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Die Bürger Schöllkrippens hatten den Ruf, Witzbolde zu sein,
immer dazu bereit, sich über Andere lustig zu machen.
Also nannte man sie „Pasquillen“,
die Bezeichnung für eine Art satirisches Flugblatt.
Die Schöllkripper machten sich diese Bezeichnung als Ehrenabzeichnung zu Eigen,
und das passt ganz besonders zum Karneval.
Bei Karneval geht es darum, den Spieß umzudrehen,
eine Chance für das gemeine Volk aufzustehen und die Herrschaft herauszufordern.
Hinter den ganzen Kostümen, den Süßigkeiten für die Kinder, dem Spaß und den Spielen
steckt scharfe politische Satire.
„Viele Köche verderben den Brei“ kündigt dieser Wagen an
bei seiner Kritik über die Sparmaßnahmen der Regierung.
Die Anführer dieses Aufstandes: Das Prinzenpaar.
Gewählt, natürlich, für eine einmalige Amstzeit von einem Jahr.
Das Volk sammelt sich vor dem Rathaus
und fordern den Bürgermeister, hier bekannt als „Gelber Herrscher“, auf, das Amt niederzulegen.
Gelber Herrscher von Mensengesäß,
Gebieter über die Bürger von Pasquilien,
Hüter des Gemeindesäckels,
im Namen Ihrer Tollitäten fordere ich dich auf,
die Regentschaft des Prinzen Hubert II.,
Prinz aus der Dynastie des Bozems zu Hofstädten,
Regent über Kleingärten,
Herrscher über das Tägliche Brot,
und seiner Prinzessin Helena I.,
Freifrau aus dem Blankenbacher Eichgraben,
Regentin über Nadel und Faden, anzuerkennen
und den Schlüssel des Rathauses zu übergeben.
Gelber Herrscher, wie in jedem Jahr
lasse ich dir noch elf Sekunden Zeit,
dann wird dein Regierungssitz gestürmt.
Garde, stürmt den Bau
und ergreift den Gelben Herrscher!
Der Rathaussturm ist eine Tradition in vielen Ortschaften Deutschlands.
Der Bürgermeister wird symbolisch gestürzt
und für den Rest der Karnevalszeit regiert das Prinzenpaar.
Herr Präsident, mein kleiner Rat.
Gelber Herrscher Rainer,
wie in den vergangenen Jahren
sträubst du dich immer noch,
die Regentschaft in der Närrischen Zeit
an die erwählten Tollitäten abzutreten.
Trotz deiner mit einer raffinierten
Sicherheitssystem ausgestatteten Fliehburg
hat es unsere Garde im 18. Jahr wieder geschafft,
deiner habhaft zu werden.
Auch bei den Pasquillen
hält sich schon Jahre lang ein Gerücht,
dass bei dir, Gelber Herrscher,
auch etwas anders ist, als es uns scheint.
Steuer kannst du keine hinterzogen haben,
da wir wissen,
was du als armer Bügermeister verdienst.
Vom anderen Ufer kannst du auch nicht sein,
da du bekanntlich fünf Kinder hast,
und du seit gefühlten zwei Jahrzehnten
mit deiner Gabi verheiratet bist.
Aber ein Verdacht
ist uns trotzdem zu Ohren gekommen.
Schon Roland Heller,
der war bekanntlich ein weiser Mann,
hat dies bei deiner Amtseinführung schon vermutet:
Du seist in der Tiefe deiner Seele
ein Schwarzer.
Für unser Prinzenpaar
und das Volk der Pasquillen
stellt sich nun die Frage:
Bist du überhaupt ein Gelber Herrscher,
oder ein verkappter Schwarzer?
Warum stürmt ihr das Schöllkripper Rathaus?
Ich, der Brävste unter den Braven, [Buhrufe]
der Fleißigste unter den Fleißigen, [Buhrufe]
der Schönste unter den — lassen wir das! [Gelächter]
Ihr probiert’s immer wieder,
und auch in diesem Jahr stürmt ihr das Rathaus:
Muss doch nicht sein!
Am Aschermittwoch kommt ihr,
wie in jedem Jahr, wieder:
„Bürgermeister... Rainer...
...willst du nicht weitermachen?
Uns steht’s bis da oben!“
Ich wäre ein Schwarzer?
Ich soll mich outen,
endlich die Wahrheit erzählen?
Es gibt nichts zu outen.
Ich erzähle nichts, nichts als die Wahrheit.
ERZÄHLER: Es ist eine Art rituelle Beleidigung:
Es wird suggeriert,
dass es uns nicht schlechter gehen würde, wenn wir von Narren und Clowns regiert würden.
Es wird den Machthabenden freundlich daran erinnert,
dass sie uns nur mit unserer Einwilligung regieren;
und wenn es diese Einwilligung nicht mehr gibt, sind wir in der Überzahl.