der ersten neben uns einschlagenden Bombe...
...auf dem Rückweg von Auda in Richtung Jabalia.
Diese Mütter Courage setzen Kinder in die Welt,
deren erste Eindrücke aus nichts als dem Olivgrün der Militärs, der Panzer und der Jeeps...
....und den Blitzen der Bomben besteht.
Was für Erwachsene werden diese Kinder einmal werden?
Mensch bleiben.
6 Januar
al-Nakba
Ängstlich laufen sie umher mit dem Blick nach oben,
fixieren einen Himmel, der Angst und Schrecken über sie ausschüttet,
auf einer unter jedem Schritt bebenden Erde,
die plötzlich Krater bereit hält, wo vorher Häuser,
Schulen, Universität, Märkte und Krankenhäuser waren und für immer alles Leben begräbt.
Ich habe Karawanen von verzweifelten Palästinensern
auf der Flucht aus Jabalia gesehen, auch aus Beit Hanoun und den anderen Flüchtlingslagern im Gazastreifen,
die nun Zuflucht in den überfüllten Schulen der UN suchen, wie Erdbebenopfer.
Wie die Opfer eines Tsunami,
der täglich aufs Neue über den Gazastreifen und seine Zivilbevölkerung hereinstürzt:
ohne Mitleid, ohne irgendeine Rücksicht auf die Menschenrechte, die Genfer Konventionen sind nur noch Altpapier.
Und vor allem ohne dass irgendeine der westlichen Regierungen einen Finger krümmt, um dieses Massaker aufzuhalten,
medizinisches Personal herzuschicken und diesem Genozid, dessen sich Israel schuldig macht, ein Ende zu bereiten.
Die wahllosen Angriffe auf Krankenhäuser und medizinisches Personal werden täglich fortgesetzt.
Gestern, als ich das Al Awda in Jabalia verlassen hatte, erreichte mich ein Anruf von Alberto,
einem spanischen Genossen des ISM:
eine Bombe hatte das Krankenhaus getroffen.
Abu Mohammed, ein Krankenpfleger, wurde am Kopf schwer verletzt.
Ausgerechnet er, ein Kommunist, der mir kurz vor der Bombardierung
bei einem Kaffee von den heldenhaften Taten der Führer der Volksfront,
seinen Idolen, erzählte: George Habbash, Abu Ali Mustafa, Ahmad Al Sadat.
Die Augen hatten ihm geleuchtet, als ich ihm erzählt hatte,
dass mir die ersten Begriffe von der unendlichen Tragödie des palästinensischen Volkes...
...aus dem Munde meiner Eltern vermittelt worden waren
überzeugte Kommunisten auch sie.
Er hatte mich gefragt, wer die wahrhaft revolutionären Führer in Italiens linker Geschichte gewesen waren
und ich hatte mit Antonio Gramsci geantwortet.
Und die von heute? Ich hatte mir Zeit genommen für die Antwort, wollte sie ihm heute geben.
Nun liegt Abu Mohammed im Krankenhaus, wo er sonst arbeitet, im Koma
und erspart sich meine ernüchternde Antwort.
Gegen Mitternacht erreichte mich ein weiterer Anruf, dieses Mal von Eva.
Das Gebäude in dem sie sich befand, stand unter Beschuss.
Ich kenne dieses Gebäude im Herzen von Gaza Stadt sehr gut, denn es ist der Sitz der wichtigsten Medien
und ich habe gerade erst eine Nacht...
...dort zusammen mit einigen befreundeten palästinensischen Fotoreportern verbracht,
die versuchen mit Bildern und Texten
von der unnatürlichen Katastrophe zu berichten, die uns vor 10 Tagen ereilt hat.
Reuters, Fox news, Russia today und dutzende anderer lokaler und auswärtiger Agenturen
befinden sich unter Beschuss von sieben Raketen, abgefeuert aus einem israelischen Kampfhubschrauber.
Es gelang ihnen gerade noch, alle zu evakuieren, bevor es zu ernsthaften Verletzungen kommen konnte:
die Kameramänner, Fotografen und Reporter, im Augenblick überwiegend Palästinenser,
weil Israel den Zugang für internationale Journalisten gesperrt hat und niemand nach Gaza hinein kommt.
Es gibt um dieses Gebäude herum weder „strategische Ziele“,
noch den Widerstand gegen das Vorrücken der tödlichen gepanzerten israelischen Geländewagen,
der viel weiter im Norden stattfindet.
Offensichtlich kann irgendjemand in Tel Aviv...
...überhaupt nicht gut vertragen, dass die Bilder von Massakern unter Zivilisten...
...diejenigen der regelmäßig aufgefrischten briefings für die gedungene Journaille überlagern.
Mit Hilfe dieser Pressekonferenzen versuchen sie, die Welt davon zu überzeugen,
dass das Ziel ihrer Bomben ausschließlich die Terroristen der Hamas sind...
...und nicht die schrecklich verstümmelten Kinderleichen, die wir jeden Tag aus den Ruinen der Häuser ziehen.
In Zaytoun, ungefähr 10 Kilometer von Jabalia,
ist ein bombardiertes Gebäude über einer Familie eingestürzt, es gab ca. 20 Tote.
Die Helfer mussten einige Stunden warten, bevor sie sich dem Gebäude nähern konnten,
denn das Militär schoss unaufhörlich weiter.
Sie schießen auf die Ambulanzen und bombardieren die Krankenhäuser.
Vor wenigen Tagen hat in einem bekannten Mailänder Radiosender
eine israelische „Pazifistin“ mir vorbuchstabiert,
dass sich in diesem Krieg zwei Gegner gegenüberstehen, die jeder alle seine Waffen zum Einsatz bringen.
Ich lade Israel hiermit herzlich ein, uns eine seiner vielen geheimen Atombomben auf den Kopf zu werfen,
die sie allen atomaren Nichtverbreitungsverträgen zum Trotz angehäuft haben.
Sie sollten diese Endlösungsbombe auf uns werfen,
damit der unmenschlichen Agonie der tausenden von zerfetzten Körpern...
...in den überfüllten Gängen der Krankenhäuser ein Ende bereitet wird.
Gestern hab ich einige Schwarzweißaufnahmen der Eselskarren gemacht von einem Karren vollgestopft
mit winkenden Kindern, die ein weißes Tuch gen Himmel hielten und dabei blasse
und angstverzerrte Gesichter zeigten.
Als ich mir heute diese Bilder von Vertriebenen auf der Flucht noch einmal ansah,
lief mir eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Würde man die Bilder von gestern und diejenigen von 1948, die Zeugnis ablegen von al-Nabka, übereinander legen,
würden sie perfekt zusammenpassen.
Unter dem feigen Stillhalten der Staaten und Regierungen, die sich als demokratisch bezeichnen,
findet hier eine neue Katastrophe statt,
eine neue ethnische Säuberung, die das palästinensische Volk trifft.
Bis heute morgen werden 650 Tote, davon 153 Kinder, gezählt
dazu mehr als 3000 Verletzte und Dutzende Vermisster.
Die Zählung der Toten in Israel bleibt bis jetzt glücklicherweise bei vier stehen.
Nach dem heutigen Nachmittag muss die palästinensische Waagschale dramatisch aktualisiert werden,
denn das Heer hat damit begonnen, die Schulen der UN zu bombardieren.
Genau jene, welche die die tausenden von Evakuierten aufgenommen hatten,
die unter der dauernden Bedrohung eines Angriffs standen.
Sie haben sie aus den Flüchtlingscamps und den Dörfern vertrieben,
und somit ein bequemeres Ziel zu haben.
Heute wurden drei Schulen beschossen. Die letzte war die Al Fakhura in Jabalia,
die voll getroffen wurde. Mehr als 40 Tote.
In wenigen Momenten hat es Männer, Greise, Frauen und Kinder dahingerafft,
die sich hinter den blau gestrichenen Mauern mit dem UNO-Symbol in Sicherheit wähnten.
Nun zittern die 20 anderen UNO-Schulen.
Es gibt keine Fluchtmöglichkeiten in Gaza,
wir sind nicht im Libanon, wo die im Süden lebende Bevölkerung vor den israelischen Bomben
in den Norden fliehen kann oder nach Syrien und Jordanien.
Aus dem riesigen Gefängnis unter freiem Himmel, genannt Gaza, ist eine tödliche Falle geworden.
Man schaut sich verstört an und fragt sich,
ob sich der UN-Sicherheitsrat dieses Mal wohl...
...zu einer einstimmigen Verurteilung durchringen kann,
nachdem sogar seine Schulen unter Beschuss geraten.
Irgendjemand da draußen muss wirklich beschlossen haben,
hier eine Wüste zu hinterlassen - und das dann Frieden zu nennen.
Es erwartet uns eine lange Nacht im Krankenwagen,
auch wenn in dieser Region jedes morgen fraglich ist.
Die Verstärker der Handynetze sind im ganzen Gazastreifen zerstört worden,
wir haben aufgegeben sie zu zählen.
Ich hoffe, dass ich meine Freunde, die ich nun nicht mehr hören kann,
eines Tages wiedersehen werde, aber ich mache mir nichts vor.
Hier im Gazastreifen sind wir alle zu beweglichen Zielen geworden, niemand ausgeschlossen.
Eben hat mich das italienische Konsulat kontaktiert, sie werden morgen unsere letzte Mitbürgerin evakuieren:
eine alte Ordensschwester, die seit 20 Jahren in der Nähe der katholischen Kirche in Gaza lebt...
...und schon völlig von den Palästinensern im Gazastreifen akzeptiert war.
Der Konsul bat mich freundlich, diese letzte Gelegenheit wahrzunehmen
und mich der Schwester anzuschließen, um dieser Hölle zu entkommen.
Ich habe ihm für sein großzügiges Angebot gedankt, aber ich bewege mich nicht von hier fort, ich kann nicht.
Durch die Trauer, die wir hier durchlebt haben,
sind wir alle, ob Italiener, Spanier, Engländer oder Australier zu Palästinensern geworden.
Wenn wir alle nur für eine Minute so wären,
so wie viele von uns einst Juden waren während des Holocaust, wäre uns,
so glaube ich, dieses Massaker hier erspart geblieben.
Mensch bleiben
7 Januar
Steinschleudern gegen weiße Phosphorbomben
„Nimm junge Kätzchen, weiche Miezchen, und stecke sie in eine Schachtel“
sagt Jamal, der Chirurg des größten Krankenhauses in Gaza, Al Shifa, zu mir ,
während ein Pfleger direkt vor uns gerade tatsächlich ein paar blutbefleckte Kartons auf den Boden stellt.
„Versiegele den Karton gut und dann spring mit Deinem ganzen Gewicht
und aller Kraft auf den Karton,
bis Du die Knöchelchen knacken hörst und das letzte Miauen“
Entgeistert starre ich auf die Kartons, während der Arzt fortfährt
„versuche Dir jetzt vorzustellen, was nach der Sendung einer solchen Szene im Fernsehen los wäre,
die gerechterweise ungehaltenen Reaktionen der weltweiten öffentlichen Meinung,
die Anzeigen der Tierschützer....“
der Arzt erzählt immer weiter...
...und es will mir nicht für einen Moment gelingen, die Augen von den Kartons zu meinen Füßen abzuwenden.
„Israel hat hunderte von Zivilisten in eine Schule eingesperrt wie in eine Kiste,
Dutzende Kinder, und dann haben sie die Kiste zertreten mit der Kraft all ihrer Bomben.
Und was war die Reaktion der Weltöffentlichkeit?
Fast gar keine.
Es wäre besser gewesen, als Tier geboren zu werden, denn als Palästinenser;
dann wären wir geschützter gewesen“.
An diesem Punkt bückt sich der Arzt und öffnet die eine Kiste vor mir.
Darin sind zerfetze Glieder, Arme und Beine vom Knie abwärts...
...oder auch mitsamt Oberschenkeln, die den Verletzten der UN-Schule Al Fakhura in Jabalia amputiert werden mussten,
bislang hat es mehr als 50 Opfer gegeben.
Ich fingiere ein wichtiges Telefonat und verabschiede mich von Jamal,
in Wirklichkeit suche ich eine Toilette und übergebe mich.
Kurz vorher hatte ich eine Diskussion mit dem Augenarzt, Dr. Abdel,
über die seit Tagen unkontrollierbar im gesamten Gazastreifen zirkulierenden Gerüchte,
denen zufolge Israel uns mit einem Hagel aus nicht-konventionellen Waffen überziehen will,
die von der Genfer Konvention verboten sind.
Cluster bombs und Bomben aus weißem Phosphor.
Genau die gleichen, die das Heer der Tsahal schon im letzten Krieg gegen Libanon...
...und die USA in Fallujah verwendeten, immer unter Verletzung der internationalen Übereinkünfte und Regeln.
Vor dem Krankenhaus Al Awda werden wir Zeugen (und haben es auch gefilmt) des Einsatzes von Bomben mit weißem Phosphor,
die ca. 500m von uns herunterkommen; zu weit entfernt,
um erkennen zu können, ob sich Zivilisten unter den Apache-Hubschraubern aufhalten,
aber fürchterlich nah an uns.
Die Genfer Konventionen von 1980...
...sehen vor, dass weißer Phosphor in zivilen Kriegsbereichen nicht als Waffe gebraucht werden darf,
sondern ausschließlich als Raucherzeuger oder zur Illumination.
Ohne Zweifel ist es in jedem Fall und von vornherein ein Verbrechen,
solche Waffen über Gaza zu verwenden, einem Streifen Erde, in dem sich
die höchste Bevölkerungsdichte weltweit befindet.
Dr. Abdel berichtete mir, dass im Krankenhaus Al Shifa...
...nicht genügend militärische und medizinische Kompetenzen...
zur Verfügung stünden, um zu verstehen, ob die Wunden einige der untersuchten Leichen
von illegalen Waffen hervorgerufen wurden.
Nach dem, was er sagt, hat er in 20 Jahren Berufsleben...
...nie zuvor Leichen wie diese gesehen, die in den letzten Stunden gebracht werden.
Er erklärt mir Schädeltraumata,
Brüche des Pflugscharbeins, der Kiefer, des Jochbeins, des Tränenbeins, der Nase und des Rachens,
die darauf deuten würden, dass eine große Gewalt auf das Gesicht des Opfers eingewirkt hat.
Was aus seiner Sicht jedoch völlig unerklärbar bleibt, ist das absolute Fehlen der Augäpfel,
die auch bei vergleichbaren Traumata an ihrer Stelle hätten bleiben müssen, zumindest in Spuren innerhalb des Schädels.
Stattdessen werden in den palästinensischen Krankenhäusern nun Leichen ohne Augen eingeliefert,
als wenn jemand sie vor der Ablieferung beim Gerichtsmediziner chirurgisch entfernt hätte.
Israel hat uns wissen lassen, dass es heute eine großzügige Feuerpause an drei aufeinanderfolgenden Stunden geben wird,
von 13 bis
Diese Verlautbarungen der israelischen Militärspitzen
werden von der palästinensischen Bevölkerung mit dem gleichen Vertrauen aufgenommen
wie jene der Führer der Hamas, wenn sie Erklärungen abgeben
zu den vernichtenden Schlägen gegen israelische Soldaten, diem sie ausgeführt haben wollen.
Nur zur Verdeutlichung: der größte Feind der Soldaten aus Tel Aviv sind die Krieger unter dem Davidsstern selbst.
Gestern hatte ein Kriegsschiff vor dem Hafen von Gaza
eine Gruppe schwerbewaffneter Krieger des palästinensischen Widerstandes ausgemacht,
die sich in einem Pulk um Jabalia bewegten,
und das Feuer auf sie eröffnet.
Es handelte sich aber um ihre eigenen Mitkämpfer und das Resultat waren demnach drei tote israelische Soldaten...
...und um die
An die fahnenschwingenden aber vorgetäuschten Waffenstillstände glaubt hier sowieso keiner mehr,
und tatsächlich wurde heute um 14 Uhr Rafah von der Luftwaffe beschossen
und in Jabalia gab es das x-te Blutbad unter Kindern:
drei Schwesterchen der Familie Abed Rabuh...
...von 2, 4 und 6 Jahren.
Eine halbe Stunde vorher, ebenfalls in Jabalia,
waren unsere Krankenwagen erneut unter Beschuss genommen worden.
Eva und Alberto, meine Freunde von der ISM,
die auch mit im Wagen waren, haben den Vorfall auf Video dokumentiert
und das Film- und Fotomaterial sofort an die wichtigsten Medien weitergeleitet.
Die israelischen Heckenschützen trafen Hassan in ein Bein, der noch immer in Trauer ist um seinen besten Freund, Araf,
den vor zwei Tagen während der Ersthilfe an Verletzten in Gaza Stadt erschossenen Arzthelfer.
Meine Genossen in dem Krankenwagen des Roten Halbmondes hatten angehalten, um den Körper eines zu Tode Verletzten...
...von der Straße aufzulesen, als sie von etwa zehn Schüssen getroffen wurden.
Eine Kugel traf Hassan ins Bein, die anderen haben den Krankenwagen durchlöchert.
Als wir mit einem der letzten Taxis,
das im Zickzack auf halsbrecherische Art den Bomben dieses Schützenfestes auswich,
auf dem Weg in das Krankenhaus Al Quds waren,
sah ich am Straßenrand eine Gruppe verschmutzter Jugendlicher in zusammengeflickten Klamotten stehen,
wie sie die Schuhputzer nach dem Krieg bei uns in Italien trugen.
Mit Steinschleudern schossen sie Steine in den Himmel in Richtung
eines zu weit entfernten und unerreichbaren Feindes, der mit ihrem Leben ein übles Spiel treibt.
Eine verrückte Metapher, die eine Momentaufnahme der Absurdität dieser Zeiten und dieser Region abgibt.
Mensch bleiben.
8 Januar
„Ich werde mein Land nicht verlassen!“
Zahncreme, Zahnbürste, Rasierklingen und Rasierschaum.
Die Kleidung, die ich trage, der Hustensirup gegen den Husten, der mich seit Wochen quält
die Zigaretten für Ahmed, der Tabak für meine Nargileh.
Mein Handy, der Laptop, auf dem ich wie ein Irrer tippe, um Zeugnis abzulegen von der Hölle um mich herum.
Alles Notwendige für ein bescheidenes und menschenwürdiges Leben in Gaza kommt aus Ägypten
und gelangt in die Regale der Läden durch die Tunnel.
Dieselben Tunnel, die von den F-16 Jagdbombern in den letzten 12 Stunden massiv bombardiert wurden,
wobei tausende der Häuser von Rafah nahe der Grenze zerstört worden sind.
Vor ein paar Monaten ließ ich mir drei übel zugerichtete Zähne reparieren;
ich entsinne mich, meinen palästinensischen Zahnarzt am Ende der Behandlung gefragt zu haben,
woher er es ihm gelang das ganze zahntechnische Material herzubekommen,
wie Betäubungsmittel, Spritzen, Keramikkronen und die Werkzeuge.
Duckmäuserisch machte mein Zahnarzt mit der Hand eine Bewegung: von unter der Erde.
Es gibt keinerlei Zweifel, dass durch die unterirdischen Gänge unter Rafah auch Waffen und Munition transportiert wurden,
die heute vom Widerstand eingesetzt werden, um das Vorrücken der gefürchteten israelischen Panzerwagen zu bremsen,
aber sie stehen in keinem Verhältnis zu den Tonnen über Tonnen an Lebensmitteln und Konsumgütern,
die in ein kriminell besetztes und zum Hunger verurteiltes Gaza einströmten.
Im Internet ist es ein Leichtes, sich Fotos anzuschauen,
die dokumentieren, wie sogar Vieh mithilfe der Tunnel über die ägyptische Grenze gelangen konnte.
Ziegen und Rinder wurden in Schlaf versetzt und dann mit Seilen in ägyptische Brunnen herabgelassen
um auf dieser Seite wieder aufzutauchen und den Gazastreifen mit Milch, Käse und Fleisch zu versorgen.
Auch die großen Krankenhäuser versorgen sich aus diesen Kanälen.
Die Tunnel waren für die palästinensische Bevölkerung die einzige Möglichkeit, die Belagerung zu überleben:
eine Belagerung, die schon vor den Bombardierungen eine Arbeitslosenquote von 60% hervorgerufen hatte
und die 80% der Bevölkerung dazu zwang, von humanitären Hilfsgütern zu leben.
Unsere Genossen der ISM in Rafah beschrieben uns den hundertsten Exodus, dessen Zeugen sie gerade wurden.
Karawanen voller Verzweifelter,
die auf kleinen Eselskarren
und allen nur denkbaren Transportmöglichkeiten ihre Häuser an der ägyptischen Grenze verlassen.
Eine Wiederholung des schon Gesehenen,
nachdem in den vorangegangenen Tagen Flugblätter vom Himmel gefallen waren,
die zur Räumung aufforderten;
Israel erfüllt seine Drohungen immer, schon fallen die Bomben.
Die Evakuierten von heute werden die Nacht bei der Familie, Freunden oder Bekannten in Gaza verbringen.
Nach dem Massaker von Jabalia traut sich keiner mehr in die UN-Schulen.
Sehr viele sind aber gar nicht erst weggegangen, weil sie keinen Zufluchtsort haben, an den sie gehen könnten.
Sie werden die Nacht damit zubringen, einen Gott darum zu bitten, ihnen das Leben zu lassen,
in Anbetracht der Tatsache, dass kein Mensch sich für ihre Existenz zu interessieren scheint.
Bis jetzt sind 768 Palästinenser gestorben, 3129 verletzt worden und 219 Kinder getötet.
Die Zählung der toten Zivilisten in Israel liegt glücklicherweise immer noch bei nur vier.
In Zaytoun, dem Viertel im Osten von Gaza Stadt, konnten die Krankenwagen des roten Kreuzes
erst nach Stunden zu dem Ort eines Gemetzels vordringen,
indem sie sich mit den israelischen Militärspitzen absprachen.
Als sie endlich ankamen, fanden sie 17 Leichen und zehn Verwundete,
alle von derselben Familie, Al Samouni.
Eine perfekte Hinrichtung:
in den Leichen der Kinder konnte man sehr gut erkennen,
dass sie nicht durch herumfliegende Splitter, sondern von Geschossen getroffen worden waren.
Die letzten beiden Nächte im Krankenhaus von Gaza Stadt waren ruhiger als gewöhnlich,
wir mussten nur bei einigen Dutzend Verletzten Hilfe leisten, nicht bei Hunderten.
Offensichtlich hatte das israelische Heer mit dem Massaker der UN-Schule Al Fakhura
sein wöchentliches Kontingent an toten Zivilisten schon ausgeschöpft,
die es seiner Regierung angesichts der bevorstehenden Wahlen vorlegen muss.
Wir haben das starke Gefühl, dass sie schon heute Nacht die Leichenschauhäuser wieder zum Überquellen bringen werden.
Unter voller Sirene fahren wir weiter Schwangere ins Krankenhaus, die zu früh niederkommen.
Es ist, als wenn die Natur, die Erhaltung der Art
diese Mütter Courage dazu aufforderten, die Geburt ihrer Kinder vorzuziehen
um die ständig wachsende Zahl der Toten auszugleichen.
Wenn sie überleben, übertönt das erste Wimmern dieser Neugeborenen
für einen Augenblick das Donnern der Bomben.
Leila, eine Genossin des ISM, bat die Kinder unserer Nachbarn im Haus,
ihre Gedanken zu der entsetzlichen gegenwärtigen Katastrophe aufzuschreiben.
Hier sind einige Auszüge aus ihren Aufsätzen, die Schrecken des Krieges mit einem reinen und unschuldigen Blick gesehen,
dem der Kinder von Gaza.
Suzanne,
“Das Leben in Gaza ist sehr schwierig. In Wirklichkeit kann man nicht alles beschreiben.
Wir können nicht schlafen, wir können nicht in die Schule gehen oder lernen.
Wir haben viele Gefühle, manchmal Angst
und wir machen uns Sorgen, weil die Flugzeuge und Schiffe 24 Stunden am Tag schießen.
Manchmal langweilen wir uns auch, wenn in der Schule kein Licht ist und nur am Abend haben wir 4 Stunden lang Strom;
dann schauen wir die Nachrichten im Fernseher an.
Da sehen wir viele Kinder und Frauen, die verletzt oder tot sind. So erleben wir die Belagerung und den Krieg“.
Fatma, 13 Jahre:
„Das war die schlimmste Woche in meinem ganzen Leben.
Am ersten Tag waren wir in der Schule und hatten unsere Prüfung für die ersten drei Monate,
dann begannen die Explosionen und viele Schüler wurden getötet oder verletzt
und von den anderen hat sicher jeder einen Verwandten oder Nachbarn verloren.
Es gibt keinen Strom, kein Essen und kein Brot.
Was können wir tun, es kommt durch die Israelis!
In der ganzen Welt wird das neue Jahr gefeiert, wir feiern es auch, aber auf andere Art und Weise“.
Sara, 11 Jahre:
„ Gaza lebt unter einer Blockade, es ist wie ein großes Gefängnis: kein Wasser, kein Strom.
Die Leute haben Angst und schlafen nachts nicht und jeden Tag werden neue Personen ermordet.
Bis jetzt gibt es mehr als 700 Tote und mehr als 3000 Verletzte.
Und die Schüler schrieben gerade ihre Vierteljahres-Examen,
da hat Israel die Schulen getroffen, das Kultusministerium und viele andere Ministerien.
Jeden Tag fragen die Leute, wann es vorbei sein wird
und warten auf mehr Schiffe mit Aktivisten wie Vittorio und Leila“.
Darween,
„Ich bin ein palästinensisches Mädchen und werde mein Land nicht verlassen;
so werde ich viele Vorteile haben, weil ich mein Land nicht verlassen werde
und ich kann die Raketen hören, also werde ich mein Land nicht verlassen“.
Meriam ist 4 Jahre alt
und ihre Brüder haben sie gefragt: „Was fühlst Du, wenn Du die Raketen hörst?“
Sie hat geantwortet: „Ich habe Angst!“,
und sofort ist sie zu ihrem Papa gerannt um sich hinter seinen Beinen zu verstecken.
Gaza ist seit zehn Tagen eingehüllt in traurige Dunkelheit,
nur in den Krankenhäusern ist es uns gestattet die Laptops und Handys aufzuladen
und zusammen mit den Ärzten und Arzthelfern fernzusehen, während wir auf den nächsten Einsatz warten.
In der Ferne hören wir das Donnern der Bomben, wenige Minuten später geben die arabischen Satellitenmedien genau bekannt,
wo die Explosionen stattgefunden haben.
Oft sehen wir auf dem Bildschirm,
wie Leichen aus den Ruinen gezogen werden – als wenn es nicht genug gewesen wäre, das alles live zu sehen.
Gestern beim Zappen mit der Fernbedienung landete ich plötzlich bei einem israelischen Fernsehsender.
Sie zeigten ein Festival der traditionellen israelischen Musik mit vielen Tänzerinnen in knapper Kleidung und Feuerwerk am Ende.
Wir kehrten zurück zu unserem Horror, nicht dem auf dem Bildschirm, sondern dem in den Krankenwagen.
Israel hat jedes Recht zu lachen und zu singen, auch wenn es gerade seinen Nachbarn massakriert.
Die Palästinenser wünschen sich nur, auf eine andere Art zu sterben,
zum Beispiel an Altersschwäche.
Mensch bleiben.
9 Januar
Sie haben Hippokrates umgebracht
In Gaza hat ein Erschießungskommando
Hippokrates an die Wand gestellt, gezielt und gefeuert.
Die haarsträubenden Erklärungen eines Sprechers der israelischen Geheimdienste,
denen zufolge das Heer grünes Licht bekam auf die Krankenwagen zu schießen,
weil angenommen werden musste, das auch Mitglieder des palästinensischen Widerstands in ihnen transportiert würden,
wirft ein bezeichnendes Licht darauf, welchen Wert ein Menschenleben für die Israelis hat
– das Leben eines Feindes, wohlgemerkt.
Es ist die Mühe wert,
sich den Eid des Hippokrates in Erinnerung zu rufen,
den jeder Mediziner leisten muss,
bevor er beginnt, seinen Beruf auszuüben,
insbesondere den folgenden Absatz:
„Im Bewusstsein der Wichtigkeit und Feierlichkeit der Handlung, die ich hier vollziehe und der Aufgabe, die ich übernehme, schwöre ich:
die Kunst der Medizin auszuüben in Freiheit und Unabhängigkeit von Ansichten und Verhalten;
meine Patienten mit derselben Gewissenhaftigkeit und demselben Einsatz zu behandeln,
unabhängig von Empfindungen, die sie in mir auslösen aufgrund jeden Unterschiedes von Rasse,
Religion, Nationalität, sozialer Herkunft und politischer Ideologie“.
Neun Mitglieder der weißen Zunft sind seit Beginn der Bombardierungen ums Leben gekommen,
ungefähr zehn Krankenwagen wurden von der israelischen Artillerie beschossen.
Die Überlebenden zittern vor Angst,
ziehen sich jedoch nicht zurück.
Die karmesinroten Blinklichter der Krankenwagen
sind die einzigen Lichtblitze, die man zurzeit in den dunklen Nächten in Gaza wahrnehmen kann,
von den Blitzen einmal abgesehen, die den Explosionen vorausgehen.
Pierre Wettach, der Leiter des Roten Kreuzes Gaza, prangerte an:
im Osten von Gaza Stadt in Zaytoun hatten seine Krankenwagen
erst 24 Stunden nach dem israelischen Angriff den Zutritt zu dem Ort des Massakers erhalten.
Die Helfer erläuterten,
welch grauenhaftes Szenario sich ihren Augen bot:
„In einem der Häuser waren vier kleine Kinder neben den leblosen Körpern ihrer Mütter.
Sie waren zu geschwächt, um sich auf den Beinen halten zu können.
Auch ein anderer Mann wurde noch lebend gefunden, war aber auch zu schwach, um auf seinen Beinen zu stehen.
Insgesamt fanden wir 12 Körper auf den Matratzen liegend“.
Die Zeugen dieses hundertsten Gemetzels erzählen, wie die israelischen Soldaten,
nachdem sie in das Viertel eingedrungen waren,
die etwa zehn Mitglieder der Familie Al Samouni in ein Gebäude zusammengepfercht
und es daraufhin wiederholt mit Bomben beschossen hatten.
Seit Tagen werden meine Genossen von der ISM und ich vielfach angegriffen,
wenn wir mit den Krankenwagen des Roten Halbmondes unterwegs sind.
Dabei ist es unsere Pflicht, die Kranken und Verletzten einzusammeln, nicht jedoch Kämpfende im Krankenwagen mitzunehmen.
Und wenn wir am Straßenrand jemanden blutüberströmt auflesen,
hat niemand die Zeit, seine Dokumente zu prüfen oder ihn zu fragen, ob er mit der Hamas oder der Fatah sympathisiert.
Auch antworten Verletzte und Tote so gut wie nie auf Fragen.
Als wir vor ein paar Tagen
einen Schwerverletzten einluden,
versuchte gleichzeitig ein anderer Mann in den Krankenwagen einzusteigen, der erkennbar nur sehr leicht oder kaum verletzt war.
Wir drängten ihn aus dem Krankenwagen,
um den Spionen am Himmel eindeutig klarzumachen,
dass wir nicht als Taxi zum Transport der Mitglieder des Widerstands dienen.
In Gaza City im Al Quds Krankenhaus tauchte in der vergangenen Nacht Miriam auf,
ein 17jähriges, von Wehen gequältes Mädchen.
Am Morgen vorher wurden im selben Krankenhaus die Leichen ihres Vaters und ihrer Schwägerin abgeliefert,
die ebenfalls Opfer einer der vielen wahllosen Bombardierungen von Zivilisten geworden waren.
In dieser Nacht schenkte Miriam einem schönen Kind das Leben,
sich der Tatsache unbewusst,
dass, während sie im Kreissaal lag,
einen Stock tiefer auch ihr junger Ehemann eingetroffen war - in der Leichenhalle.
Am Ende
hat sogar die UNO gemerkt, dass
hier in Gaza alle auf demselben Präsentierteller leben
und jederzeit ein bewegliches Ziel für die Heckenschützen darstellen.
Wir sind bei einer Zählung von
3300 Verletzte,
davon schweben 410 in Lebensgefahr,
230 getötete Kinder und nach wie vor viele Dutzende Vermisste und Versprengte.
Die israelischen zivilen Kriegsopfer
sind immer noch nur
Durch den Sprecher der UNRWA (Vertretung der UNO für die palästinensischen Flüchtlinge) John Ging
haben die Vereinten Nationen die Aussetzung
ihrer humanitären Hilfen für den Gazastreifen angekündigt.
Ich habe Ging in den Büros der Nachrichtenagentur Ramattan getroffen,
wo er erzürnt seinen Zeigefinger anklagend gegen Israel in die Fernsehkameras hielt.
Die UNO stellt ihre Aktivitäten in Gaza ein, nachdem gestern zwei ihrer Mitarbeiter umgebracht wurden,
die Ironie des Schicksals wollte, dass das ausgerechnet
in der wie üblich angekündigten dreistündigen Feuerpause passierte, die Israel nicht respektierte.
„Die Zivilbevölkerung in Gaza hat täglich 3 Stunden Zeit zum Überleben,
die restlichen 21 Stunden stehen den israelischen Soldaten zur Verfügung,
um sie auszurotten“
das habe ich Ging zwei *** von mir entfernt aussprechen gehört.
Aus Jerusalem schreibt mir Yasmine,
die Frau eines der vielen Journalisten, die am Grenzübergang in Erez Schlange stehen
in Erwartung eines Passierscheines, der weiterhin von Israel verweigert wird.
Es ist verboten, von diesem Massaker aus dem Land heraus zu berichten.
Dies sind ihre Worte:
„Vorgestern fuhr ich hin, um mir Gaza von außen anzusehen.
Die Journalisten aus aller Welt sind ein auf einem Sandhügelchen zusammengedrängt,
ein paar Kilometer von der Grenze.
Dutzende von Fernsehkameras sind auf Euch gerichtet.
Man hört Flugzeuge über uns fliegen, die man jedoch nicht sehen kann,
sie scheinen eine mentale Illusion
bis man den schwarzen Rauch am Horizont aufsteigen sieht.
Der Hügel ist auch eine Art Touristenattraktion geworden für die Israelis aus der Umgebung.
Mit starken Ferngläsern und Fotoapparaten ausgestattet
kommen sie, um die Bombardierungen live zu erleben“.
Während ich diese Korrespondenz abtippe,
schlägt im Nachbargebäude eine Bombe ein.
Die Fensterscheiben zittern, die Trommelfelle schmerzen,
ich gehe zum Fenster und sehe, dass sie das Gebäude getroffen haben,
in dem die wichtigsten arabischen Medien konzentriert sind.
Es ist eines der höchsten Gebäude in Gaza Stadt,
der Al Jaawhara Building.
Auf dem Dach befindet sich ständig ein Kamerateam,
ich sehe wie sie sich am Boden winden und mit den Armen
nach Hilfe winken, eingehüllt in schwarzen Rauch.
Arzthelfer und Journalist sind die heldenmütigsten Berufe in diesem Zipfel der Welt.
Gestern hab ich im Al Shifa Krankenhaus Tamim besucht,
einen Reporter, der einen Luftangriff überlebt hat.
Er erklärte mir, wie seiner Meinung nach Israel dieselben
terroristischen Methoden und Techniken anwendet, wie Al Qaida:
erst wird ein Gebäude bombardiert,
dann wartet man das Eintreffen der Krankenwagen und Journalisten ab,
und dann wird noch ein Bombe geworfen,
die auch die zuletzt eingetroffenen noch massakriert.
Nach seinem Dafürhalten ist dies der Grund
für die vielen Opfer unter medizinischem Personal und Journalisten;
die umstehenden Krankenpfleger nicken mit den Köpfen Zustimmung.
Lachend zeigte er mir seine Beinstümpfe.
Er hat zwar die Beine verloren, aber nicht das Leben,
wie sein Kollege Mohammed,
der von einer zweiten Bombe getötet wurde, während er fotografierte.
In der Zwischenzeit hab ich erste Informationen gesammelt: durch die gerade gefallene Bombe im Nachbargebäude sind
zwei Journalisten verletzt worden, beide Palästinenser,
der eine vom Libyan TV der andere von Dubai Television.
Ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl von denen, die fordern,
dass von diesem Massaker an der Zivilbevölkerung in keiner Weise berichtet wird.
Ich kann nur noch hoffen,
dass in der Zentrale der israelischen Militärführung
niemand 'Il Manifesto' liest
und auch niemand dort meinen Blog besucht.
Mensch bleiben.
10 Januar
Totale Zerstörung: Achtung Bauarbeiten!
Einige palästinensische Familien haben uns Flugblätter ausgehändigt, die in den letzten Tagen vom Himmel fielen,
anstelle von Bomben abgeworfen von der israelischen Luftwaffe.
Flugblatt Nr.1, aus dem Arabischen übersetzt:
„An alle in diesem Gebiet ansässigen Personen.
Auf Grund der terroristischen Aktionen, mit denen die in Ihrer Gegend lebenden Terroristen Israel angreifen,
sehen sich die israelischen Verteidigungskräfte Gezwungen, sofort zu reagieren und auch in Ihrer Gegend aktiv zu werden.
Wir fordern Sie zu Ihrer Sicherheit auf, das Gebiet sofort zu verlassen.
Die Israelischen Verteidigungskräfte“.
In der Praxis gehen die israelischen Soldaten von Haus zu Haus und hängen Schilder an die Haustüren „Achtung Bauarbeiten!“,
bevor sie ganze Viertel ausradieren...
...und Lebensentwürfe für jetzt und immer beenden.
Unter Tonnen von Schutt begraben auch diejenigen, die keinen Ort zum Auswandern haben.
Vor kurzem haben sie uns den Abwurf neuer Flugblätter gemeldet,
auf denen der „Beginn der dritten Phase des Kriegs gegen den Terrorismus“ angekündigt wird.
Sie sind wirklich höflich, diese israelischen Soldaten;
sie bitten die Bevölkerung in Gaza erst um Mithilfe, bevor sie sie zertreten wie Insekten.
Wenn die Flugblätter nicht überzeugend genug wirken,
übernimmt die Luftwaffe das „sanfte“ Anklopfen an die Dächer der Häuser in Gaza.
Es gibt eine neue Vorgehensweise in den letzten Tagen,
die herunterregnenden Bomben sind ein kleines bisschen weniger zerstörerisch,
immer noch genug, um die Dächer der Häuser abzudecken und die Bevölkerung zur Evakuierung einzuladen.
Nach zwei bis drei Minuten kommen sie noch einmal und dann bleibt nichts mehr von einem Gebäude übrig.
Evakuieren, aber wohin?
Es gibt keine sicheren Orte im ganzen Gazastreifen,
ich persönlich habe immer mehr Angst um mein Leben,
wenn ich im Krankenwagen unterwegs bin oder wenn ich an einer Schule oder einer Moschee vorbeilaufe
als vor einem der Regierungsgebäude, die noch stehen.
Gestern Nacht, in 20 Metern Entfernung von meinem Haus,
haben die Israelis die Feuerwache zerstört.
Heute habe ich entdeckt, dass die Straße parallel zum Hafen 3m tiefe Krater hat,
als ob es Meteoriten geregnet hätte wie in einem Science Fiction Film.
Der Unterschied besteht darin, dass die Spezialeffekte hier richtig weh tun.
Wenn man in den Gängen des Al Shifa Krankenhauses unterwegs ist, die von Verletzten Wartenden überfüllt sind,
kann einem ein Mediziner begegnen, der unverkennbar kein arabisches Äußeres hat:
das ist Mads Gilbert, ein Norweger der NGO Norwac.
Gilbert ist Anästhesist und bestätigt den Verdacht des Einsatzes von verbotenen Waffen von Israel
gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen:
„Viele der Verletzten treffen mit schwersten Amputationen ein, mit beiden völlig zermalmten Beinen;
ich vermute, dass diese Art der Verletzungen nur durch DIME-Munition hervorgerufen werden kann“.
Dense Inert Metal Explosive ist eine neuartige Bombe,
konzipiert für den innerstädtischen Kampf und soll den größtmöglichen Schaden am beschossenen Ziel verursachen.
Darüber hinaus zeigt Navi Pillay, Hochkommissar für Menschenrechte der UNO,
„schwerste Menschenrechtsverletzungen, die Kriegsverbrechen darstellen können“ an.
Das letzte dieser Verbrechen fand vor wenigen Stunden im Osten von Jabalia statt:
die Familie von Abed Rabbu war zum Einkaufen...
...von Lebensmitteln in einem der letzten noch geöffneten kleinen Lädchen,
als dieses bombardiert wurde: acht Todesopfer, zehn Schwerverletzte.
Der generelle Eindruck ist der, dass Israel es langsam angehen lässt,
die Bomben fallen in stetigem Rhythmus und die Bodentruppen rücken nur langsam vor.
Die Soldaten haben keine Probleme, sich die K-Rationen zu beschaffen, die militärischen Nahrungsrationen,
ganz im Gegensatz zu den Leuten in Gaza, die nicht einmal mehr Brot finden.
Nachdem den Bäckern die Grundrohstoffe ausgehen,
haben sie nun damit begonnen, Mehl mit Tierfutterge-treide zu mischen, um daraus Brotlaibe zu formen.
Brot aus der Produktion der vorangegangenen Wochen, grün von Schimmel.
Über einem kleinen Feuer aus Holzresten aufgewärmt ist es,
das sei versichert, keine wirkliche Delikatesse.
Israel verbreitet weiterhin Luftaufnahmen, insbesondere über das Internet,
die zu beweisen vorgeben wie genau und gezielt
die Angriffe auf „Terroristen“ oder hypothetische Waffen- und Sprengstofflager sind.
Die sehr hohe Zahl an Zivilopfern allein reicht aus, um diese Videos zu widerlegen.
Ich frage mich, wie Israel sich selbst als zivil und demokratisch definieren kann,
wenn, um einen Feind aufzustöbern und zu töten, der sich in einem Wohngebäude versteckt hat,
das israelische Heer keinen Moment zögert das gesamte Gebäude niederzureißen und dutzende Unschuldiger darunter zu begraben.
Denkt einmal für einen Augenblick nach; es wäre so, als ob das italienische Heer damit begönne,
das Zentrum von Palermo unter schweren Beschuss zu nehmen, um dort einen gefährlichen Mafiaboss zu erwischen.
Während ich die schreibe werden 821 tote Palästinenser gezählt,
93 davon Frauen,
12 Krankenpfleger bei der Erfüllung ihrer Pflicht, drei Journalisten. Wohl 3350 Verletzte,
davon mehr als die Hälfte Minderjährige.
Den Angaben des Mezan-Zentrums für Menschenrechte zufolge, das für seine Verlässlichkeit bekannt ist,
beträgt der Anteil an zivilen palästinensischen Todesopfern 85% der Gesamtsumme der Toten.
Die Zählung der zivilen israelischen Opfer liegt glücklicherweise nach wie vor stabil bei 4.
Wenn es die Vereinten Nationen nicht schaffen, die Zivilbevölkerung...
...vor den massiven Verletzungen der internationalen humanitären Verpflichtungen durch Israel zu schützen,
werden es meine Freunde vom Free Gaza Movement versuchen, die in ein paar Tagen bereit sein werden zur Einschiffung
in den Gazastreifen.
Sie sind Ärzte, Krankenpfleger und Menschenrechtsaktivisten,
deren erklärte moralische Pflicht darin besteht,
alles Menschenmögliche zu unternehmen, um für einige Maßnahmen des Schutzes zu sorgen.
Sie hatten schon am Dienstag den 31. Dezember versucht, von Bord der „Dignity“ hier an Land zu gehen,
aber die israelische Marine hatte unser Schiff in internationalem Gewässer gerammt und versucht zu versenken,
was im Anschluss als „Unfall“ bekannt gegeben worden war.
Ich werde meine Freunde und ihre Fracht aus humanitären Hilfsgütern in den Trümmern dessen, was vom Hafen noch übrig ist,
erwarten und hoffe sehr, dass sich nicht wieder in den internationalen Gewässern irgendwelche „Unfälle“ ereignen.
Das zweite von uns übersetzte Flugblatt, das vom Himmel regnete, ist ein wahres Bonbon:
„An die Bürger von Gaza. Ergreift die Verantwortung für Euer Schicksal!
Die Terroristen in Gaza und jene, die Raketen auf Israel schießen, stellen eine Bedrohung für Euer Leben...
...und das Eurer Familien dar.
Alles was Ihr tun müsst, wenn Ihr Eurer Familie und Euren Brüdern in Gaza helfen wollt,
ist die untenstehende Telefonnummer anzurufen und uns Informationen über die Aufenthaltsorte zu geben,
an denen sich die Verantwortlichen für die Raketenabschüsse...
...sowie die terroristischen Milizen befinden, die Euch zu den ersten Opfern ihrer Gefechte machen.
Eure Verantwortung ist jetzt, die Ausführung dieser Gräueltaten zu verhindern.
Zögert nicht! Totale Diskretion wird garantiert.
Unter der folgenden Nummer könnt Ihr uns kontaktieren...
Oder Ihr schreibt uns an diese E-Mail Adresse;
dort könnt Ihr uns jede Information, die Ihr über jegliche terroristische Aktivität habt, mitteilen“.
Ich fordere alle jene auf, die mir schreiben, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen, ihre Entrüstung...
...über die Tragödie, die wir erleiden, weiterhin zu demonstrieren und eine Lanze für die Menschenrechte zu brechen.
Solltet ihr dann noch fünf Minuten Zeit und eine Telefonmünze ha- ben,
könnten die Hinweise aus dem letzten Flugblatt für Euch hilfreich sein, wenn Ihr denen Eure Meinung sagen wollt,
die aus der Luft, vom Meer und vom Boden aus zynisch über das Schicksal von 1,5 Millionen Personen entscheiden.
Nie wird eine Telefonmünze richtiger investiert worden sein.
Jene 235 Kinder getötet euch das fragen.
Mensch bleiben.
13 Januar
Geier und Kopfgeldjäger
Vom Meer aus versuchen wir immer noch, einen Rettungskorridor zu bauen,
eine Bresche zu schlagen zu dieser gequälten Erde, beschlagnahmt und eingekerkert, auf jedem Quadratmeter vergewaltigt,
reduziert auf einen Friedhof für Leichen, die keine Ruhe finden.
Tatsächlich sind seit ein paar Tagen...
...auch die Beerdigungen zum Ziel der israelischen Luftangriffe geworden,
als ob die Palästinenser auch nach dem Tod noch eine Bestrafung verdienten.
Wenn es überhaupt noch einen humanitären Korridor gibt,
über den dieser völlig entkräfteten Bevölkerung zu Hilfe zu kommen ist,
dann durch die „Spirit of Humanity“,
einem unserer Boote unter der Flagge des Free Gaza Movement.
Nachdem es heute aus Larnaca in Zypern ausgelaufen ist,
wird es versuchen, im Hafen von Gaza nicht nur Tonnen von Medikamenten,
ondern auch ca. 40 Mediziner, Krankenpfleger, Journalisten,
Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Menschenrechtsaktivisten
an Land zu bringen, insgesamt Vertreter von 17 verschiedenen Nationen.
Menschen von wahrem Humanismus,
so wie die Vielen in Italien, die mir ihre Empörung bezeugen,
bereit lieber ihr Leben zu riskieren,
als zu Hause in der guten Stube immerfort ...
...die kleinen Bruchstücke an Information vorgesetzt zu bekommen,
die nur den kleinsten Teil des Gemetzels zeigen, dem wir hier zum Opfer fallen.
Am 29. Dezember...
...hatten es meine Freunde schon mit der „Dignity“ versucht:
sie wurden von der israelischen Marine angegriffen und beinahe versenkt;
nachdem sie ein SOS ausgesendet hatten, konnten sie sich im Libanon an Land retten
mit einer Motorhavarie und einem Leck im Bootsrumpf.
Aus bloßem Zufall wurde bei dieser Gelegenheit niemand schwer verletzt.
Wir wünschen und hoffen,
dass morgen ihre Leben und die Menschenrechte respektiert werden.
Es gibt verheerende und unvermeidbare natürliche Katastrophen auf diesem Planeten,
wie Erdbeben und Wirbelstürme.
In Gaza läuft derzeit eine unnatürliche menschliche Katastrophe ab,
verübt von Israel und zum Schaden eines Volkes,
das Israel am liebsten zu völligem Elend und Unterwerfung zwingen würde.
Eine verzweifelte Bevölkerung, die weder Brot noch Milch zur Ernährung ihrer Kinder findet.
Die nicht einmal mehr Tränen für ihre Trauer hat,
denn auch den Augen wurde strengste Diät auferlegt.
Die ganze Welt kann nicht einfach über diese Tragödie hinwegsehen,
und wenn sie es doch tut, dann wollen wir kein Teil mehr von ihr sein.
Jeden Tag flehen wir unsere Regierungen an, diesem Genozid in progress ein Ende zu bereiten,
für morgen früh...
...erbitten wir nur, dass unser kleines Schiff anlegen darf...
...mit seiner Ladung aus Verständnis, Frieden, Liebe und Mitgefühl,
auf dass allen Palästinensern dieselben Rechte zugestanden werden, derer sich auch die Israelis...
...und jedes andere Volk auf diesem Planeten erfreuen.
Das Meer als Anker der Hoffnung,
das Meer als Werkzeug der Zerstörung.
Nach einer Meldung der Presseagentur Ma´an, von Reuters bestätigt,
sind die USA dabei, Israel mit 300 Tonnen Waffen zu versorgen,
die auf zwei Containerschiffen von Griechenland abgehen sollen.
Waffen und eine große Menge Sprengstoff und Sprengkapseln,
alles Notwendige...
...um den Gazastreifen und seine tausenden Behausungen einzuebnen.
Mittlerweile sind aus ganz Gaza
aber der weitaus größere Teil der Menschen, etliche meiner Freunde eingeschlossen,
haben sich nicht von ihren Häusern fortbewegt, weil sie nicht wussten, wohin.
Journalisten, Ärzte und Leichengräber.
Das sind die Berufe, in denen am meisten zu tun ist, ohne Unterbrechung mittlerweile seit 16 Tagen.
Die Geier bereiten uns neben den Jagdbombern die größte Sorge und erregen zudem Abscheu,
speziell jene Sorte, welche gestern noch als Nachfolger des vielbeweinten Arafat...
(1929-2004) ex-President der Palästinensische Befreiungsorganisation, ehandelt wurden...
...und nun wieder nach der Herrschaft über das zukünftige Gaza lechzen.
Wir sind nun bei 923 Opfern angekommen,
4150 Verletzte,
255 Kinder grauenhaft geschlachtete palästinensische Kinder.
Die Zählung der zivilen israelischen Opfer liegt glücklicherweise nach wie vor stabil bei 4.
Es geht das Gerücht, dass Olmert im engen Kreis gesagt haben soll,
dass bei 1000 zivilen Opfern die Schmerzgrenze für diese kindermordende Offensive erreicht sei.
Ein wenig fühlt man sich an den Schlachthof von Palermo erinnert,
die Kälberviertel im Freien ausbluten...
...und das Fleisch einen Teil seines Gewichts einbüßt.
Der ganze Gazastreifen verfolgt gespannt die Auftritte von Ismail Haniyeh im Fernsehen.
Man kann nicht von Waffenstillstand reden, ohne gleichzeitig ein Ende der Belagerung festzulegen.
Die Fortsetzung der Belagerung des in Trümmern liegenden Gaza,
die Unterbindung der Nahrungs und Medikamenteneinfuhr,
das Verbot der Ausreise Kranker und Verletzter...
...bedeutet die Verurteilung zu längerer Agonie.
Dies ist die Zusammenfassung der Worte des politischen Anführers der Hamas,
die in Gaza gut ankommen.
Die Ansprache eines Führers, der sich auch gut ins Ausland hätte absetzen können...
...und stattdessen hier blieb und sich den Bomben aussetzte wie jedermann.
Während ich schreibe,
kommt der übliche Drohanruf,
der die Evakuierung des Gebäudes vor der Bombardierung fordert.
Ich befinde mich in dem Gebäude, in dem die großen Medien ihren Sitz haben,
unter ihnen Al Jazeera, Ramattan und Reuters.
Wir stürzen uns die Treppen hinunter und werden auf die Straße gespült,
wo unsere Augen fest gen Himmel gerichtet sind,
von wo der zerstörerische Einschlag kommen wird.
Diese Nacht werden keine Fernsehkameras und Reporter das Massaker an der Zivilbevölkerung dokumentieren können...
...und der begründete Verdacht kommt hoch, dass es mehr unschuldige Opfer geben wird als sonst.
Auf der Straße fasse ich meinen Genossen Alberto ins Auge und zwinkere ihm zu,
er nähert sich und ich flüstere ihm ins Ohr,
ob er für plausibel hält, dass der Drohanruf ein Wink ausschließlich für uns sein sollte,
nachdem wir eine rechtsextreme Internetseite in den USA entdeckt hatten,
die ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt hat:
„DIE ISRAELISCHEN VERTEIDIGUNGSKRÄFTE SIND ZU ALARMIEREN ZUM KAMPF GEGEN DAS ISM.
Folgende Nummer ist zu wählen, wenn die Höhlen der Hamas und der ISM aufgespürt werden.
Aus Amerika wähle...
...011-97-
Aus anderen Ländern fällt die 011 weg.
Helft uns dabei, die ISM,
die seit Beginn des Krieges zu einem festen Bestandteil der Hamas geworden ist, zu neutralisieren.
ZIELNR. 1 DER ISM FÜR DIE ISRAELISCHEN STREITKRÄFTE ZU LUFT UND ZU BODEN DER IDF:
AUFFORDERUNG ZUR ERMORDUNG VON VITTORIO ARRIGONI (SIEHE FOTO UNTEN)
DER MOMENTAN DIE HAMAS IN GAZA UNTERSTÜTZT.
(Quelle: www.stoptheism.com.)“
Ihr braucht euch nicht zu beeilen, diese Seite zu besuchen...
...oder mit Euren Blogs zu verlinken.
Sie ist nur ein Zeugnis für die Soziologen unserer Nachkommen.
Die Zukunft wird nach der Analyse dieser Zeiten...
...zu dem unwiderruflichen Urteil kommen,
dass der Hass das reinste aller Gefühle war...
...und der Neid auf das Andere ganze Heere bewegte...
...und der Klebstoff von großen Massen von Menschen war.
Es ist nicht nötig, dass meine Henker...
...und die mich tot sehen wollen, diese Nummer wählen,
denn das israelische Militär weiß genau, wo ich zu finden bin heute Nacht,
nämlich im Krankenwagen des Al Quds Krankenhauses von Gaza Stadt.
Mensch bleiben.
Mensch bleiben.
14 Januar
Die „vernachlässigten Söhne Allahs“ büßen weiterhin das Erbe eines über Generationen überlieferten Hasses
wegen einer Schuld, die sie nicht zu verantworten haben.
Die israelischen Soldaten erweisen sich als perfekte Besetzung in ihrer Rolle als neuzeitige Herodesse:
schon 253 massakrierte Kinder durch diesen Angriff.
Ein Schrecken ohne Ende,
für den kein Soldat, kein Offizier des Heeres
und keine israelische Regierung je wegen Kriegsverbrechen angeklagt und verantwortlich gemacht werden wird.
Wenn auch diese unschuldigen Opfer für einige Stunden verschont werden,
gilt gleiches nicht für die Orte, an denen ihre Spielsachen sind,
für ihre Träume und Hoffnungen beim Erwachsen werden
oder für die Eltern, die von ihrer Seite gerissen worden sind.
Die Waisenhäuser sind das bevorzugte Nest der israelischen mechanischen Vögel geworden,
in die Waisenhäuser legen die Jäger ihre Bomben ab.
Die Genossen der Rafah schreiben mir:
„ Am Sonntag, den 11. Januar, gegen 3.00 Uhr
haben F-16 Jäger das Zentrum für Waisenkinder der Organisation Dar al-Fadila bombardiert,
das auch eine Schule, ein College, ein Informationszentrum
sowie eine Moschee in der Taha Hussein Street umfasst, im Viertel Kherbat al-´Adas im Nordosten Rafahs.
Teile der Gebäude wurden völlig zerstört
Die Schule unterrichtete ca. 500 Kinder, die ohne Eltern geblieben sind“.
Der sehr persönliche israelische Jihadd gegen die heiligen Orte des Islam entlang des Gazastreifens
wird unter der schweigenden Zustimmung der Weltöffentlichkeit fortgesetzt:
die Moschee von Kherbat al´Adas mitgerechnet
sind bis jetzt 20 Moscheen dem Erdboden gleich gemacht worden.
Glücklicherweise hat noch keine der Qassam „Raketen“ die Wände einer Synagoge gestreift,
sonst hätten sich mit Sicherheit in aller Welt die Schreie des Entsetzens zum Himmel erhoben.
Gott sollte sich erkenntlich zeigen für die palästinensischen Gebete.
Von den insgesamt fast 950 Opfern sind 85% Zivilisten.
Die höllische israelische Vernichtungsmaschinerie greift langsam in ganz Gaza um sich,
zerstört Häuser, Schulen, die Universität, Krankenhäuser,
ohne irgendein greifbares Signal oder gar den Willen zu Sanktionen von Seiten der westlichen Regierungen.
Jetzt liegt es an uns,
den einfachen Bürgern ohne Staatsangehörigkeit
wenn wir uns schon nicht jener als zugehörig fühlen wollen, welche die eine und einzige Gemeinschaft von Menschen ist:
die menschliche Familie.
Es ist an der Zeit, einen Knüppel in dieses verdammte und höllische Getriebe zu werfen.
Ich habe Dr. Haidar Eid getroffen, Professor an der Universität AL Quds in Gaza Stadt.
Er ist linker Intellektueller, zäh und heiter gleichermaßen, leidenschaftlich und großzügig,
wie man sie heute in Italien nicht mehr finden kann,
ausgelöscht oder in einem Keller der Erinnerung vergraben,
weil sie nicht wieder verwertbar sind in der überparteilichen Uniform,
in der Postfaschisten und Postkommunisten Arm in Arm marschieren,
vereint in der Litanei zur Rechtfertigung Israels nach jedem seiner Massaker.
Haidar tritt vor mich als Sprecher der PACBI
(Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel)
und der BDS (Boycott, Divestment & Sanctions Campaign National Committee)
und ich diskutiere mit ihm über das Boykottieren.
Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler...
und Mandela und Mahatma Gandhi sind momentan nicht in der Lage, die Geschichte zu wiederholen.
Aber die besondere Geschichte Südafrikas zeigt uns einen Weg auf, wie wir ein rassistisches und kolonialistisches Israel
zu einem Kompromiss zwingen können.
Damals wurde zum Komplizen deklariert, wer das Apartheidregime nicht boykottierte
was ist der Unterschied zu heute?
So wie ich glaubt auch die Mehrheit der Palästinenser,
dass die beste Antwort auf die israelische Belagerung und das gegenwärtige Massaker
nicht in Attentaten, Kamikaze und Sderot-Raketen besteht.
Der Boykott ist eine pazifistische und nicht-gewalttätige,
also mithin die beste und menschlich konsensfähige Antwort auf die Barbarisierung eines Konfliktes,
der jede Geste von vornherein als unmenschlich einstuft.
Die beste Waffe aus dem Arsenal der Gewaltfreiheit,
wie uns Naomi Klein kürzlich in einem Leitartikel des Guardian noch einmal vor Augen geführt hat.
Haidar kann sogar noch dem Bluttümpel, in dem wir derzeit untergehen, etwas Positives abgewinnen.
Wie damals in Sharpeville in Südafrika, als am 21. März 1960
78 Schwarze von einem barbarischen Regime in Stücke gehauen wurden und die Welt sich aufgefordert fühlte HALT! zu sagen
so könnte auch das beispiellose Blutbad von 1.000 Palästinensern der Ausgangspunkt für eine breite Kampagne der Mobilisierung
zur Bestrafung der israelischen Verbrechen werden.
Haidar ist auch einer der Förderer eines vereinigten Israel und Palästina in einem einzigen Staat,
der weltlich, demokratisch und interreligiös sein muss;
für ihn der einzige und pragmatische Ausweg aus einem Konflikt, der keine andere Lösung zulässt.
Sehr persönlich erzählt er mir von al-Nabka, vor dem er durch wenige Jahre verschont geblieben war,
auch wenn er sie später intensiv nacherlebte in den Erzählungen seiner Familie.
Als Sohn der Post-Katastrophe findet er klare Worte, um zu beschreiben,
wie al-Nakba überliefert wurde
und in das kollektive Unterbewusstsein tausender Palästinenser eingedrungen ist.
Der Albtraum ist wieder aufgelebt am 27. Dezember 2008, er klopft an die Dächer
und hört seit dem nicht auf, für schlaflose Nächte zu sorgen.
Haidar fordert mich auf, seinen Appell an alle Italiener weiterzuverbreiten
und ich schreibe eifrig mit in mein zerfleddertes Notizbuch,
keine Produkte made in Israel mehr zu kaufen.
Die israelischen Produkte sind in den Regalen leicht kenntlich an den Barcodes, durch die sie gekennzeichnet sind:
729 sind die Anfangsziffern.
Die ganze Liste der Produkte kann man herunterladen auf der Seite boycottisraeligoods.org.
Druckt Euch die Liste aus und hängt sie an die Kühlschranktür
oder steckt sie in die Tasche Eurer Mutter oder Frau, wenn sie einkaufen gehen.
„Wenn Du auch nur ein Glas Wasser aus Israel kaufst,
kaufst Du tatsächlich auch eine Kugel, die früher oder später im Herz eines unserer Söhne stecken wird“.
Die Boykottbewegung, die
kommt in großen Schritten voran und ist unter Millionen von Verbrauchern verbreitet.
Der venezolanische Präsident Chavez hat den israelischen Konsul des Landes verwiesen
und jede Beziehung mit dem Staat abgebrochen, der Palästina erwürgt
er sollte allen unseren Politikern ein Vorbild sein.
Die südafrikanischen Führer des Kampfes gegen das Apartheidsregime, Mandela, Ronnie Kasrils und Desmon Tutu
bekräftigen, dass die israelische Unterdrückung der Palästinenser um Längen schlimmer ist, als jene in Südafrika
sicherlich glaubwürdigere Stimmen als die italienischen Politiker Frattini und Fassino.
Etliche Juden in Israel haben sich dem Boykott angeschlossen,
ca. 500 bislang, unter ihnen Ilan Pappe und Neta Golan,
Überlebende des Holocaust, die „Nie wieder!“ schreien.
Der israelische Dichter Aharon Shabtai fordert uns zur Aktion auf:
„Ich hoffe auf die Unterstützung durch die Europäer,
dass die Nachfahren von Voltaire und Rousseau Israel helfen,
denn Israel wird diese Besetzung nicht beenden, bevor Europa „Basta!“ sagen wird.
Nur der Druck von Seiten der zivilisierten und demokratischen Staaten kann die Situation verändern und uns das Glück zurückgeben.
Die aktuelle Situation, in der das Militär die Gesetze diktiert,
kann nicht von innen heraus verändert werden.
Wegen der Werte, die Europa auszeichnen, kann es nicht weiterhin zusammenarbeiten mit Israel.
729 muss unsere shoah werden:
„Nie wieder“!
Mensch bleiben.
15 Januar
Tage der Hölle in Jabalia
Selbst Dante hätte keinen so infernalischen Höllenkreis der Verdammten ersinnen können,
wie den der Gänge im Krankenhaus von Jabalia.
Das Gesetz der Wiedervergeltung ist hier auf den Kopf gestellt.
Je unschuldiger das Opfer ist, desto weniger bleibt ihm das Martyrium der Bomben erspart.
Im Kamal Odwan im Krankenhaus Al Awda sind die Kacheln in der Notaufnahme immer schön sauber,
die Bediensteten haben ordentlich zu tun, um sie immer und immer wieder von dem Blut zu säubern,
dass unaufhörlich von den Tragen voller massakrierter Körper strömt.
Iyad Mutawwaq war auf der Straße unterwegs, als eine Bombe in ein Gebäude in der Nähe einschlug.
Zusammen mit anderen Passanten eilte er zu Hilfe,
als ein zweites Geschoss das Gebäude traf
und einen Vater von neun Kindern, zwei Brüder...
...und einen anderen Passanten, der ebenso wie Iyad zur Erstehilfe zur Stelle geeilt war, tötete.
Die übliche Geschichte in Wiederholung, zum zehnten, zum tausendsten mal.
Die bevorzugte Technik von Terroristen wird von der Tsahal, den israelischen Streitkräften, perfekt kopiert.
Man wirft eine Bombe, wartet auf die zu Hilfe kommenden,
und wirft dann noch eine Bombe auf alle Beteiligten.
Für Iyad sind das amerikanische Bomben,
aber sie tragen die Unterschrift von Mubarak, dem ägyptischen Präsidentendiktator,
...der hier in Gaza mit Olmert konkurriert, was die Erzeugung von Hass angeht.
Hinter dem Bett von Iyad liegt ein alter Mann mit eingegipsten Armen und starrt an die Decke...
...ohne ein Wort von sich zu geben; mir wird erzählt, dass er alles verloren hat, Familie und Haus.
Er fixiert die Risse im Putz, der in Stücken von den Wänden fällt,
als suche er nach einer Antwort auf die Vernichtung seiner Existenz.
Khaled hat 25 Jahre lang in Israel gearbeitet, bis zur letzten intifada.
Als Dankeschön hat ihm Tel Aviv nicht nur keine Rente gewährt,
sondern stattdessen eine Reihe von Luft-Boden-Raketen auf sein Haus;
am ganzen Körper hat er Wunden von den Bombensplittern.
Ich frage ihn, wo er hingehen wird, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird.
Dorthin, wo alle seine Verwandten jetzt leben, antwortet er mir: auf die Straße.
So wie seiner geht es vielen Familien, die nicht mehr wissen, wo sie eine Zuflucht finden können.
Die Glücklicheren finden Unterschlupf bei Verwandten und Bekannten, wie wir herausgefunden haben,
aber kann man das Leben nennen, wenn 100 Personen sich zwei Wohnungen mit jeweils drei Zimmern teilen müssen?
Zwei Bomben auf die Wohnung von Ahmed Jaber haben seine Familie in die Flucht getrieben,
aber zu spät. Eine dritte Explosion...
...hat sieben Mitglieder seiner Familie,
darunter auch zwei Nachbarskinder im Alter von acht und neun Jahren, unter den Trümmern begraben.
Er sagt: „sie haben uns ins Jahr 1948 zurück katapultiert.
Das ist die Strafe dafür, dass wir unserer Heimaterde treu geblieben sind.
Sie können mir die Arme und die Beine vom Leib schießen, aber sie werden mich nicht von meiner Erde fort bekommen“.
Ein Arzt zieht mich ein wenig beiseite und vertraut mir an, dass die siebenjährige Tochter von Ahmed...
...in lauter Einzelteilen in einem kleinen Karton angeliefert worden ist.
Sie hatten nicht den Mut, es ihm zu sagen, um seinen prekären Gesundheitszustand nicht noch zu verschlimmern.
Abends nahmen sie auch Iyad das Telefon an seinem Bett weg, um das Eintreffen schlechter Neuigkeiten zu unterbinden.
Eine Panzergranate hatte das Haus seiner Schwester getroffen und sie enthauptet.
Am Ende hat unser Boot vom Free Gaza Movement den Hafen von Gaza doch nicht erreicht.
100 Seemeilen vor dem Ziel wurde es im internationalen Gewässer...
...von vier israelischen Kriegsschiffen abgefangen,
bereit zum Feuern und zum Mord an unserer Besatzung aus Ärzten, Krankenpflegern und Aktivisten für die Menschenrechte.
Niemand darf es wagen, die Treibjagd auf die Zivilisten zu stören, die seit drei Wochen ununterbrochen anhält.
Östlich von Jabalia in der Nähe der Grenze...
...sprechen Augenzeugen davon, Dutzende von verwesenden Leichen auf den Straßen gesehen zu haben,
deren faulendes Fleisch von Hunden gefressen wird.
Es wird auch von hunderten Eingeschlossenen berichtet, darunter auch Verletzte:
die Krankenwagen können nicht zu ihnen gelangen, weil überall schießende Heckenschützen versteckt sind.
Die Palästinenser sind es leid, in völliger Gleichgültigkeit hingemetzelt zu werden
und viele beschuldigen auch das Internationale Rote Kreuz und die UNO, nicht ausreichend aktiv zu werden,
nicht vollständig ihren Verpflichtungen nachzukommen, ihr Leben nicht zu riskieren um hunderte anderer Leben zu retten.
Zu Fuß und mit Tragbahren werden wir von der ISM dorthin gehen,
wo die Menschlichkeit ihre Grenzen überschritten hat und verschwunden ist.
Die Dummschwätzer mit ihren breit gesessenen Ärschen lümmeln auf den Diwanen der hohen Politik
und erörtern eingehend die Kriegsstrategien gegen die Hamas,
während wir hier buchstäblich ausgemerzt werden.
Sie bombardieren Krankenhäuser
und es gibt tatsächlich immer noch Stimmen, die vom „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ reden.
In jedem Staat, der sich auch nur annähernd als zivil definiert,
steht die Selbstverteidigung in einem proportionalen Verhältnis zum vorangegangenen Angriff.
In den vergangenen 20 Tagen haben wir 1075 palästinensische Opfer gezählt,
mehr als 5000 Verletzte, von denen mehr als die Hälfte Minderjährige sind.
303 grauenhaft geschlachtete Kinder.
Glücklicherweise nur 4 israelische Zivilopfer.
Als bestünde für Israel das gerechte Blutbad für jedes ihrer...
...zivilen Todesopfer darin, wenigstens 250 Gegner auszulöschen.
Sagt Ihr mir, ob diese Unverhältnismäßigkeit zwischen Verteidigung und Angriff
Euch nicht an die als Vergeltungsmaßnahme verübten mörderischen Exzesse...
...aus den schwärzesten Zeiten der modernen europäischen Geschichte erinnern.
Um auf den Punkt zu kommen: handelt es sich hier um legitime Verteidigung?
All jene wie Marco Travaglio, Piero Ostellino, Pierluigi Battista und Angelo Panbianco (allesamt italienische Zionisten AdÜ),
die mit ihrer endlosen Leier der Hamas als Brecher der Waffenruhe zwischen Israel und Palästina die Verantwortung...
...für diesen Völkermord zuschanzen wollen, möchte ich an die Stellungnahme der UN erinnern.
Professor Richard Falk, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Menschenrechte,
hat zu diesem Punkt klare Vorstellungen zum Ausdruck gebracht:
tatsächlich war es Israel, das den Waffenstillstand brach,
als es im November in aller Ruhe
Im Monat November wurden null israelische Opfer registriert,
so wie auch im Monat vorher und im September.
Daran erinnerte auch kürzlich der Ex-Präsident der USA und Nobelpreisträger Jimmy Carter.
Bedauerlich, dass Journalisten wie Travaglio,
die wir einst als Bollwerk der freien möglichst wahrheitstreuen Information schätzten,
sich den Helm des israelischen Militärs aufgesetzt haben
und die Massen vor den Bildschirmen unterhalten,
die sich hier an Sport und Mode erfreuen:
Tontaubenschießen auf Kinder.
Ich tippe in einem Büro der Presseagentur Ramattan,
die palästinensischen Reporter um mich herum tragen Schusswesten und Helme.
Sie sind weder auf dem Weg an die Front, noch begeben sie sich vor die Panzer,
sie sitzen einfach vor ihren Computern.
Zwei Stockwerke höher sind gerade die Büros von Reuters von einer Rakete getroffen worden,
zwei Schwerverletzte.
Fast alle Stockwerke des Gebäudes sind leer im Moment, nur die mutigsten aller Journalisten sind hiergeblieben,
auf irgendeine Weise muss weiterhin berichtet werden von dieser Hölle.
Kurz zuvor hatte das israelische Heer Reuters versichert,
dass sie nicht zu evakuieren hätten, ihre Büros seien sicher.
Heute früh wurde auch das Gebäude der Vereinten Nationen bombardiert und zerstört,
es wurde mit Geldern der italienischen Regierung errichtet.
Berlusconi, hörst Du mich?
Es gab mehrere Tote und Verletzte.
John Ging, der Chef der UNRWA,
berichtet als Augenzeuge von Bomben mit weißem Phosphor.
Im Viertel Tal el Hawa von Gaza Stadt steht ein Flügel des Al Quds Krankenhauses in Flammen:
darin eingeschlossen mit ungefähr 40 Ärzte und Pfleger sowie etwa 100 Patienten...
...befindet sich auch Leila, unsere Genossin des ISM.
Per Telefon hat sie uns von den vorangegangenen dramatischen Stunden berichtet.
Vor dem Krankenhaus steht ein Panzer und überall sind Heckenschützen, die auf alles schießen, was sich bewegt.
Ringsherum ist alles zerstört.
In der Nacht sahen sie von ihren Fenstern aus ein Haus in Flammen, das von einer Bombe getroffen worden war...
...und hörten die entsetzlichen Schreie ganzer Familien, Kinder,
die um Hilfe riefen.
Sie konnten sich nicht bewegen, waren machtlos,
konnten nur die brennenden Körper sehen, die sich auf der Straße rollten...
...und in Asche verwandelten.
Die Hölle hat sich umgestülpt und in ihrem Zentrum, im schlagenden Herz von Gaza,
sind wir, die Verdammten...
...eines unmenschlichen Hasses.
Mensch bleiben.
16 Januar
Umgestülpte Geografie
Man erzählt sich, wie ein alter Palästinenser, als er eines Tages aus dem Haus ging...
...um in einer der raren Feuerpausen etwas zu Essen einzukaufen,
auf dem Rückweg nicht mehr in der Lage war, zu seinem Haus zu finden.
Die Bombardierungen haben nicht nur die Geografie der Stadt radikal verändert,
sondern gleichzeitig auch die sozialen Gewebe.
Gezwungen zur Flucht in alle Himmelsrichtungen und
über ganz Gaza verteilt haben hunderte Familien, die über Jahre in Nachbarschaft lebten,
plötzlich völlig den Kontakt zueinander verloren.
Um in Gaza Stadt das Viertel Tal el Hawa zu erreichen...
...muss man zu Fuß eine Mondlandschaft durchqueren.
Nach 48 Stunden Belagerung haben sich die israelischen Panzer gestern am Morgen zurückgezogen,
Krater und kleine Hügel aus Trümmern hinter sich zurücklassend.
Den Hintergrund für diese Verwüstung bildet der ungesunde und unverwechselbare Geruch des Todes.
Ich machte mich auf die Suche nach dem Haus von Ahmed und stolperte durch die Überreste der Gebäude und Häuser,
zwischen Skeletten verbrannter Autos und Krankenwagen.
Es war keine leichte Aufgabe, genau wegen der Verwandlung ganzer,
dem Erdboden gleich gemachter Viertel.
Ich erinnerte mich, dass Ahmed am Ende einer nichtasphaltierten Straße wohnte,
es war nun aber schlicht unmöglich noch zu unterscheiden, da das gesamte Gelände...
...von den Raupenketten der Panzer um und um gepflügt worden war.
Falls man am Ende dieses massiven, völkermörderischen Angriffs eine Satellitenfotografie von Gaza Stadt machte,
hätte man im Anschluss Schwierigkeiten,
emanden davon zu überzeugen, dass es sich um dieselbe vor 20 Tagen fotografierte Stadt handelt.
Ich habe Ahmed umarmt...
...für beide von uns war es wie ein Wiedersehen nach vielen Jahren...
...oder nach einer langen Reise oder wie die Rückkehr aus einem fernen Land.
Leider sind auf unserer Reise durch die Nacht bislang keine Morgengrauen vorgesehen,
die nicht von dem Hass derer bestimmt sind, welche die Generäle und Truppen mobilisiert haben für diese Ausrottung.
Mein Freund zeigte mir die Stelle, an der zwei Tage lang der israelische Panzer gestanden hatte,
direkt vor seinem Garten.
Seine Familie hatte die ganze Zeit in einem Raum unter der Treppe verbracht,
immer von dem Schrecke begleitet, dass ein Schuss der Artillerie ihre Leben unter dem Schutt begraben könnte
Erst gestern Abend hatte er sich den Anweisungen seines ängstlichen Vaters widersetzt...
...und war auf dem Boden bis an das Fenster gerobbt, um einen Blick auf das Inferno in der Umgebung zu werfen.
In 30 Metern Entfernung sah er den Panzer...
...gegen das Fallgitter eines Supermarktes anfahren und nachdem eine Bresche entstanden war,
stiegen einige Soldaten aus dem Panzer.
Er sah, wie sie sich freudig ans „Einkaufen“ machten.
Sie haben den Panzer so voll gestopft mit Waren, so dass sie Schwierigkeiten hatten, selbst noch einzusteigen“.
Dann beschrieb er mir noch ihr Gelächter und ihre Hohngesänge,
die für den Rest der Nacht als Kehrreim zwischen den Explosionen zu hören waren:
„Alì, Mohammed, this is a message to your Allah Akbar!“.
Der Widerstand, der für einige Tage stoisch das Vorrücke der israelischen Panzerwagen zu begrenzen vermochte,
ist in den letzten Stunden wie ausgelöscht.
Der Zusammenstoß ist ungleich, die Kalaschnikows kitzeln die Außenhüllen der Panzer,
im Gegenzug perforieren die Artilleriegeschütze ganze Häuser von der einen bis zur anderen Seite.
Das Wohngebiet von Abraj Towers,
das überwiegend von Professoren der Universität und ihren Familien bewohnt wird, die der Fatah nahestehen,
beherbergt keine „Terroristen der Hamas“.
So wie ich das weiß, ist selbstverständlich auch Tel Aviv darüber informiert,
aber das zählt für sie nicht; das Viertel ist in einen Haufen Schutt verwandelt worden.
Neben diesen getroffenen Gebäuden liegt das Al Quds Krankenhaus, das gestern in Flammen aufging.
Meine Genossen halfen dem Krankenhauspersonal...
...bei der Evakuierung der 300 eingelieferten Verletzten in das andere Krankenhaus von Gaza Stadt, dem Al Shifa.
Sie brauchten dafür etliche Stunden, besonders weil für den Transport einiger Schwerverletzter...
...speziell ausgerüstete Krankenwagen nötig gewesen wären, die den Palästinensern jedoch nicht zur Verfügung stehen.
Zusammen mit Dr. Dagfinn Bjorklind von der norwegischen NGO Norwac erwarteten wir die letzten Evakuierten...
...und stellten den Krankenpflegern, die den Flammen des Al Quds entkommen waren, einige Fragen.
Die Bilanz ist grauenvoll und wird durch die Augenzeugenberichte meiner Genossen bestätigt.
In zweihundert Meter Entfernung vom Krankenhaus lagen etwa 30 Körper auf der Straße,
viele davon Frauen und Kinder, von denen einige noch lebten.
Sie konnten sie nicht erreichen: die Heckenschützen von den Dächern schossen auf alles, was sich bewegte.
Die blutenden Körper auf der Straße waren Zivilisten auf der Flucht aus ihren Häusern, die bombardiert worden waren und brannten.
Die israelischen Heckenschützen hatten nicht eine Sekunde gezögert, sie niederzustrecken,
einen nach dem anderen, wenn sie sie im Fadenkreuz ihrer Waffen hatten, Kinder eingeschlossen.
Ich vertraue Euch an, dass mein „Restiamo umani“...
...in den letzten Tagen sehr ins Wanken geriet, aber es hält noch durch.
Es hält durch ebenso wie der Stolz, die Bindung an die Heimaterde,
wie die Identität und das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung von Gaza,
von Universitätsprofessoren über Menschen auf der Straße, Ärzte und Krankenpfleger,
Reporter, Fischer, Bauern,
Männer, Frauen und Heranwachsende, jenen, die alles verloren haben und jenen, die nichts mehr zu verlieren hatten,
bis zum letzten Atemzug drücken sie das inshallah eines herannahenden Sieges aus,
bis zum letzten Atemzug drücken sie das inshallah eines herannahenden Sieges aus,
dass sie von keinem feindlichen Bulldozer je herausgerissen werden können.
Auf einem Monitor kann ich beim Schreiben Bilder aus dem Al Shifa sehen,
wo sich Männer in Tränen die Hände vors Gesicht schlagen,
als ob sie die Tränen der Verzweiflung so zum Versiegen bringen wollten.
In Shija'ya im Osten von Gaza Stadt
hat ein einziger Schuss eines Panzers sieben Todesopfer und 25 Verletzte zur Folge gehabt.
Es war eine Trauergesellschaft, die für einen am Vortag verstorbenen die Totenwache hielten.
Gestern hat sich Ehud Barak beim Generalsekretär der UN, Ban Kimoon, entschuldigt...
...für die Schüsse, die auf den Sitz der Agentur der Vereinten Nationen...
...für die palästinensischen Flüchtlinge in Gaza Stadt abgegeben worden waren...
(der unter anderem mit italienischen Geldern erbaut wurde).
„Es handelte sich um einen schweren Fehler“, so seine Worte.
Keine Bitte um Vergebung bei den Familien der 375 palästinensischen Kinder, die bis heute ermordet wurden.
Offensichtlich handelte es sich dabei NICHT um einen Fehler.
Von einem Arzthelfer des Roten Kreuzes hörte ich die Erzählung ihres Eintreffens am Ort des Massakers von Zaitun.
Ein sichtbar unterernährtes Kind kauerte neben dem Körper der Mutter,
der in einem fortgeschrittenem Stadium der Verwesung war.
Vier Tage lang hatte das Kind die Mutter gepflegt, als ob sie noch am Leben sei;
es hatte ihr das Blut von der Stirn gewischt...
...und zwischen den Trümmern seines einstigen Wohnhauses...
...noch Wasser, Brot und Tomaten gefunden, die sie neben dem Gesicht der toten Mutter hingestellt hatten.
Es dachte, sie würde einfach nur schlafen.
Die Helfer vom Roten Kreuz, von den israelischen Heckenschützen gehindert,
konnten den Ort des Massakers erst nach einigen Tagen erreichen.
Mensch bleiben.
17 Januar
Liebe unter Bomben
Unter Bomben Liebe machen. Ich entsinne mich an einen Freund aus Nablus, der mir beschrieb,
wie schwierig es für ihn zu Zeiten der Besatzung gewesen war, für sich und seine Frau Momente der Intimität zu finden.
Eines Abends, als sie umarmt im Bett lagen, bohrte sich eine Kugel ins Kopfteil des Bettes,
ein handbreit über ihren Köpfen.
An Liebesspiele ist in diesen Tagen in Gaza unter Bomben nicht zu denken
und auch die gemeinsame Zukunft junger Paare gestaltet sich schwierig,
haben doch die meisten ihre Häuser verloren und sind in Notunterkünften, mit 20 Leuten in einer kleinen Wohnung
oder in den Schulen der UNRWA untergekommen.
„Heute ist Samstag, heute Abend gehen die jungen Paare in Tel Aviv in die Disco um sich zu vergnügen oder an den Strand,
während wir hier noch nicht mal in unseren Betten Liebe machen können“
sagt Wissam zu mir, der seit November verheiratet ist.
„Stroboskoplicht haben wir allerdings auch“
und zeigt auf die Blitze im Süden: gegenwärtige Bombardierungen.
Junge Männer wie Wissam, 19 Jahre,
werden sehr jung Väter und mit 40 Jahren haben sie meistens schon etliche Enkel und Neffen,
in der Fruchtbarkeit zeigt sich die einzige Unsterblichkeit für Palästina.
Während uns von draußen Gerüchte über eine bevorstehende Waffenruhe erreichen,
haben in den letzten Tagen die Bombardierungen stark zugenommen ebenso die Zahl
der zivilen Opfer.
Allein gestern mehr als 60,
davon ein Dutzend aus einer Moschee, in der gerade Gebetszeit war.
Was die Palästinenser am meisten beunruhigt, ist die Aussicht auf eine Waffenruhe
ohne die gleichzeitige Öffnung der Grenzübergänge.
Noch vor den Materialien für den Wiederaufbau werden
Nahrungsmittel benötigt...
...und die Möglichkeit Schwerverwundete herauszubringen.
Die Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps,
im ganzen Gazastreifen haben sie eine Kapazität von 1500 Betten,
in diesem Moment sind es aber schon 5320 Patienten.
Außerdem hat die öffentliche Meinung kein sehr tiefes Vertrauen in die Rolle Ägyptens als Unterhändler,
nachdem sich die Regierung notorisch unterwürfig den Wünschen Israels beugt.
„Warum ist kein europäisches Land für die Rolle des Unterhändlers bestimmt worden?
Für die Lösung des Konfliktes zwischen Israel und der Hisbollah
war die Rolle Deutschlands, eines wahrhaft neutralen Landes, von grundsätzlicher Bedeutung“,
sagt Hamza zu mir, ein Dozent der Universität.
Heute Morgen wurde eine weitere Schule der Vereinten Nationen in Beit Lahyiavon israelischen Panzern beschossen,
im Norden des Gazastreifens.
14 Verletzte und zwei tote Brüderchen von fünf und sieben Jahren, Bilal und Mohammed Al- Ashqar;
ihre Mama überlebte, hat aber beide Beine verloren.
Wie 42000 andere auch waren sie in die Schule geflüchtet,
nachdem Israel die Räumung ihrer Häuser angeordnet hatte.
Sie wähnten sich in Sicherheit, genau wie die 43 Flüchtlinge,
die am 6. Januar in der UN-Schule in Jabalia den Tod fanden.
„Diese beiden Kinder waren unschuldig, ohne Zweifel,
ebenso wie sie jetzt zweifelsfrei tot sind“,
hat der Leiter der UNO in Gaza, John Ging, erklärt,
der seit Tagen unermüdlich versucht, die Kriegsverbrechen der israelischen Soldaten anzuzeigen - vergeblich.
Die israelischen Generäle schicken sich an, der Welt das „Mission erfüllt!“ zu erklären.
Ich bin zu den Trümmern des Tal el Hawa Krankenhauses zurückgegangen,
im stehen gebliebenen Teil des Hauses
ist jetzt eine Notaufnahme und ein logistisches Zentrum für die Krankenwagen untergebracht.
Aus den schwer beschädigten Häusern werden immer noch verletzte Verschüttete geborgen.
Im Al Shifa ist ein Kind mit Namen Suhaib Suliman eingeliefert worden,
einziger Überlebender einer
Ein Mädchen, Hadil Samony, hat 11 ihrer Familienmitglieder verloren.
Wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat sie niemanden, der sich um sie kümmern wird.
Entschuldigt, aber kann mir gerade noch einmal jemand erklären, um was für eine Mission es sich hier handelte?
Von der kollektiven Bestrafung zur Massenvernichtung.
Ein frustrierter Araber mit Namen Raja Chemayel definiert es in seinem Blog folgendermaßen:
„Nehmt ein Stück Land, 40 km lang und ungefähr 5 km breit.
Nennt es Gaza.
Befüllt es mit 1,4 Millionen Bewohnern.
Dann umgebt es im Westen mit dem Meer, Mubaraks Ägypten im Süden, Israel im Norden...
...und Osten und nennt es nun das Land der Terroristen.
Darauf erklärt ihr den Krieg und fallt in das Land ein mit 232 Panzern,
687 Panzerwagen,
43 Stützpunkte für Kampfjets,
105 bewaffneten Helikoptern,
221 Kampfeinheiten bodengestützter Artillerie,
346 Granatwerfern, 3 Spionagesatelliten,
64 Aufklärern, 12 eingeschleusten Spionen und 8.000 Mann Bodentruppe.
Nun müsst ihr das alles „Israel verteidigt sich“ nennen.
Haltet für einen Moment inne und erklärt, dass ihr
„vermeidet, die Zivilbevölkerung zu treffen“
und nennt euch selbst die einzige Demokratie unter den Akteuren.
Unter allen Umständen kann es nur ein Wunder sein, wenn vermieden werden kann, dass ein Zivilist getroffen wird,
oder aber es ist von Anfang an gelogen, wenn doch eh niemand vermeiden könnte, sie zu treffen,
eine bewusste und absichtlich Lüge also. Nennt das Ganze wieder „Israel, das sich verteidigt“
Und nun meine Frage:
was, wenn sich der Invasor als Lügner herausstellt?
Was würde den unbewaffneten Zivilisten geschehen?
Wie könnte selbst einer Mutter Theresa, oder von mir aus auch Micky Maus, gelingen,
einer dermaßen potenten Streitmacht ausgeliefert, zu vermeiden, dass die Zivilbevölkerung getroffen wird in einer solchen Situation?
Nennt es wie Ihr wollt.
Israel war sich perfekt im Klaren über die Gegenwart dieser unbewaffneten Menschen,
denn sie haben sie selbst dorthin gebracht.
Nennt es lieber Völkermord. Das ist glaubhafter“.
Von ein paar umgebrachten Führern abgesehen
hat die Hamas nicht wirklich unter dieser Offensive gelitten,
sie hat nicht nur keinen Rückhalt in der Bevölkerung verloren,
sondern eher noch gewonnen.
Ab und zu sollte man sich daran erinnern, dass die Hamas kein Grüppchen von Terroristen ist und auch keine politische Partei,
sondern eine Bewegung
und als solche sicherlich nicht mit einem Regen aus Streubomben zu beseitigen.
Wenn ich die Palästinenser um ihre Meinung zu den wirklichen Zielen dieses brutalen Gemetzels bitte,
antworten mir viele, dass sie einen Zusammenhang mit den nächsten israelischen Wahlen im Februar sehen.
„Sie tragen ihre Propaganda auf unserem Rücken aus,
so war es immer am Vorabend von Wahlen“.
Netanyahu, vor einem Monat noch als sicherer Sieger gehandelt,
scheint den jetzigen Prognosen zufolge zu unterliegen unter den blutunterlaufenen Augen von Olmert und Livni.
Avigdor Lieberman ist der Führer von Yisrael Beitenu, die momentan die fünfte politische Kraft im Lande ist,
aber die Meinungsumfragen sehen ihn in starkem Aufwind nach einer seiner abwegigen Verlautbarungen wie diese:
"Gaza sollte mit einer Atombombe von den Landkarten weggesprengt werden,
so wie es die Amerikaner mit Hiroschima und Nagasaki getan haben.
Der israelische Autor Abraham Yehoshua hat gestern zur Ha'aretz gesagt:
„Wir töten heute ihre Kinder, um morgen viele zu retten“.
Ich befürchte, dass seine Reise ans Ende des Jahrtausends
an Bord eines Panzerwagens vor einem brennenden Krankenhaus geparkt schon zu Ende war.
Voltaire lud einst ein, jegliche Meinung zu respektieren,
ich rufe dazu auf, keine Samen des Hasses mehr zu werfen,
die hier von Blut bewässert, zu Keimen eines unheilbaren Ressentiments aufgehen.
Mensch bleiben.
19 Januar
Die Toten und die Lebenden
In Gaza haben nur die Toten das Ende des Krieges gesehen.
Für die Lebenden gibt es keine Atempause in der täglichen Schlacht ums Überleben.
Ohne Leitungswasser, Gas, Strom,
ohne Brot und Milch um die eigenen Kinder zu ernähren.
Tausende haben ihre Häuser verloren.
Durch die Grenzübergänge sickern tröpfchenweise humanitäre Hilfen ins Land
und man bekommt das Gefühl,
als wenn das Wohlwollen der Komplizen der Schlächter nur von kurzer Dauer sein wird.
Morgen kommt der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-Moon den Gazastreifen besuchen
und wir sind sicher, dass der Leiter der palästinensischen Flüchtlingsstelle John Ging ihm einiges zu erzählen haben wird;
nachdem Israel zwei Schulen der UNO bombardiert hat,
hat es noch vier Mitarbeiter der UNO massakriert,
das der UNRWA in Gaza Stadt dem Erdboden gleich gemacht,
wobei auch tonnenweise Medikamente und Nahrungsmittel
für die Zivilbevölkerung vernichtet wurden.
Die Trümmer von Gaza spucken noch immer Leichen an die Oberfläche.
Allein gestern haben Arzthelfer des Roten Halbmondes mithilfe
einiger Freiwilliger der ISM zwischen Jabalia,
Tal el Hawa und Zaitun 95 Leichen aus den Ruinen geborgen,
viele von ihnen in fortgeschrittener Verwesung.
Wenn ich nun auch durch die Straßen von Gaza Stadt gehe
ohne die permanenten Panik vor einer chirurgisch genau auf meine Enthauptung gezielten Bombardierung,
so zucke ich doch jedes Mal zusammen, wenn ich einen der vielen in der Gegend
streunenden Hunde sehe, aus Furcht vor dem Anblick dessen,
was er in seinem Maul zum Fraß davonträgt.
Die Menschen atmen auf und kehren zurück in die Moscheen und Kaffeehäuser,
aber die zur Schau getragene Normalität wird leicht enttarnt,
haben doch viele ihre Bleibe und noch viel mehr einen Angehörigen verloren.
Die Rückkehr zur Normalität wird vorgetäuscht, um Frauen und Kindern Mut einzuflößen:
irgendwie muss und wird auch diese Katastrophe überstanden werden.
Mit einem Fragebogen ausgestattet sind wir heute früh in einige der am meisten zerstörten Viertel
Tal el Hawa und Zaytoun aufgebrochen
und haben von Tür zu Tür gehend das ganze Ausmaß der Gebäudebeschädigungen aufgenommen
neben den dringendsten Notwendigkeiten für die Familien:
Medikamente für die Alten und Kranken und Reis, Öl, Mehl,
das Minimum zur Ernährung.
Alles, was wir im Moment zu Verteilen hatten, waren lange Nylonbahnen zum Verschließen der Fensterhöhlen,
in denen das Glas fehlte, um vor der Kälte zu schützen.
Genossen der ISM in Rafah berichten mir,
dass die städtischen Behörden einige tausend Dollar an Familien ausbezahlt haben,
die ihre Häuser bei der so genannten Vernichtung der Tunnelanlagen durch die israelischen Bomben verloren haben
ein Tropfen auf den heißen Stein.
Am Ende des Konfliktes im Libanon gab
die Hisbollah Schecks in Millionenhöhe aus, um die obdachlos gewordenen zivilen Libanesen zu entschädigen.
Im belagerten Gaza und unter Embargo wird das,
was die Hamas zur Entschädigung der Bevölkerung beisteuern kann
„gerade einmal reichen, um eine kleine Schutzhütte für das Vieh zu bauen“,
lässt mich Khaled wissen, ein Bauer aus Rafah.
Da die Waffenruhe nur einseitig ist, entscheidet Israel auch einseitig über, wann sie gebrochen wird.
Gestern ist in Khan Yunis ein palästinensischer Jugendlicher getötet, ein anderer verletzt worden.
Im Osten von Gaza Stadt
haben Hubschrauber Bomben mit weißem Phosphor in ein Wohngebiet geworfen.
Dasselbe geschah in Jabalia.
Heute, immer noch in Khan Yunis, haben Kriegsschiffe auf eine leere Fläche geschossen,
glücklicherweise ohne jemanden zu verletzen;
und während ich jetzt schreibe, kommt die Nachricht von einem Überraschungsangriff durch Panzer.
Von palästinensischen Raketenabschüssen war nichts zu hören in den letzten 24 Stunden.
Nachrichtenhungrig schwärmen die internationalen Journalisten in ganz Gaza aus,
erst heute ist es ihnen gelungen, ins Land zu herein kommen: nach dem Halali zum Jagdende hat Israel sie passieren lassen.
Vor dem schwarz verkohlten Skelett des Al Quds Krankenhauses in Gaza Stadt
fragte mich ein Reporter der BBC, wie das Militär das Gebäude
mit einem Unterschlupf von Terroristen habe verwechseln können.
„Aus dem gleichen Grund,
aus dem auch aus brennenden Häusern fliehende Kinder in der Nachbarschaft
des Krankenhauses von Heckenschützen aufs Korn genommen
und ohne zu zögern abgeschossen
und ihr Hirn über den Asphalt verteilt wurde“.
Der englische Journalist wirkte noch finsterer nach dieser meiner Antwort.
Der Graben zwischen uns als Augenzeugen dieses Massakers und jenen,
die nur durch die Erzählungen der Überlebenden damit in Kenntnis kommen, ist offensichtlich.
Ich werde aus Rom informiert, dass die EU die Mittel
für den Wiederaufbau eingefroren hat,
solange der Gazastreifen von der Hamas regiert wird.
Das hat die europäische Kommissarin für den Wiederaufbau,
Benita Ferrero-Waldner, durchblicken lassen.
„Die Hilfen für den Wiederaufbau des Gazastreifens“, sagte die europäische Diplomatin
„können nur dann ankommen, wenn es dem Palästinensischen Präsidenten Abu Mazen gelingt,
seinen Herrschaftsanspruch auf das Gebiet erneut durchzusetzen“
Für die Palästinenser eine klare Einladung von außen zu einem Bürgerkrieg
oder zu einem Staatsstreich.
Als ob so das Massaker an 410 Kindern legitimiert werden könnte,
deren Eltern hatten ja schließlich die Demokratie
und dann die Hamas frei gewählt.
„Die EU übernimmt kommentarlos die von Israel entworfene kriminelle Politik der kollektiven Bestrafung.
Warum übergeben sie die Mittel nicht der UNO?
Oder einer NGO?“
„Die USA haben die Freiheit, einen Kriegstreiber wie Bush zu wählen,
die Israelis dürfen sich Führer wählen, denen das Blut von den Händen tropft, wie Sharon und Nethanyahu,
und wir, die Bevölkerung von Gaza,
sind frei, die Hamas zu wählen...“,
sagt Mohammed zu mir, ein Menschenrechtsaktivist,
der nicht für die islamische Bewegung gestimmt hat;
ich habe keine Argumente, ihn zu widerlegen.
Die lebenden Palästinenser lernen von den toten,
sie lernen sterbend zu leben, schon vom zartesten Alter an.
Waffenruhe folgt auf Waffenruhe, die Wahrnehmung ist die eines makabren Einschubs
zum Zählen der Leichen zwischen einer Jagd und der nächsten,
hin zu einem Frieden, der nie weiter entfernt schien.
Wir fahren Streife an Bord eines Krankenwagens durch Gaza Stadt, die Sirenen sind dieses Mal ausgeschaltet,
der Krieg ist präsent
in den Ruinen einer Stadt frei von lächelnden Gesichtern aber voller ängstlicher Blicke aus Augen,
die fortdauernd den Himmel abscannen nach den ununterbrochen fliegenden Flugzeugen.
Im Inneren eines Hauses fand ich auf dem Fußboden einige Kinderzeichnungen
mit Ölkreide, die offensichtlich von einem Kind
bei der überstürzten Flucht zurückgelassen worden waren.
Eine habe ich aufgehoben:
Panzer, Hubschrauber und stilisierte, in Stücke geschlagene Menschen.
Im Zentrum des Bildes ein Kind, das mit einem Stein bis auf die Höhe der Sonne wirft
und eine der Flugmaschinen mit dem Davidsstern trifft und beschädigt.
Man sagt, dass die Sonne in Kinderzeichnungen als Symbol für den Wunsch nach dem Sein,
dem Erscheinen in der Welt, stehen.
Die Sonne hier weinte in roter Pastellfarbe, Tränen aus Blut.
Wird ein einseitiger Waffenstillstand ausreichen, diese Traumata zu lindern?
Mensch bleiben.
20 Januar
Die Spuren der Toten
„Wenn die enormen Zerstörungen im Gazastreifen bekannt werden,
kann ich nicht mehr als Tourist nach Amsterdam gehen,
sondern nur noch um vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erscheinen“.
Diese Worte hat ein israelischer Minister, der anonym bleiben wollte,
der Tageszeitung Ha'aretz gesagt.
Humanitäre Organisationen und einzelne empörte Bürger aus aller Welt versuchen derzeit tatsächlich,
das israelische Heer und die Regierung vor Gericht zu ziehen in der Hoffnung,
dass Ermittlungen gegen die Kriegsverbrechen aufgenommen werden,
mit denen sich Israel in den letzten 22 Tagen des Massakers befleckt hat.
Bei ihren öffentlichen Auftritten geben sich die Militärs und Regierungsvertreter unbesorgt:
sie erklären, handfeste Beweise dafür zu besitzen, dass die bombardierten Häuser
in Wirklichkeit logistische Zentren der Terroristen der Hamas gewesen seien.
Nur,
damit wir uns recht verstehen: wir sprechen von mehr als 20.000 zerstörten Häusern
und mehr als 1.300 Todesopfern.
Um mich der chirurgischen Präzision zu versichern,
mit der die hypothetischen neuralgischen Zentren des islamischen Terrors getroffen wurden,
bin ich nach Jabal Al Dadour gefahren, im Norden des Streifens,
einem der am meisten von der israelischen Artillerie beschossenen Gebiete.
Dutzende von Gebäuden dem Erdboden gleich gemacht,
mithilfe der mastodontischen Bulldozer der Firma Caterpillar (zu boykottieren),
welche die Geräte eigens zum Einebnen palästinensischer Häuser produziert;
sie dienen den Panzereinheiten als Wegbereiter bei dem Werk der Zerstörung.
Zwischen den Ruinen Männer und Frauen auf der Suche nach noch Nutzbarem, etwas Kleidung,
ein paar völlig eingestaubte Schulbücher, Familienfotos in zerbrochenen Rahmen.
Ich konnte keine Reste von Waffenarsenalen ausmachen,
sondern ausschließlich abgedeckte Wohnhäuser, in denen die Nutzung als Salon, Schlafzimmer
oder Küche in der Asche noch zu erkennen war.
Abu Omar, Molekularbiologe,
lud mich ein, mir die Reste seiner Wohnung anzusehen
wie auch die seines Nachbarn Osama, eines Kinderarztes,
dessen Wohnung einem Emmentaler glich.
Die Durchschlagskraft der Geschosse hat die Früchte
des angrenzenden Orangenhains mitgerissen und gegen das Haus geschleudert.
Ihr Saft, mit geronnenem Blut vermischt, sieht auf dem Fußboden
aus wie das Bild eines naiven Malers.
Ein Greis mit der kefia um den Kopf gewickelt
nähert sich und fragt nach der Herkunft von Natalie, unserer libanesischen Begleiterin vom ISM.
Mit dem Stock in der Luft
beschreibt er einen großen, die Szenerie umfassenden Bogen
und sagt:
Mensch bleiben.