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Es ist bis heute Fakt, dass die Tatsache, dass die Modelle, mit denen die Zentralbanken
dieser Welt ihre Politik machen - dass es in diesen Modellen per Annahme unmöglich ist,
dass es so etwas gibt wie eine Finanzblase. Per Annahme!
Es ist nicht mal so, dass sie das nicht voraussehen, aber die Annahmen sind so, dass sich die Preise am Finanzmarkt nicht
längerfristig von ihrem Fundamentalwert oder mittellfristig von ihren Fundamentalwerten
entfernen können. Nun gut, jetzt haben wir aber in den letzten zehn Jahren, wenn Sie
an Dotcom und an die Häuserblasen rund um die Welt denken, zwei massive Blasenentwicklungen
mit entsprechenden Zusammenbrüchen gesehen. Da ist, glaube ich, die Frage absolut naheliegend
und auch berechtigt, ob man wirklich auf der Grundlage solcher enger Modellannahmen weiterhin
Politik machen kann. Wahrscheinlich ist die Antwort: Wie haben erstmal keine Alternative.
Wir müssen erstmal so tun und einfach sozusagen am Rande offen sein für die Möglichkeit,
dass vielleicht das, was am Aktienmarkt passiert, nicht immer rein ökonomisch fundamentaler
Logik gehorcht. Aber in jedem Fall zeigt es, dass wir unheimlich viel Arbeit noch zu tun
haben und uns nicht in die Öffentlichkeit stellen sollten mit dem Anspruch: Wir haben
das perfekte Modell, das komplett befriedigend das Verhalten von 80 Millionen Deutschen oder
350 Millionen Europäern beschreibt.
Die Bankenaufsicht in vielen Ländern vor der Finanzkrise hat sich nicht gerade durch
sehr genaues Hingucken ausgezeichnet, und man hat dort die Krise eher verschlafen, wenn man so will.
Also, das ist oft das Problem, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht
mehr sieht, wenn man immer nur sozusagen auf der Mikroebene auf die einzelne Bank guckt,
und dann verpasst man oft das große Bild. Ich bin allerdings ein großer Befürworter
von einem Ansatz, den man als makroprudenzielle Aufsicht bezeichnet, das heißt, dass wir
etwas brauchen zwischen der Bankenaufsicht, die traditionell auf die einzelne Bank guckt,
und dem, was die Zentralbanken machen, nämlich nur das große Ganze der Volkswirtschaft anzugucken.
Dass irgendwo dazwischen eine Institution ... vielleicht keine Institution, aber jemand
zuständig ist dafür, sozusagen das Gesamte, Finanzrisiken, Stabilitätsrisiken im Auge
zu behalten, die im Finanzsystem als Ganzes sich aufbauen - gerade auch wenn man solche
Dinge auf nationaler Ebene lässt, die Gefahr immer sehr groß ist, dass die nationalen
Bankenaufsichtsbehörden die Interessen ihrer eigenen Banken vertreten.
Da hat etwa auch die deutsche Bafin sich nicht mit Ruhm bekleckert. Wenn Sie da die Jahresberichte aus den Jahren
nach der Finanzkrise lesen, da haben Sie das Gefühl, dass die Bafin eigentlich die Interessen
der deutschen Finanzindustrie vertritt und gegen höhere Eigenkapitalquoten argumentiert.
Das heißt, diese Form von - man nennt das auf englisch: regulatory capture - dass die Regulierer sozusagen
gefangen genommen werden von den Interessen derer, die sie eigentlich regulieren müssen
und sich sozusagen nach außen mit ihnen identifizieren, ist besonders dann groß, wenn man solche
Sachen auf nationaler Ebene lässt. Insofern ist das wahrscheinlich schon eine gute Idee,
das bei der EZB anzusiedeln.
Es gibt viele Kollegen, die ganz spannende, innovative Sachen machen, die aus dem, sagen
wir mal, über den überlieferten Kanon hinausgehen und methodisch Neuland beschreiten.
Also, da gehören zum Beispiel die verhaltensökonomischen Ansätze dazu. Da gehört auch die Renaissance
der Wirtschaftsgeschichte dazu, der ich nun selber sozusagen ... mit der ich selber verbunden bin.
Und dazu gehören aber auch allerlei sozialökonomische und neue Ansätze in der Makroökonomie
Ich denke, es wird eine Weile dauern, bis sich diese neuen Ansätze so institutionell
auch widerspiegeln, dass sie von der Öffentlichkeit bemerkt werden. Das ist immer ein ganz normaler Prozess.
Bis etwa die Zentralbanken nicht mehr nur Leute anstellen, die Modell X machen,
sondern auch Leute interessant finden, die vielleicht sagen: "Nee, Modell X halte ich
für unzureichend, und ich habe neue Ansätze." Da wird es einfach eine Weile dauern.
Es gibt die berühmte Aussage, ich glaube, sie ist von Max Weber, dass wissenschaftlicher Fortschritt stattfindet
als ein Begräbnis nach dem anderen. Es wird also eine gewisse Zeit brauchen, bis
einfach im Wissenschaftsbetrieb die kritische Masse an neuen Ökonomen auch da ist, dass
sich das für die Öffentlichkeit so darstellt. Aber ich glaube, unter der Oberfläche, und
wenn man ein bisschen genauer hinguckt, und ich sehe das auch selbst in meinem Umfeld:
Die Bereitschaft, sozusagen außerhalb der Kiste, der Box, zu gucken und auch neue Ansätze
wieder aufzunehmen, ist sehr viel stärker als vorher.
Was hoffentlich den Deutschen klar geworden ist, ist, dass es nicht so einfach ist zu sagen: "Wir sind Exportweltmeister!"
Denn diese Exportüberschüsse, die wir generieren, heißt auch immer, dass wir dem Ausland Geld leihen.
Denn die kaufen mehr von uns als wir von denen, und diese Differenz leihen wir
dem Ausland. Und historisch betrachtet sind Vermögensanlagen im Ausland, was auch immer
Ihnen ökonomische Modelle erzählen über Portfolio-Diversifizierung usw., sind große
Auslandsvermögen immer eine schlechte Idee. Irgendwann werden die entweder enteignet oder
sie sind weg, sind jedenfalls historisch durch Kriege und andere viele Dinge oft verschwunden,
und auch die letzten 20 Jahre deutscher Auslandsanlagen im Ausland haben sich jetzt etwa durch die
Krise im Euro-Raum - da hat sich so viel deutsches Kapital in Luft aufgelöst, dass es wirklich
in einem Maße zum Nachdenken anregen sollte über diese simplen, oft noch aus Wirtschaftswunderzeiten
stammenden Stammtischparolen. Exportüberschüsse heißen letztlich: Wir leihen dem Ausland
Geld, und ob wir das jemals zurückkriegen, ist eine ganz andere Frage. Also, das ist
so ein Punkt, wo ich sagen würde: Es wäre schön, wenn die Problematiken, die in der
Krise offenbar geworden sind, das würde ich mir wünschen, zu einem etwas tieferen ökonomischen
Denken auch in der deutschen Öffentlichkeit führt. Ich habe selbst lange Jahre im Ausland gelebt,
da drängt sich im Vergleich oft der Eindruck auf, dass das Niveau, das Verständnis
ökonomischer Zusammenhänge in der deutschen Öffentlichkeit, im deutschen Journalismus
oder auch in der deutschen Politik dem anderer Länder wie etwa Großbritannien weit hinterherhinkt
und man oft in doch relativ ... Das ist dann die berühmte schwäbische Hausfrau, die man
bemüht, wenn es um Staatsfinanzen geht, oder das Bild des Exportweltmeisters, das so ähnlich
ist wie Fußball-Weltmeister, nur dass das nicht alle vier Jahre stattfindet, wenn es
um die Außenwirtschaft geht. Und das sind, wie ich finde, in beiden Fällen gefährliche
Vereinfachungen, die wir hoffentlich durch die Krise korrigieren.